„Das Büro ist ein wichtiger Identifikationsfaktor für unsere Teams“, sagt der Adjust-CEO. Momentan stehen die Räume – hier in Tokio – aber leer.
Momentan stehen fast alle Adjust-Büros leer. Dieses hier, in Tokio, ließ sich das Startup eine Million Euro kosten. 

Dieser Text erschien zuerst am 23. März 2020. Weil er besonders viele Leserinnen und Leser interessiert hat, veröffentlichen wir ihn an dieser Stelle erneut.

Adjust ist eines der größten Software-Unternehmen Berlins. Seit dem Start im Jahr 2012 wuchs die Firma von Gründer Christian Henschel auf 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 13 Ländern – darunter China, Japan, Singapur und Frankreich. Das Team bekommt die Corona-Krise also nicht nur in Deutschland, sondern weltweit hautnah mit.

Das Startup bietet Tools an, mit denen Unternehmen das Nutzerverhalten in ihren Apps und ihre Marketingaktivitäten analysieren können. In 32.000 Apps werde das Tool angewendet, heißt es von Adjust. Investoren finanzierten das Unternehmen voriges Jahr mit mehr als 200 Millionen Euro.

In der Corona-Krise geht das Geschäft für Adjust weiter, so wie für viele Tech-Startups. Nur eben nicht in den Büros, sondern von den Wohnungen der Mitarbeiter aus. CEO Henschel hält es in dieser Phase wie die ganz Großen: Er ließ für sein Team einen Homeoffice-Zuschuss springen – 500 Euro für jeden. Das hat etwa auch Facebook für seine Zehntausenden Mitarbeiter getan. Was erhofft sich der Gründer davon? Und wie managen Henschel und sein Team die Zusammenarbeit in der Corona-Krise? Wir haben mit ihm über die aktuelle Lage bei Adjust gesprochen.

Christian, wie viele eurer Mitarbeiter sind im Homeoffice?

Fast alle. Nur in Berlin und San Francisco sitzt noch jemand am Empfang, um Pakete oder Handwerker in Empfang zu nehmen. Sowohl in Japan als auch in China kommen die Mitarbeiter aber langsam wieder zurück. In Japan gehen schon 20 Prozent der Leute wieder ins Office, in China ist es noch etwas restriktiver. Dort wird am Eingang des Bürogebäudes jede Person auf erhöhte Temperatur getestet. In Anbetracht der Lage ist das, denke ich, auch angebracht.

Ihr habt jedem Mitarbeiter für die Homeoffice-Phase 500 Euro gegeben. Wieso?

Mit diesem Budget dürfen die Mitarbeiter ihr Homeoffice-Setup besser gestalten. Ob das jetzt ein neuer Bürostuhl ist, ein Monitor oder eine Playstation.

Was hat eine Playstation mit dem Homeoffice zu tun? Und dürfte man sich von dem Geld auch ein neues Bett oder etwas ganz anderes kaufen?

Ja. Das Ziel ist es, das Arbeiten von zu Hause leichter zu machen. Und da vertrauen wir den Mitarbeitern einfach, dass sie selber am besten wissen, was sie dafür brauchen. Es ist schwer, für fast 500 Menschen weltweit genau die eine Sache zu finden, die den Alltag erleichtert. Wir glauben, dass es so die beste Lösung ist.

Wie seid ihr auf die Idee für das Homeoffice-Budget gekommen?

Wir mussten aufgrund der aktuellen Entwicklungen unseren Company Retreat leider streichen, beziehungsweise hoffen darauf, ihn später nachholen zu können. Daraus entstand dann die Frage, was wir eigentlich machen können, um jeden Einzelnen am besten zu unterstützen. Das Homeoffice-Budget war am Ende die Lösung, die wir präferiert haben.

Haltet ihr so einen Zuschuss für wichtig, um die Mitarbeiter – insbesondere das Tech-Team – in dieser Phase zu halten?

Wir wissen, dass nicht jedes Unternehmen in der Lage ist, solche Initiativen durchzuführen. Bei einigen geht es teilweise ums Überleben. Wir sind hier also in einer sehr glücklichen Situation und die haben wir ja zum größten Teil den Mitarbeitern zu verdanken. Von daher erscheint mir der Schritt, etwas zurückzugeben und sich gegenseitig zu unterstützen, recht logisch.

Bekommen auch diejenigen Angestellten weiter volles Gehalt, die etwa wegen der Kinderbetreuung nun weniger arbeiten können?

