Der Service-Roboter Semmi soll automatisch Fragen beantworten. Gleichzeitig müssen Kunden der Deutschen Bahn weiterhin Rückerstattungszettel aus Papier ausfüllen. Das ist peinlich.

Es ist eine schwierige Beziehung. Seit Jahren reise ich viel auf der Schiene und darf behaupten, die Höhen und Tiefen des Bahnfahrens zu kennen, wie sie nur ein leiderprobter Fan kennen kann. Wer wie ich in Köln mit einem krisengebeutelten Fußballverein aufwächst, der weiß, dass immer irgendwas schiefgeht. Doch das Feeling ist entscheidend – und dass man am Ende doch noch irgendwie ein zufriedenstellendes Ergebnis einfährt. Ähnlich verhält es sich mit dem Bahnfahren.

Laut Statistik fährt jeder Deutsche 25 Mal im Jahr mit der Bahn. Ja, sie hat teilweise erhebliche Mängel, die Verspätungen sind nervig und Bahnfahren kann zu einem teuren Vergnügen werden. Aber es hat trotzdem mehr zu bieten als jede Autofahrt oder Flugreise im Inland. Denn mit dem Zug unterwegs zu sein bietet Raum und Zeit, um in Ruhe wichtigeren oder angenehmeren Dingen nachzugehen. Konzentriert zu arbeiten, zu lesen oder einfach nur ohne Unterbrechung einen Film zu schauen. Ich muss nicht stundenlang angeschnallt auf den Asphalt glotzen und mich über andere Verkehrsteilnehmer ärgern, und ich muss mich auch nicht durch parfumgeschwängerte Schleusen auf dem Flughafen zwängen, um am Ende 45 Minuten eingepfercht zu sein.

Doch drei Dinge sollten sich 2020 unbedingt ändern, egal wie gut die Bahn jetzt schon ist. Damit sie dem Klimaschutzpaket der Bundesregierung gerecht werden kann, weil sie dann für mehr Menschen attraktiver würde. Mal abgesehen vom Lokführermangel, Problemen beim Ausbau der Trassen und defekten Zügen, kann sie sich zumindest hinsichtlich der Kundenfreundlichkeit so einiges bei Startups abschauen und schon mal im kleinen Maßstab üben, wie es besser geht.

Doppelter Verspätungsärger muss nicht sein

Als ich neulich über vier Stunden mit einem ICE auf der Stelle stand, weil der vorausfahrende Zug defekt war, löste erst ein rötlicher Zettel meine Wut und die vieler anderer Mitfahrer aus. Ich hätte einfach mein Buch weitergelesen. Doch stattdessen forderte der Zugbegleiter alle Passagiere auf, fein säuberlich einen Rückerstattungszettel mit allen Daten auszufüllen, um ihn dann umständlich einzuscannen oder im Service-Center nach langem Anstehen abzugeben. Das ist ärgerlich, im doppeltem Sinne: Der Bahn liegen alle meine Daten längst digital vor, sie könnte den Prozess der Rückerstattung also ganz einfach automatisieren. Aber mit ihrer Weigerung stiehlt sie mir noch mehr Zeit als ohnehin schon durch die Verspätung.

Einige Startups haben den Rückerstattungsprozess übernommen und das Verfahren gegen eine kleine Gebühr deutlich vereinfacht. Auf Nachfrage bei der Deutschen Bahn, warum sie das nicht selber könne, heißt es nur: „Zurzeit bauen wir eine völlig neue IT-Landschaft für die Vertriebssysteme der DB, die nahezu alle Funktionalitäten an der Kundenschnittstelle berücksichtigt.“ Diese Umstellung soll allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Inwiefern sie eine Vereinfachung der Reiserückerstattung bringt, darauf wurde in der Stellungnahme nicht weiter eingegangen.

Diese Unternehmen erkämpfen eure Reiserechte

Schade, ein bisschen mehr Transparenz, was genau sie für einen besseren Kundenservice 2020 tun will, würde der Bahn guttun. Auch um den Vorwurf zu entkräften, auf Kosten der Kunden durch nicht oder fehlerhaft eingereichte Rückerstattungen Geld sparen zu wollen.

