Fußgänger und Fahrradfahrer werden autonome Fahrzeuge gnadenlos ausbremsen, wenn die Infrastruktur so bleibt, wie sie derzeit ist.

Vom Philosophen Hans Jonas stammen die Überlegungen zum technischen Imperativ: „Handle so, dass keine der dir zu Gebote stehenden technischen Möglichkeiten ungenutzt bleibt.“ Ein Satz, den vor allem Startup-Gründer jederzeit unterschreiben würden. Allerdings stand Jonas dem Umgang mit Technologie auch durchaus kritisch gegenüber. So fordert er in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation“, dass jede Technologie auch hinsichtlich ihrer ethischen Vertretbarkeit geprüft werden müsse.

Das ist eine Frage, die man sich auch im Rahmen der Verkehrswende und im Zusammenhang mit autonomen Autos stellen sollte. Dabei geht es nicht nur darum, ob autonome Autos eine Entscheidung über Leben und Tod treffen dürfen. Es geht auch darum, wie sehr eine solche Technologie unsere Städte verändern wird. Dass die Verkehrsplanung Städte verschandeln kann, haben wir schon erlebt. Die autogerechte Stadt basierte auf der Idee der Massenmobilität, die dann zu einer regelrechten Entkernung deutscher Innenstädte geführt hat. Manch einer behauptet sogar, dass die Umgestaltung der Innenstädte zwischen 1950 und 1970 mehr geschadet habe, als die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs.

Defensiver unterwegs als jeder menschliche Fahrer

Eines steht schon jetzt fest: Autonome Autos werden unsere Städte massiv verändern. Paradoxerweise, weil sie defensiver unterwegs sind als jeder menschliche Fahrer. Denn jedes autonome Auto bremst (hoffentlich) verlässlich, wenn es ein Hindernis sieht. Was vor allem Fußgänger schnell bemerken werden. Auf engen Straßen mit viel Fußgängerverkehr kann das dazu führen, dass die autonomen Autos kaum noch vorankommen, weil permanent ein Passant oder Fahrradfahrer im Weg ist. Die Entwickler lassen ihre Autos deswegen lieber in Gegenden fahren, in denen Passanten eher selten vorkommen. In den engen Innenstädten Europas werden autonome Fahrzeuge also ihre Probleme haben.

Die bisher vorgestellten Lösungen für das Problem klingen alle wenig überzeugend. Eine Option wird darin gesehen, dass man autonomen Autos eigene Spuren zuweist, die mittels Betonbarrieren abgeschottet sind. Andere würden den Verkehr gleich ganz unter die Erde legen. Was sicherlich keine schlechte, aber eine sehr kostenintensive Idee ist und die Kommunen mit Sicherheit überfordert. Aber wie will man den Konflikt zwischen autonomen Autos, Fahrradfahrern und Fußgängern lösen?

Sonst werden Autos von Fußgängern gemobbt

Eine Möglichkeit wäre es, die bisherige Infrastrukturplanung umzukehren. Autos bekommen Zonen zugewiesen, in denen sie sich bewegen dürften, aber dann wirklich auch nur in diesen. Alles andere gehört den Fahrradfahrern und den Fußgängern. Ausgenommen davon wäre der Lieferverkehr, aber der muss auch nicht zwingend mit Lieferwagen in die Stadt fahren. Startups haben dafür schon umweltverträgliche Lösungen erarbeitet. So hat das Berliner Startup Ono ein Cargo-Bike entwickelt, dass die Paketzustellung übernehmen kann.

Vermutlich wird es also darauf hinaus laufen, dass autonome Autos nur auf bestimmten Straßen in einer Stadt ohne Aufsicht eines Fahrers unterwegs sein dürfen. Anders ist ein Einsatz von autonomen Autos im Sinne des oben zitierten Philosophen kaum vertretbar. Das betrifft dann breite und meist sowieso schon abgeriegelte Einfallstraßen und Stadtautobahnen. In den Innenstädten wird man entweder ganz aufs Auto verzichten oder weiter auf den menschlichen Fahrer setzen müssen. Sonst werden autonome Autos schlicht und ergreifend von Fußgängern gemobbt. 

Don Dahlmann ist seit über 25 Jahren Journalist und seit über zehn Jahren in der Automobilbranche unterwegs. Jeden Montag lest Ihr hier seine Kolumne „Drehmoment“, die einen kritischen Blick auf die Mobility-Branche wirft.

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