Eine Frau hält vor Antritt ihrer Scooterfahrt einen faltbaren Helm in ihren Händen.
Seit diesem Jahr können Tier-Kunden auch mit Helm Scooter fahren.

Das E-Scooter-Startup Tier ist dank einer neuen Kapitalspritze auf dem besten Weg, in den Kreis der Milliarden-Startups aufzusteigen. Das Berliner Unternehmen hat sich eine Finanzierung in Höhe von umgerechnet 211 Millionen Euro (250 Millionen US-Dollar) gesichert, wie es am Dienstag mitteilte. Die Bewertung steigt damit nach Informationen der Financial Times auf knapp unter eine Milliarde US-Dollar. Damit wäre Tier nach dem US-Konkurrenten Bird das zweitwertvollste E-Scooter-Startup weltweit, noch vor Lime. 

„Normalerweise knicken europäische Startups irgendwann vor den Amerikanern ein. Es ist schön, dass jetzt auch ein Unternehmen aus Europa Geld von internationalen Investoren bekommt, um Marktführer in einer Kategorie zu werden“, sagte Tier-Gründer und Geschäftsführer Lawrence Leuschner im Gespräch mit Business Insider. Die Bewertung kommentierte er nicht. 

Für den Deal hat Tier den japanischen Tech-Investor Softbank gewonnen, der mit seinem Fonds Vision Fund 2 die Finanzierungsrunde anführt. Der Deal wurde nach Informationen von Business Insider erstmals im Sommer besprochen und dann vergangenen Mittwoch unterzeichnet. Auch die Bestandsinvestoren Mubadala Capital aus Abu Dhabi, der europäischen Frühphasen-Investor Northzone, Goodwater Capital, White Star Capital, die britische Investmentfirma Novator und der russische Wagniskapitalgeber RTP Global beteiligten sich an der Runde.

Softbank als Königsmacher

Softbank gilt als Königsmacher unter den Tech-Investoren. Als einer der größten Hightech-Fonds der Welt verfolgt er die Strategie, vielversprechende Unternehmen mit seinen Multimillionen-Investements zum Marktführer aufzubauen. Das Portfolio der Japaner umfasst globale Marken wie die Tiktok-Mutter Bytedance, Wework und Uber. In Deutschland ist der Softbank Vision Fund bereits in das Reise-Startup Getyourguide und die Gebrauchtwagenplattform Auto1 investiert, die beide mittlerweile eine Milliarden-Bewertung haben.

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Der Einstieg bei Tier hat insofern Signalwirkung für den globalen E-Scooter Markt. Yanni Pipilis, geschäftsführender Partner bei Softbank Investment Advisers, begründete den Schritt folgendermaßen: „Tier hat eine nachgewiesene Erfolgsbilanz beim Aufbau langfristiger Partnerschaften mit Städten und Regulierungsbehörden, kombiniert mit einem technologieorientierten Ansatz zur Entwicklung führender Angebote für Kunden.“

Der Berliner Sharinganbieter ist nach eigenen Angaben mit 60.000 E-Scootern in mehr als 80 europäischen Städten aktiv und beschäftigt rund 900 Mitarbeiter. Seit dem Frühjahr bietet er auch E-Mopeds an.

Investitionen in Ladenetzwerk und weitere Fahrzeuge

Das frische Kapital will Tier hauptsächlich dafür einsetzten, um seinen Marktanteil in europäischen Städten auszubauen und in „strategische Wachstumsmärkte“ zu expandieren. Unternehmenschef Leuschner sagte Business Insider, er schaue sich auch „Märkte außerhalb Europas“ an.

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Zudem soll die Finanzierung in den Ausbau eines europaweiten Ladenetzwerks fließen, welches Tier bereits vor drei Monaten angekündigt hat. Um Kosten für die Logistik zu sparen, will das Unternehmen seine Kunden davon überzeugen, die Batterien der E-Scooter selbst zu wechseln. Kunden sollen die leeren Akkus bei lokalen Geschäften gegen volle Batterien austauschen und erhalten im Gegenzug eine Gutschrift für eine Freifahrt.

Darüber hinaus kündigte Tier an, einen Kredit für die Erweiterung seiner Flotte aufzunehmen. Die Berliner verfolgen seit Anfang des Jahres eine multimodale Strategie mit verschiedenen Fortbewegungsmitteln, darunter auch E-Mopeds. Man schaue sich jetzt „vielleicht auch andere Fahrzeuge an“, sagte Leuschner.

Krise zehrt an Finanzierungspolster

Tier ist nach eigener Aussage seit dem Sommer profitabel, wenn man Zinsen und Steuern aus der Rechnung nimmt. Die Corona-Pandemie hat im Frühjahr viele Mobilitätsunternehmen in die Krise gestürzt, auch im E-Scooter-Segment. Der Lockdown Ende März verhagelte ihnen den Saisonstart und zehrte am Finanzierungspolster. Der US-Konkurrent Bird entließ daraufhin etwa 400 Mitarbeiter weltweit und kürzte sein Deutschland-Geschäft zusammen. Limes Bewertung krachte bei einer Not-Finanzierung im Mai um 80 Prozent ein.

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Auch Tier wurde hart getroffen. „Unser Umsatz ist innerhalb von fünf Tagen um 80 Prozent eingebrochen“, sagte Unternehmenschef Leuschner im April über die Erfahrung im ersten Lockdown. Was folgte, war der „Survival Modus“, wie Leuschner ihn nennt. In besonders stark betroffenen Ländern wie Italien, Österreich, Schweiz und Frankreich pausierten die E-Scooter. Auf dem Heimatmarkt Deutschland reduzierte das Startup die Flotte und meldete Kurzarbeit für rund 60 Prozent der Mitarbeiter an.

Mit dem Winteranfang steht Tier und seinen Konkurrenten erneut vor einer Prüfung. Zu den Corona-Beschränkungen im „Lockdown Light“ kommt diesmal auch noch das nass-kalte Wetter hinzu. Um diesen schwierigen Winter zu überstehen, kommt die neue Finanzierung wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Business Insider Deutschland.
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Bild: Tier