Bei Grün gemütlich über die Straße schlendern? Dafür ist bei kurzen Grünphasen kaum Zeit.

Dass auf deutschen Straßen zu Stoßzeiten fast Stillstand herrscht, ist bekannt. Dass sich daran etwas ändern muss, ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Denn der Verkehr ist es, der zu großen Teilen für die Luftverschmutzung in den Metropolen zuständig ist. Doch in vielen Städten geht die Stadt- und Verkehrsplanung offenbar weiter davon aus, dass der Verkehr und die Menge der Autos gottgegeben sind und daran nichts geändert werden könne. Diese Einstellung reicht sogar bis ins Bundesverkehrsministerium.

Die Tage veröffentlichte das Berliner Ministerium den aktuellen Unfallverhütungsbericht. In dem geht es, wie der Name schon andeutet, um die Frage, wie man Unfälle verhüten kann, also wie sich Unfallschwerpunkte entschärfen lassen. Zu diesen Schwerpunkten gehören vor allem Kreuzungen und Ampeln. Dort kracht es nicht nur zwischen Fahrzeugen am häufigsten, sondern es gibt dort auch die meisten Unfälle zwischen Fußgängern und Autos. Schuld daran sind die teilweise absurd kurzen Grün-Phasen der Fußgängerampeln. Manche Kreuzung schafft man nur im Sprint zu überqueren, bei anderen steht man Ewigkeiten verloren auf einer kaum gesicherten Verkehrsinsel.

Lauf, Renter, lauf!

Da liegt die Überlegung nahe, die Grün-Phasen für Fußgänger zu verlängern. Doch das, so der Bericht, würde nur zur Störungen im Verkehrsfluss führen. Stattdessen schlägt das Ministerium auf Seite 74 allen Ernstes folgendes vor „Für ältere Fußgänger/innen werden Maßnahmen angeraten, die vor allem die physischen Voraussetzungen für sicheres Queren trainieren bzw. aufrecht erhalten und zudem die Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit verbessern“. Lauf, Rentner, sonst hast du eben Pech gehabt.

Hinter der Aussage steckt ein Ausmaß an Borniertheit, was unerträglich ist. Es wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass in einer Stadt das Auto immer Vorfahrt haben muss – und sich daran auch nichts ändern wird. Gleichzeitig versucht man verzweifelt einen Weg zu finden, wie sich die Luft in den Städten verbessern lässt. Dafür sollen Fahrverbote ausgesprochen werden, Dieselbesitzer werden mit Prämien dazu motiviert, sich ein Neufahrzeug zu kaufen. Dabei gäbe es für viele Probleme in der Stadt eine ganz einfache Lösung: weniger Autos.

Schafft man es, 30 Prozent weniger Autos auf die Straße zu bringen, reduzieren sich logischerweise auch die Emissionen um einen ähnlichen Faktor. Weniger Fahrzeuge bedeuten auch weniger Verkehr, weniger Unfälle, weniger Staus und die Grün-Phasen für Fußgänger könnte auch um ein paar Sekunden verlängert werden, ohne dass der gesamte Verkehr zusammenbricht.

Es fehlt der Mut, neue Dinge auszuprobieren

Doch wie bekommt man das hin? Zum einen muss man das Autofahren in der Stadt verteuern und deutlich erschweren. Die Mittel dazu können höhere Parkgebühren sein, Rückbau von zweispurigen Straßen, so wie Berlin das teilweise gerade ausprobiert. Auch eine City-Maut könnte helfen. Will man weniger Autos in einer Metropole haben, muss die Fahrt mit dem eigenen Auto länger dauern und deutlich teurer sein als alle angebotenen Alternativen.

Diese Alternativen müssen natürlich vorhanden sein. Das fängt bei bequemen und großen Park & Ride Parkplätzen als Knotenpunkte rund um die Stadt an, reicht über ein verbessertes Angebot im ÖPNV und geht hin bis zu Angeboten von privaten Anbietern und Startups. Im Fall des ÖPNV müssen Angebot und Preis justiert, im Fall der Startups Rahmenverträge geschlossen werden, die die Preise und Verfügbarkeit der Angebote festlegen. Denn am Ende sollen die Transportkosten nicht steigen, sondern fallen. Mobilität soll weiter so einfach wie möglich sein, die Umwelt und auch die Nerven aller Beteiligten schonen.

Das Konzept ist gar nicht so alt und wurde immer wieder diskutiert, beziehungsweise teilweise getestet. Niemand hat sich bisher aber getraut, all diese Dinge auf einmal umsetzen. Stattdessen lässt man halt Rentner weiter über die Straße hetzen. Es könnte sich ja ein Autofahrer gestört fühlen.

Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobilbranche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.

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