Bild aus besseren Zeiten: Frau mit Moviepass-Fanartikel auf einem Festival im Frühjahr 2018

Als Moviepass am 26. Juli 2018 technische Schwierigkeiten meldete, klang es wie die Störungswarnung jedes x-beliebigen App-Betreibers. Vorübergehend könnten keine Tickets gekauft werden, man arbeite an einer Lösung, hieß es. Geduld bitte, business as usual.

Doch in Wirklichkeit war es der vorläufige Tiefpunkt in der Geschichte des Kino-Flatrate-Anbieters, der zuvor rekordverdächtiges Wachstum hingelegt hatte. Zu viel Wachstum, wie sich nun herausstellte.

Denn Moviepass war an diesem Donnerstag im Juli das Geld ausgegangen. Kein Serverabsturz, keine Hackerattacke, das Unternehmen aus New York konnte schlicht die für den Weiterbetrieb nötigen Zahlungen nicht mehr tätigen. Der Eigentümer musste einen Kredit über fünf Millionen Dollar aufnehmen, damit es weitergehen konnte. 

Es war ein Absturz, der sich lange Zeit wie ein Höhenflug angefühlt hatte.

2011 setzten Hamet Watt und Stacy Spikes ihre Idee einer Kino-Flatrate in die Tat um: Für einen bestimmten Betrag im Monat sollten Kunden eine bestimmte Anzahl von Filmen sehen dürfen. Wie viele und zu welchem Preis genau, damit experimentierte Moviepass in den folgenden Jahren. Hinter solchen Geschäftsmodellen steht die Hoffnung, dass ausreichend viele Nutzer die Flatrate nicht voll ausschöpfen. Ein Phänomen, das man von Fitness-Angeboten wie Urban Sports Club kennt: X Euro im Monat lohnen sich eigentlich erst ab Y mal Yoga, Bouldern oder Crossfit – aber der innere Schweinehund ist einfach stärker.

All-you-can-eat-Buffet für Filmfans

Bei Moviepass ging diese Rechnung nicht auf. Ende 2016 zählte das Unternehmen 20.000 Abonnenten, ein Jahr später schon eine Million, im Juni 2018 – kurz vor dem Crash – schließlich drei Millionen zahlende User. Die Kino-Flatrate hatte sich in ein Angebot verwandelt, das fast zu gut war, um wahr zu sein. Die New Yorker Datenanalysefirma Helios & Matheson übernahm im August 2017 die Mehrheit am Unternehmen. Zeitgleich führte Moviepass ein neues Preismodell ein: 9,95 Dollar im Monat für einen Film pro Tag. In den USA, wo meist schon eine einzige Kinokarte mehr kostet, war das wie ein All-you-can-eat-Buffet für Filmfans. 

Doch das Wachstum hatte seinen Preis. Genauso schnell wie die Nutzerzahlen stiegen, verbrannten die Geldreserven. Zweimal gewährte Helios Moviepass Millionenkredite, die es schließlich in weitere Anteile am Unternehmen umwandelte. Das Ziel der Datenanalysten: Die Zahl der Nutzer in die Höhe treiben, ihre Kinogewohnheiten auswerten und in personalisierte Werbung umsetzen. „Je besser wir unsere Fans verstehen, desto gezielter können wir sie ansprechen“, erklärte Helios-Chef Ted Farnsworth.

DIE GRÜNDERSZENE AWARDS

Wir küren in diesem Jahr erneut die am schnellsten wachsenden Digitalunternehmen Deutschlands. Es werden die 50 Firmen mit dem besten Wachstums-Score ausgezeichnet. Unser gesamtes Magazin mit allen Teilnehmern und Artikeln könnt Ihr hier herunterladen.

Es ist das Big-Data-Glaubensbekenntnis: Reichweite, Reichweite, Reichweite. Möglichst viele Menschen erreichen, egal wie teuer es ist. Irgendwann kippt das Ganze schon in die Profitabilität, weil man ja genug Daten angehäuft hat, die man verwerten kann.

Doch diesen Turnaround schaffte Moviepass nie, trieb stattdessen den ruinösen Wachstumskurs weiter, bis beinahe nichts mehr übrig war. Die Aktie von Eigentümer Helios & Matheson verlor von Anfang 2018 bis zum Herbst mehr als 99 Prozent ihres Werts. Der Imageschaden war so groß, dass Helios Ende Oktober ankündigte, die defizitäre Kino-Flatrate wieder in ein eigenes Unternehmen ausgliedern zu wollen. 

Beobachter wundern sich derweil, wie Moviepass den Sommer überstehen konnte. Das Unternehmen experimentierte mit neuen, weniger hanebüchenen Preismodellen – während nachhaltiger wirtschaftende Konkurrenten wie AMC A-List, Sinemia oder Cinemark Movie Club erste Erfolge zu feiern begannen. 

„Wachstum ist die unerlässliche Basis für ­ein funktionierendes Unternehmen“, haben wir im vergangenen Jahr an dieser Stelle geschrieben. Moviepass ist ein warnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn es zur einzigen Maxime wird.

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Bild: Getty Images / Joe Scarnici