Mehr als eine Kamera braucht es nicht, um die KI von Twenty Billion zu trainieren. Im Bild: COO Moritz Müller-Freitag

 

Er schaut ausdruckslos in die Kamera, hinter ihm eine Einbauküche aus hellbraunem Holz. Mit seinem Daumen zeigt er nach unten. Nach wenigen Sekunden ist das Video vorbei. Für seine Video-„Performance“ wurde der unbekannte Mann bezahlt – von Twenty Billion Neurons.

Das deutsch-kanadische Startup hat über Plattformen wie Amazons Mechanical Turk tausende Crowdworker angeheuert. Sie führen für das Unternehmen einfache Bewegungen durch: sie heben und senken den Daumen, nehmen Gegenstände vom Tisch oder Boden auf. Im Schnitt erhalten die Crowdworker für die Aufnahme, den Videoschnitt und das Hochladen des Clips rund 3,50 Dollar, berichtet Wired. Rund 30 Minuten dauert der ganze Prozess insgesamt. Mittlerweile sind mehr als zwei Millionen solcher kurzer Videos in der Datenbank, heißt es vom Startup.

Auf dieser Datenbasis entwickelt Twenty Billion Neurons eine Künstliche Intelligenz (KI), die Menschen und ihren Kontext verstehen soll. Bisher könnten Bilderkennungssysteme zwar Objekte identifizieren, sind aber in der Regel von menschlicher Autonomie noch weit entfernt. Twenty-Billion-Neurons-Mitgründer Roland Memisevic glaubt jedoch: Der Schlüssel zum kognitiven Verständnis liege in der Fähigkeit, Handlungen zu verstehen. Die Erstellung tausender Videos sei der einzige Weg um eine Datenbasis zu schaffen, mit der Maschinen etwas über die physische Umgebung lernen können. Deshalb bezahlt der Forscher und Gründer Crowdworker dafür, dass sie in ihren Wohnungen oder auch im Supermarkt verschiedene Gesten und Szenen nachstellen.

Mit dem visuellen Lehrmaterial trainiert er seine Software, die er später an Kunden in der Automobilbranche und im Einzelhandel verkaufen möchte. Medienberichten zufolge könnte das Programm etwa in Supermärkten zum Einsatz kommen. Die US-Kette Whole Foods beispielsweise wolle Roboter bauen, die Kunden beim Einkauf unterstützen. Daneben hat das deutsch-kanadische Startup auch mit BMW zusammengearbeitet. Der deutsche Automobilbauer erwägt, das Programm in halbautonomen Fahrzeugen einzusetzen. Mithilfe der Software können Autos erkennen, was die Menschen innerhalb des Fahrzeugs tun, ob sie beispielsweise einen Snack essen oder lesen. Das könnte den Fahrzeugen helfen zu erkennen, wenn ein Mensch bei der Fahrt nicht bereit ist, das Steuer zu übernehmen, erklärt uns Mitgründer Memisevic im Videointerview.

 

Bevor Memisevic im Jahr 2015 mit zwei Studienfreunden Twenty Billion Neurons gründete, war er Professor an der University of Montreal. Ausgebildet wurde er von Geoffrey Hinton, einer Koryphäe im KI-Bereich. Ursprünglich kommt der Gründer aus Deutschland, bis zu seinem Umzug nach Kanada hat er an der Universität Frankfurt als Juniorprofessor gelehrt.

Investoren glauben offenbar an das Potenzial des Unternehmens, das Memisevic heute gemeinsam mit Ingo Bax (CTO) und Moritz Müller-Freitag (COO) führt. Zuletzt hat das Trio zehn Millionen US-Dollar Funding eingesammelt, wie The Verge berichtet. Angeführt wurde die Finanzierungsrunde vom Softwarehersteller Microsoft, der über seinen Venture Fonds M12 investiert hat. Daneben hat sich unter anderem auch der Berliner VC Coparion an dem Unternehmen mit derzeit rund einem Dutzend Mitarbeitern beteiligt.

Wenn irgendwann also Roboter in Supermärkten beim Einkauf helfen oder die Gestensteuerung im Auto zur Serienausstattung gehört, könnte die Technologie dahinter von Twenty Billion Neurons kommen. Vielleicht erinnert sich dann der ein oder andere an die unzähligen Crowdworker, die im Hintergrund in mühevoller Kleinarbeit die Künstliche Intelligenz trainiert haben.

Bild: Screenshot / Twenty Billion Neurons
Video: Marco Weimer für Gründerszene und NGIN Mobility