Der Mobilitätsexperte Johann Jungwirth entwirft die Vision einer barrierefreien Mobilität.
Der Mobilitätsexperte Johann Jungwirth hat auf dem diesjährigen Mobility Circle in Hamburg die Vision einer barrierefreien Mobilität entworfen.

Wer nicht gehen, sehen oder hören kann, ein Baby auf dem Arm hat oder Einkaufstüten in der Hand, hat es mit herkömmlichen Mobilitätsangeboten schwer. Johann Jungwirth will das ändern. „Bei vielen Produkten haben wir nicht ideale Lösungen“, sagt der Executive Vice President of Mobility des Volkswagen-Konzerns. Jungwirth wirft beim Kongress MobilityCircle in Hamburg den Begriff des „Inclusive Design“ in die Debatte um die Zukunft der Mobilität. Inklusion bedeutet Teilhabe aller an allen Lebensbereichen.

Jungwirth verspricht bessere Lösungen und Produkte und zeigt als Beispiel den „oneButton“, mit dem dereinst selbstfahrende Autos herbeigerufen werden. Das ist der Prototyp eines Geräts, das der Fernbedienung des Apple TV ähnelt und das Smartphone ersetzen könnte. Es besitzt nur eine runde Taste mit Fingerabdruck-Sensor, die von Leuchtdioden umgeben ist. Sie leiten den Fahrgast zum Auto, ein Vibrationsalarm ersetzt die Dioden, so dass auch Sehbehinderte den Weg zum Fahrzeug finden. „Wenn wir nach diesem Design arbeiten, bauen wir bessere Produkte und Lösungen“, sagt Jungwirth. „Das ist Mobilität für alle auf Knopfdruck.“

Mensch im Mittelpunkt der Mobilität

Diese nächste Evolutionsstufe der Mobilität will Jungwirth mit „Human thinking“ erreichen – einer aus dem Problemlösungsansatz des Design Thinking abgeleiteten Methode. Bewegen uns die Produkte oder Dienstleistungen, sind sie mit Liebe zum Detail gestaltet? Sind sie schön? Lösen sie Probleme? Ist die Lösung smart? Verbessert es das Leben der Menschen? Bringt es die Gesellschaft weiter? Und schont es den Planeten, ist es nachhaltig?

Diese Strategie ist die jahrelange Schule des Silicon Valley, wo Jungwirth vor seiner VW-Zeit seit 2009 für Daimler und Apple tätig war. Was hat er dort gelernt und kennengelernt? „Die Offenheit in der Gesellschaft und die Offenheit in der Regulierung“, sagt er. Die Menschen dort hätte das Grundbedürfnis, etwas zu machen und etwas zu riskieren.

Allerdings hat er dort jüngst auch eine Veränderung des Mindsets festgestellt. Der Boom der Scooterplattformen ist dafür ein Beispiel, die über Nacht Städte mit Elektrorollern überschütteten. Man müsse die Städte mitnehmen und auch die Menschen, sozialverträglicher vorgehen, sagt der Automanager.

Zeitgeschenk durch Technologie

Während Jungwirth von Mobilität auf Knopfdruck spricht, will Volker Kaese, der führende Innovationsmanager bei Audi, seinen Kunden Zeit schenken. Er will „dem Kunden die 25. Stunde geben“. Dem Premiumkunden gehe es nicht darum, trocken von A nach B zu kommen. Elektromobilität, Mobilitätsdienstleistungen und in einigen Jahren auch das autonome Fahren sind für ihn Felder, die solche Quality Time schaffen. Technologien wie das Natural Language Processing (NLP) unterstützen als ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz dieses Bestreben. Im Premiumauto dreht man nicht mehr am Knopf der Klimaanlage, sondern sagt „Mir ist kalt“ – Die Maschine versteht das und schon wird es wärmer. Und in Zukunft wird sie noch viel mehr verstehen.

Ein kritischer Punkt sind die bei der Mobilität gewonnenen Daten. „Der Kunde glaubt in Europa, dass ihm die Daten gehören. Doch er ist vielleicht juristisch noch Eigentümer der Daten, besitzt sie aber schon lange nicht mehr, findet Daten-Skeptiker Kaese. Viel positiver sieht Jens Monsees, Chefstratege in Digitalfragen bei BMW, das nicht. Daten müsse man als Chance für neue Geschäftsmodelle begreifen. Jörg Ullrich, Verkaufschef von Ford in Europa, sagt dagegen: „Daten gehören dem Kunden.“ Er müsse einen Mehrwert haben, dann stelle er seine Daten auch bereit.

Nicht Google das Feld überlassen

Monsees mahnte aber, ein eigenes Ökosystem zu schaffen und dies nicht Google oder Apple zu überlassen. „Weniger als fünf Prozent aller Daten liegen auf europäischen Servern“, warnt er. Damit das sich ändert, beteiligt sich BMW am Bau eigener Datencenter. „Wir müssen mit unseren Partnern Standards setzen, sonst kommen Plattformen und räumen das auf“.

Der Appell, den amerikanischen eigene Plattformen entgegenzusetzen, kommt auch von Porsche. Deren Strategieberatung MHP mahnt dazu, plattformökonomische Macht aufbauen. „Heute haben wir noch die Zeit das zu tun“, sagt MHP-Partner Marcus Willand. Doch die Zeit drängt, denn die Oligopole der starken Plattformen dringen in Wertschöpfungsketten der Industrie ein.

Ein Startup als Vorbild für Konzerne

Willand appellierte an die Automobilindustrie, vom Fahrzeug loszulassen, offen zu sein, vom Service zu denken und gibt dafür ein einfaches Beispiel, den Getränkelieferdienst „Flaschenpost“. Weder Daimler noch Volkswagen hätten die Idee gehabt, mit 200 Lieferwagen Getränke im Großraum Mannheim ausliefern zu lassen, sondern ein Startup aus Münster. Die Industrie müsse neue Partnerschaften finden – seien es Mobilitätsdienstleister wie Stadtwerke oder vor dem Hintergrund der Elektromobilität Energiekonzerne.

Die Wertschöpfungsketten auf den Prüfstand zu stellen, mahnt auch Johann Jungwirth. Mit Mobilitätsdienstleistungen, Flottenmanagement und Content-Services könne im Zeitalter des autonomen Fahrens ein Vielfaches vom Verkaufspreis eines Autos erwirtschaftet werden. Aber: Europa ist bei dieser Technologie am langsamsten. Die USA und China hätten einen Wettbewerbsvorteil von vier Jahren. „Deshalb bin ich in den USA, weil das das erste Land ist, wo es geht.“

Bild: Volkswagen