Fabian Rusitschka ist Mitgründer des Startups Arculus aus Ingolstadt

Als Fabian Rusitschka seinen Chefs bei Audi die Idee erklären sollte, mit der er die Autoindustrie auf den Kopf stellen will, griff er zum iPhone und zu ein paar Staubsaugerrobotern. Mit einem Programm auf dem Smartphone ließ er die Saugroboter automatisch verschiedene Stationen im Raum ansteuern, ganz ohne Schienen oder vorgegebene Wege, und zwar immer genau die, wo gerade zufällig ein Platz frei war.

Heute sind die Roboter deutlich größer, die in der alten Fabrikhalle in Ingolstadt von Station zu Station fahren, und das Computerprogramm, eine künstliche Intelligenz, passt nicht mehr auf ein Telefon, aber das Prinzip ist immer noch das Gleiche.

Folge NGIN Mobility auf Facebook!

Die fahrerlosen Roboterwagen transportieren Karosserien durch eine Montagestraße. An der einen Station sollen Türdichtungen angebracht werden, an der anderen wird die Antenne angeschraubt. Doch es gibt keine vorgegebene Reihenfolge mehr, keinen immer gleichen Takt, in dem sich die Autos auf einem Fließband vorwärts bewegen.

Modulare Fertigung soll eintönige Arbeiten ablösen

„Uns war klar, das ist so revolutionär, dass wir das Fließband schlussendlich auflösen werden“, sagt Hubert Waltl, Produktionsvorstand bei Audi und einer der Chefs, die schon früh die Saugroboter-Show von Rusitschka sahen. Bei Audi vergleichen sie die Arbeit von Rusitschka schon mit der Entwicklung des Fließbandes von Henry Ford vor über hundert Jahren. Ford konnte die Produktion verachtfachen und machte das Auto so erstmals auch für die Masse erschwinglich.

Natürlich wurde die Fließbandarbeit in den vergangenen Jahren ständig weiterentwickelt, inzwischen arbeiten Roboter und Menschen in der Autoproduktion Hand in Hand.

Doch geblieben ist bislang das Prinzip der immer gleichen Reihenfolge der Arbeitsschritte, die im immer gleichen Tempo ausgeführt werden müssen. Das will Rusitschka mit der sogenannten modularen Fertigung ändern. Seit Anfang dieses Jahres entwickelt er die Methode in einem Startup mit dem Namen Arculus, an dem Audi beteiligt ist.

Neue Methode soll Effizienz um 20 Prozent steigern

Das Prinzip klingt einfach: Wenn ein Arbeitsschritt länger als ein anderer dauert, bleibt der Roboter mit der Karosserie einfach länger an dieser Station stehen. Trotzdem bildet sich dann keine Schlange von Fahrzeugen, sondern der Computer errechnet, welche Arbeitsschritte vorgezogen werden können, und schickt die Roboterwagen automatisch zur nächsten freien Station.

Hat ein Kunde eine Sonderausstattung nicht bestellt, wird diese Station einfach übersprungen, das Fahrzeug wird entsprechend schneller fertig. Produktionsvorstand Waltl erhofft sich durch die neue Fertigungsmethode einen Effizienzgewinn von etwa 20 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre.

Doch jedes Fahrzeug auf dem effizientesten Weg durch die Produktion zu schleusen, führt in einer großen Halle schnell zu einem Wirrwarr von möglichen Wegen. „Das Verkehrsaufkommen zu organisieren, ist wie ein Schachspiel“, sagt Rusitschka. Gespielt wird es nicht von einem Menschen, sondern vom lernenden Computer.

Autos können so stärker personalisiert werden

Ihn zu programmieren ist die eigentliche Herausforderung für die Mitarbeiter von Arculus. Die Gründer des Startups hoffen, dass sich die modulare Fertigung in Zukunft nicht nur an Audi verkaufen lässt, sondern auch andere Autohersteller und Unternehmen anderer Branchen aufspringen.

Die neue Produktionsmethode ermögliche eine noch deutlich stärkere Individualisierung und Personalisierung der Autos, verspricht Rusitschka. „Man kann sich heute nicht mehr leisten, wie Henry Ford zu sagen: Der Kunde kann jede Farbe haben, solange sie schwarz ist.“

Auch die Mitarbeiter sollen profitieren. Für ältere Angestellte könnte die Arbeitszeit an ihrer Station individuell angepasst werden, sie müssten nicht unbedingt mit dem Takt des Fließbands mithalten. Es sei auch nicht das Ziel, die Zahl der Mitarbeiter deutlich zu reduzieren, versichert Rusitschka.

Roboterwagen in der Produktion fahren autonom

Doch daran arbeiten zahlreiche andere Projekte, die bei Audi unter dem Schlagwort Smart Factory zusammengefasst werden. Die Fabrik der Zukunft soll vor allem eines sein: autonom. Da kurvt ein Roboterwagen, den die Entwickler „Paula“ getauft haben, fahrerlos durch die Produktionshalle und verwendet die gleiche Technik, wie sie künftig selbstfahrende Audis auf der Autobahn nutzen sollen, um sich zurechtzufinden und Hindernisse zu erkennen.

Der Roboterwagen transportiert schon heute Getriebelager zu den Produktionsstationen in der A3- und Q2-Montage. Noch ist „Paula“ ein Prototyp, aber schon bald sollen fünf bis zehn Roboterwagen durch die Werkhallen kurven.

Auch Gabelstapler ohne Fahrer werden ab nächstem Jahr erstmals eingesetzt. Die sind zwar deutlich teurer in der Anschaffung als die bisherigen Stapler, weil sie aber an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr ohne Fahrer arbeiten können, rechne sich der Einsatz trotzdem, heißt es bei Audi. Ebenfalls ab 2017 kurven fahrerlose sogenannte Flurförderzeuge durch eine erste Halle in Ingolstadt, die Anhänger mit Teilen zu ihrem Montageort ziehen sollen.

Lieferverkehr durch die Luft – auch in der Produktsionshalle

Konkurrenz bekommen diese Roboterwagen zudem womöglich bald aus der Luft. Simon Pierschinski leitet bei Audi das Drohnen-Projekt. Derzeit erproben er und seine Mitarbeiter zwei verschiedene Modelle: eine mit 350 Gramm extrem leichte Drohne mit vier Propellern, die zum Beispiel eine Autoantenne transportieren kann, und einen sogenannten Hexakopter mit sechs Propellern, der bis zu zwei Kilogramm schwere Lasten, also zum Beispiel ein Lenkrad, durch die Halle fliegen kann.

„Wir sehen in den Drohnen die Chance, die dritte Dimension der Logistik zu erschließen“, sagt Pierschinski. Am Boden der Fabrikhalle gibt es schon so viel Lieferverkehr, dass es durch die Luft einfach schneller geht. Bislang laufen bei Audi nur erste Vorversuche. Ob die Drohnen bald im echten Montagebetrieb eingesetzt werden, ist noch nicht entschieden.

Die größte Veränderung aber, die modulare Fertigung, ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern wird bereits nach und nach eingeführt. Ohne Fließband wird derzeit schon bei der E-Motorenfertigung in Ungarn und beim Bau des Sportwagens R8 gearbeitet. Als Nächstes folgen soll eine Vormontage in Ingolstadt.

„Ich glaube, die Technologien werden schneller Einzug halten, als wir heute glauben“, sagt Produktionsvorstand Waltl. Wie lange es dauern wird, bis alle Werke umgestellt sein werden, könne er zwar noch nicht sagen. Aber: „In zehn Jahren wird die gesamte Produktion völlig anders aussehen.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Arculus