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Die Urmo-Gründer Jakob Karbaumer und Sebastian Gouy (rechts)
Seit vier Jahren tüfteln Jakob Karbaumer und Sebastian Gouy (rechts) an ihrem E-Mobility-Gefährt Urmo. Nun mussten sie aufgeben. (Nicht im Bild: Mitgründer Felix Ballendat)

Dieser Artikel erschien zuerst am 12. Oktober 2020 und hat besonders viele Leserinnen und Leser interessiert. 

Sie waren bereits auf der Zielgeraden, ihr ungewöhnliches Fahrzeug auf den Markt zu bringen: Die erste große Finanzierungsrunde und ein exklusiver Vertragsabschluss mit einem der größten deutschen Autobauern standen quasi fest. 2020 sollte das wichtigste Jahr werden für das Münchner Micromobility-Startup Urmo. Doch dann kam Corona. Ende Juni musste die Firma Insolvenz anmelden. Der Gründer und bisherige Geschäftsführer Sebastian Gouy erzählt, wie er die letzten Monate erlebt hat:

„In der Woche vor der Finanzierung – eine Woche bevor in Deutschland alles wegen Corona dichtgemacht wurde – hatten wir noch ein Telefonat mit unseren Investoren, es sollte eigentlich nur noch um Details gehen. An der Runde wollten sich zwei deutsche und ein chinesischer Investor beteiligen. Einer der deutschen Geldgeber, ein Automobilzulieferer, meinte da schon, er müsse jetzt schauen, wie sich das mit Corona entwickle. Kurz darauf musste er selbst seine Produktion stoppen und alle Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Eigentlich also verständlich, dass er dann nicht mehr investieren konnte. Bloß hat er uns das nicht gesagt, sondern uns warten gelassen. Erst als wir ihn ewig genervt haben, hat er uns die Finanzierung abgesagt.“

Die beiden anderen Investoren aber hätten dem Startup weiterhin ihre Unterstützung zugesichert, erzählt Gouy. Er und seine Mitgründer Jakob Karbaumer und Felix Ballendat versuchten daraufhin, die Kosten soweit herunterzufahren, dass die Firma irgendwie bis zum Ende des Jahres durchhalten würde. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie noch Hoffnung: Die Finanzierungsrunde klappte zwar nicht, dafür aber hatten sie weiterhin die Partnerschaft mit einem großen Automobilhersteller in der Hinterhand.

Das Münchner Startup entwickelte mit dem Urmo ein knapp acht Kilo schweres E-Fahrzeug, eine Art Hoverboard zum Einklappen, gemacht für den Stadtverkehr und die letzte Meile. Die Zielgruppe: E-Mobility-Fans. Für die wollte Urmo gemeinsam mit dem Autobauer eine Integrationslösung für den Kofferraum bauen. Wer wollte, sollte sich den Urmo in Zukunft in Kombination mit seinem E-Auto kaufen können.

Auf einmal sollten sie den Preis halbieren

Die Partnerschaft mit dem Autobauer wurde schon seit vielen Monaten vorbereitet: Ein Entwicklungsvertrag war schon unterzeichnet, nur noch eine Unterschrift unter dem Einkaufsvertrag hätte gefehlt. Gouy zufolge waren aber bereits alle relevanten Details besiegelt: der auf zwei Nachkommastellen genaue Abnahmepreis, eine garantierte Stückzahl, die man dem Startup abnehmen wollte, und die Patente, die bei Urmo bleiben sollten. Der letzte Punkt war den Gründern besonders wichtig.

