Schaukelt die Geschäfte: Christian Schmalisch kam in Indien auf die Idee für sein Startup.

So mancher Paketinhalt, der bei MyGermany eintrudelt, ist kurios: Ein Kunde aus Saudi-Arabien ordert einen Dildo, deklariert als Medizinutensil. Ein Indonesier bestellt Ersatzteile für ein altes Mofa-Modell. Und in Hongkong gefällt jemandem eine deutsche Küche so gut, dass er sie per Schiff geliefert haben möchte. Der Dildo, die Mofa-Ersatzteile und die Küche stammen aus deutschen Onlineshops wie Otto, Tchibo oder der deutschsprachigen Seite von Ebay-Kleinanzeigen. Das Startup MyGermany leitet sie an Kunden im Ausland weiter und übernimmt die Logistik und Zollabwicklung. Nicht selten ist der Paketinhalt ziemlich kurios.

Dass Amerikaner, Indonesier und Chinesen nicht bei deutschen Onlineshops bestellen können, hat unterschiedliche Gründe: Einige Plattformen akzeptieren keine ausländischen Kreditkarten, manche Kunden verstehen die deutsche Sprache auf der Website nicht, wollen das Produkt aber unbedingt haben. In wieder anderen Fällen versenden die hiesigen Onlineshops nur innerhalb der eigenen Landesgrenze.

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Christian Schmalisch kennt das Problem. Er hat selbst mehrere Jahre lang in Indien gelebt, Produkte aus Deutschland konnte er sich in der Zeit nicht liefern lassen. Zurück in der Heimat, hat er eine Möglichkeit entwickelt, dieses Problem zu umgehen. 2015 gründete er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Christian Krause das Startup MyGermany: „Unser Lager in Weimar stellt für unsere Kunden aus dem Ausland eine virtuelle Lieferadresse mit eigenem Lagerplatz in Deutschland dar“, erklärt der 37-Jährige das Prozedere. Dildo, Ersatzteil oder Küche werden an diese Ersatzadresse geliefert. Wenn nötig, fügen die MyGermany-Mitarbeiter Papiere für den Zoll hinzu, packen das Paket neu ein und schicken es dann weiter auf die Reise über den großen Teich. „Die meisten Kunden haben wir in den USA, gefolgt von Asien“, sagt Schmalisch. 

Neu ist die Idee einer Paketweiterleitung nicht. In den USA gibt es solche Dienste schon seit etwa 20 Jahren, einer der bekanntesten Anbieter ist MyUS, der die deutsche Kopie offenbar zu ihrem Namen inspiriert hat. Das Geschäftsmodell birgt auch Risiken, wissen die MyGermany-Gründer. In den vergangenen zwei Jahren haben zwei Unternehmen mit einem ähnlichen Angebot ihren Betrieb eingestellt, darunter das vom Logistikkonzern DHL finanzierte Borderlinx. Ein Grund mögen die vielen Versuche sein, Drogen über die Paketdienste zu schicken. Die Erfahrung hat auch MyGermany gemacht, regelmäßig seien LSD und MDMA in den Paketen versteckt, sagt Gründer Schmalisch.

Um sich gegen die Ermittlungen der Polizei zu schützen, gelten bei dem Unternehmen hohe Sicherheitsanforderungen: Jeder Kunde, der sich bei MyGermany registriert, muss persönliche Daten hinterlegen und einen symbolischen Euro bezahlen, damit die Bankverbindung verifiziert werden kann. Bestehe der Verdacht auf Betrug, würde zunächst der Händler kontaktiert, und die Paketzustellungen würden im Zweifel abgelehnt. „Knapp jeder dritte Kunde wird von uns nicht aufgenommen“, sagt der Gründer. Außerdem arbeite man eng mit der Polizei und Sicherheitsdiensten zusammen und präpariere beispielsweise entdeckte Drogen-Pakete mit einem GPS-Sender: „In London wurden auf diese Art und Weise bereits Kriminelle festgenommen.“

24 – MyGermany

Score: 35,63 (CAGR: 180%)
Gründungsjahr: 2015
Firmensitz: Weimar
Branche: Lifestyle & Consumer Goods
Webseite: www.mygermany.com

Das risikoreiche Geschäft lohne sich, sagt Schmalisch, der sein Unternehmen bisher aus eigenem Ersparten finanziert hat. Je nach Zielland und Größe des Pakets seien Margen bis zu 120 Euro drin, sagt er. Grundsätzlich gelte: Je größer und schwerer das Paket und je weiter der Weg, desto mehr Geld zahle der Kunde für den Transport. Im vergangenen Geschäftsjahr machte das Startup mit seinen derzeit rund 10.000 registrierten Kunden einen Umsatz von knapp 900.000 Euro, doppelt so viel wie im Jahr zuvor.

Neben Privatkunden will MyGermany nun Geschäftskunden für sich gewinnen. Denn vor allem kleine und mittelständische deutsche Händler scheuten Aufwand und Risiken, einen internationalen Markt anzusprechen. Ende des Jahres soll eine Onlineplattform starten, über die deutsche Shops ihre Ware direkt an ausländische Kunden verkaufen können. Schmalisch vertraut darauf, dass die Nachfrage nach Produkten entsprechend hoch ist – auch über Dildos und Fahrzeugersatzteile hinaus. 

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Bild: MyGermany