Spontanreise mit der Bahn? Unbezahlbar

Frech ist auch das undurchsichtige Tarifsystem, das Spontanreisen unattraktiv macht. Wer erst wenige Tage vor Abreise nach Tickets sucht, muss tief in die Tasche greifen. Am Ende sitzen dann im Wagon vier Leute um einen Tisch, die alle unterschiedlich für den gleichen Service und die gleiche Strecke bezahlt haben. Die Bahn berechnet ihre Preise mitunter nach der Auslastung der Züge. Dabei erscheint das Preisgefälle unverhältnismäßig. Ein Frühbucher bekommt Strecken teilweise für 19 Euro, für die ein Spätbucher mal schnell über 100 Euro hinlegen muss.

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Ein Vergleich zwischen dem Startup Flixtrain und der Bahn zeigt: Wer sich donnerstags entscheidet, am Samstag von Berlin nach Frankfurt zu reisen, bezahlt bei der Bahn für vier Stunden Fahrt um 7:37 Uhr etwa 90 Euro. Der Flixtrain fährt viereinhalb Stunden, Startzeit 7:01 Uhr, für 29 Euro (ausprobiert am 12. Dezember 2019 um 11:20 Uhr). Ganze 60 Euro mehr zu zahlen, um eine halbe Stunde früher aufzustehen und gleichzeitig anzukommen, ist schwer zu rechtfertigen. Nur die Mehrwertsteuer zu senken, kann nicht die Lösung sein, es braucht ein Preislimit und eine fairere Preisstruktur. Ansonsten liegt es nahe, dass Leute weiterhin eher ins Auto steigen, um mal schnell für ein Wochenende an die Ostsee zu fahren.

Flugscham hin oder her – was sind die Alternativen?

Dass Inlandsflüge außer im Notfall unsinnig sind, das muss nicht weiter diskutiert werden. Viel Redebedarf gibt es allerdings noch bei der Frage nach Alternativen, vor allem wenn man über die Landesgrenzen reisen will. Mit dem Zug von Hamburg nach Mailand zu fahren, ist im Vergleich zum Fliegen unverhältnismäßig teuer. Ein Flug kostet am Samstag 117 Euro, während ich für ein Bahn-Flexpreisticket mit zweifachem Umstieg 242 Euro zahlen muss. (Stand: 12. Dezember 2019, 11:42 Uhr). Günstige Europaverbindungen, ergänzt mit Busangeboten, finden sich auf Plattformen von Omio oder Trainline. Es braucht nicht nur eine europaweite Zusammenführung der Bahntarife und -netze, sondern auch Subventionen für niedrigere grenzübergreifende Ticketpreise.

Da das Fliegen im Vergleich dazu viel zu günstig ist und derzeit kaum Steuern auf Kerosin erhoben werden, ließen sich die Kosten für eine umweltfreundlichere Fortbewegung relativ simpel umlegen. Denn geflogen wird auch weiterhin. Wir brauchen dieses Verkehrsmittel nach wie vor, um an entlegenere Orte zu kommen. Aber mal eben einen Tag nach Mailand zum Shopping zu jetten, dafür darf man sich zu recht flugschämen.

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Dass niemand einen Wochenendtrip nach Norditalien mit zwölf Stunden Zugfahrt einläuten möchte, ist klar. Aber den Urlaub mit Familie und Freunden gemeinsam im Zug nach Mailand zu beginnen, bietet einen halben Tag Zeit, sich miteinander zu beschäftigen oder mal in Ruhe Dingen nachzugehen, für die man im Alltag keine Zeit hat. Die Warteschlangen und das Gedränge am Flughafen bleiben einem dann erspart.

Die Kolumne Drehmoment wird in der Regel von Don Dahlmann geschrieben, diese Woche vertritt ihn Marco Weimer.

Bild: Getty Images / ODD ANDERSEN