„Die Gespräche mit dem Autokonzern haben schon im Mai 2018 begonnen. Die sind von sich aus auf uns zugekommen: Irgendwann hat jemand aus der Entwicklungsabteilung auf unserer Nummer von der Website angerufen. Es war ein großes Projekt, auch von deren Seite aus, das ging bis zum Vorstand rauf. Dann haben sie wegen Corona alles gestrichen, was nicht zu ihrem Kerngeschäft gehört hat. Offiziell ist die Kooperation daran gescheitert, dass sie auf einmal den Einkaufspreis halbieren wollten. Aber wir hatten eh schon so kalkuliert, dass wir fast bei Null rausgekommen wären. Für uns war einfach die Sichtbarkeit wichtig, dass sie den Urmo auf den großen Automessen der Welt präsentiert hätten. Wir hätten wirklich nicht noch draufzahlen können bei der Produktion.“

Der Prestige-Kunde war also weg. Gouy und seinen Mitgründern drohte, das Geld auszugehen. Circa neun Monate fehlten ihrer Berechnung zufolge bis zur Serienproduktion. Bis dahin hätte die Firma noch viele finanzielle Ressourcen benötigt – was die beiden verbliebenen Investoren mittlerweile nicht mehr bereitstellen wollten. Ein letztes Gespräch mit den Geldgebern, zwei Tage vor Insolvenzanmeldung, verlief Gouy zufolge nicht besonders fruchtbar:

„Das war schon sehr seltsam. Die Investoren schlugen uns vor, dass wir neue Strategien ausprobieren sollten. Da habe ich mich dann schon etwas gewundert. Es war ja nicht so, als hätten wir nicht ein halbes Jahr lang zweimal in der Woche mit denen gesprochen und unzählige E-Mails hin- und hergeschickt. Wir haben denen immer genau vorgerechnet, wo wir gerade stehen und wie lang unser Geld noch reichen würde. Trotzdem schienen sie am Ende irgendwie enttäuscht von uns und auch wir waren irritiert.“

Hätten sie nicht doch noch etwas versuchen können? Gaben sie vorschnell auf? Solche Fragen habe er sich nach diesem Gespräch gestellt, erzählt Gouy. Doch den Gründern erschien die Insolvenzanmeldung mittlerweile als einzig vernünftiger Schritt, auch wenn sie theoretisch gesehen noch länger damit hätten warten können. Denn wegen der Pandemie hatte die Bundesregierung die bisher geltenden Insolvenzregeln vorübergehend ausgesetzt für alle Unternehmen, die wie Urmo wegen Corona in die Krise gerieten. Zunächst bis Ende September, nun mit weiteren Einschränkungen sogar bis zum Jahreswechsel.

Doch das helfe einem auch nicht, wenn man keine Gehälter mehr zahlen könne, sagt Guoy. Zu diesem Zeitpunkt sind bei dem Startup außer den drei Gründern noch sieben weitere Personen beschäftigt, die allermeisten von ihnen Werkstudentinnen und -studenten.

Sebastian Gouy: „Es wäre schade, wenn ich die Zeit bei Urmo als gescheitert abstempeln würde. So würde ich nicht nur mich selbst kleinmachen, sondern auch meine Erfahrung dort relativieren.“

Auch auf die staatlichen Corona-Hilfsprogramme für Startups konnte die Micromobility-Firma nicht zu greifen. Für die Säule 1, dem Programm für VC-finanzierte Unternehmen, waren die Investoren von Urmo nicht akkreditiert. Die Ausgestaltung der Säule 2, das sich an an kleinere Startups richtete, blieb sehr lange ungewiss, erst im August gab es die ersten Informationen dazu – viel zu spät für die Münchner. Die drei Gründer bereiten Ende Juni die Insolvenzanmeldung vor. An einem Donnerstag, den 25.6., ist es schließlich soweit. Am selben Tag, an dem sich auch Wirecard, der ehemalige Börsenliebling und mittlerweile skandalträchtige Aschheimer Finanzkonzern, zahlungsunfähig meldete.

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Gouy beschreibt den Gang zum Insolvenzgericht:

„Im Endeffekt ist es egal, wer den Insolvenzantrag einreicht. Wir sind da aber zu dritt hin, weil wir das gemeinsam machen wollten. Die Anmeldung an sich war unspektakulär – du gibst ein Stück Papier ab, bekommst einen Stempel drauf und dann ist es erledigt. Das war schon ein komisches Gefühl, weil du auf einmal nichts mehr zu tun hast. Irgendwie Freiheit, aber gleichzeitig eine Leere. Wir sind dann zurück ins Büro, weil wir nicht wussten, was wir sonst machen sollten. Aber da hatten wir eigentlich keine Aufgabe mehr. Also haben wir erstmal damit angefangen, unsere Sachen auseinander zu sortieren.“

Schon am Nachmittag desselben Tages meldete sich der Insolvenzverwalter bei dem Startup. Er übernahm ab jetzt die Abwicklung der Geschäfte. Als Erstes machte er eine Bestandsaufnahme: Was ist noch an Werten vorhanden, was lässt sich gegebenenfalls weiterverkaufen? Dazu gehört etwa die Büroausstattung, die Geräte aus der Werkstatt des Startups, aber auch die Patente, die das Startup auf seine Technologie angemeldet hat.

Weltweit gebe es nur wenige Unternehmen, die sich für so spezifische Patente interessieren könnten, sagt Gouy. Die Firma Segway Ninebot wäre eigentlich die perfekte Kandidatin, doch die verkündete just an dem Tag, an dem Urmo Insolvenz anmeldete, dass der Segway eingestellt werde. Gouy habe sich dadurch in seiner Entscheidung aufzuhören, noch mal bestätigt gefühlt, sagt er.

Feedback von Crowdanlegern überwiegend positiv

Zu den Gläubigern des Startups gehört nun zum einen einer ihrer Investoren, der ihnen ein Wandeldarlehen gegeben hatte. Zum anderen sind das die circa 250 Privatpersonen, die im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne im Jahr 2018 jeweils etwa 1.100 Euro angezahlt hatten, um sich ein erstes Urmo-Gefährt zu reservieren. Nach der Insolvenzanmeldung schrieben Gouy und seine Mitgründer den Urmo-Interessierten eine E-Mail mit den Hintergründen zur Insolvenz. Deren Reaktionen überraschten den Gründer:

„Wir hatten Sorge, dass wir vielleicht persönlich angefeindet würden. Aber es gab nur ganz wenige, die wütend waren. Die allermeisten haben verständnisvoll reagiert, das hat uns überrascht. Einer hat uns angerufen und gesagt, dass er das Geld eh schon abgeschrieben hätte, nur seine Frau wisse davon noch nichts. Und er hat sogar angeboten, dass er noch mehr Geld zahlen könnte, wenn uns das irgendwie helfen würde. Das freut mich natürlich persönlich, aber uns als Unternehmen bringt uns das natürlich auch nicht weiter.“

Gouy hofft nun, dass die Anleger durch den Abverkauf der Firma zumindest einen größeren Teil ihrer Anzahlung zurückbekämen. Nachdem der Insolvenzverwalter das Startup übernommen hatte, ist er erst mal vier Wochen weggefahren. So lange sei er bisher noch nie verreist, sagt er. Er habe den Kopf frei kriegen und sich überlegen wollen, was als Nächstes kommen soll. Gouy will auf jeden Fall wieder etwas gründen, da sei er sich sicher. Mit verschiedenen Leuten sei er dazu schon in Gesprächen. Die Insolvenzanmeldung sei der richtige Schritt gewesen, sagt er. Und für ihn kein Eingeständnis des Scheiterns:

„Das gehört doch zum Unternehmerleben dazu. Viele wollen nur darüber reden, wie erfolgreich sie sind, aber eigentlich jeder hat eine Geschichte zu erzählen, wo es nicht so gut lief. Es wäre schade, wenn ich die Zeit bei Urmo als gescheitert abstempeln würde. So würde ich nicht nur mich selbst kleinmachen, sondern auch meine Erfahrung dort relativieren.“

Bild: Urmo
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