Jeder bekommt sein volles Gehalt. Wichtig ist es für uns, dass wir und unsere Mitarbeiter für unsere Kunden und Partner da sind. Wir haben für unsere Mitarbeiter vor langer Zeit schon Vereinbarungen mit Trägern geschlossen, die in Notfällen da sind und helfen, Kinder zu betreuen. Aber klar, in unserem Slack-Channel für Eltern schreiben viele, wie anstrengend das Homeoffice-Leben als Mutter oder Vater ist.

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Ihr musstet nacheinander die Büros allen Ländern dicht machen. Wie lief das ab?

In diesem ganzen Unglück hatten wir den Vorteil, dass wir recht früh mit der Situation konfrontiert waren. Wir mussten uns schon im Januar mit dem Thema Homeoffice auseinandersetzen, weil wir Büros in China haben. Im Januar haben wir die Büros in Peking und Shanghai geschlossen, im Februar ging es in Tokio weiter. Im März kamen dann die weiteren Länder dazu. Asien scheint die Lage inzwischen schon recht gut unter Kontrolle zu haben, weil dort sehr hart durchgegriffen wurde. In Berlin haben wir uns daran orientiert und das Büro schon sehr früh geschlossen. Bereits vor drei Wochen haben wir optionales Homeoffice eingeführt, eine Woche später haben wir dann gesagt: alle müssen zuhause bleiben.

Wie ist die Stimmung in den einzelnen Ländern?

Wir hatten schon immer eine starke Work-from-Home-Kultur. Die Frage, was so eine lange Homeoffice-Phase mit den Leuten macht, ist aber durchaus interessant. Es gibt eine These, die sagt, dass nach der Corona-Krise mehr im Homeoffice gearbeitet wird, weil die Leute jetzt die Vorteile davon mitbekommen. Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich glaube ein Büro ist nicht nur ein Betonkasten mit Schreibtischen, sondern ein wichtiger Identifikationsfaktor für unsere Teams. Unsere Mitarbeiter fragen uns schon, wann sie endlich wieder ins Büro dürfen. Sie wollen sich wieder mit anderen austauschen, von Angesicht zu Angesicht.

Teamevents fallen fürs Erste flach. Wie geht ihr damit um?

Wir haben alle Events auf den Winter oder auf 2021 verschoben. Aber einige Maßnahmen setzen wir auch in der Homeoffice-Zeit um. Zum Beispiel wollen wir mittags ein Live-Kochvideo machen, wo sich jeder zuschalten und mitkochen kann. Zudem setzen wir ein Online-Kommunikationstraining auf. Das ist wichtig, weil wir gerade fast nur virtuell kommunizieren. Gerade auf Slack kann sich vieles hochschaukeln, wenn jemand etwas falsch versteht. Die Homeoffice-Situation kann aber auch witzig sein. Ich habe zum Beispiel sicher schon die Hälfte aller Kinder meiner Mitarbeiter gesehen und bestimmt auch ein Viertel aller Haustiere. Das lässt sich gar nicht vermeiden, wenn alle zuhause sind und ständig Videokonferenzen stattfinden.

Andere Teammitglieder wiederum sitzen allein im Homeoffice.

Ja, darüber haben wir uns gerade erst mit unseren Coaches ausgetauscht. Wir denken darüber nach, jetzt ein Angebot für diejenigen zu starten, die sich sehr einsam fühlen und niemanden haben, mit denen sie darüber sprechen können. Manche Mitarbeiter kommen aus dem Ausland und sind allein ohne Familie in Berlin. Das ist psychisch nicht leicht. Für sie wollen wir eine Video-Hotline mit den Coaches einrichten.

Wie ist diese Zeit für dich als CEO?

Dadurch, dass wir 16 Büros in verschiedenen Ländern haben, war es für mich nichts Neues, sich mit Leuten über Video- oder Telefonkonferenzen auszutauschen. Aber klar, die fehlenden Reisen schränken mich teils ein. Ich bin gern bei den Teams und den Kunden vor Ort. Ein bisschen schade war auch, dass wir in Tokio im Februar ein riesiges Office bezogen haben, in das wir fast eine Million Euro gesteckt haben. Ich wollte gerade meinen Trip nach Japan für die Eröffnungsparty planen. Das zu canceln und das nagelneue, schöne Büro leerstehend zu wissen, war natürlich bitter. Man darf aber auch bei allen Schwierigkeiten nicht vergessen, was beispielsweise Ärzte oder Krankenschwestern gerade zu leisten haben – mein größter Respekt gilt diesen Menschen.

Beeinflusst Corona euer Geschäftsmodell – wird Mobile-Marketing in Krisenzeiten weniger interessant?

Die Leute verbringen jetzt mehr Zeit an ihren Smartphones, wir sehen einen deutlichen Zuwachs an Traffic. Umsätze sind uns bisher nicht weggebrochen, im Gegenteil, wir wachsen weltweit weiter. Zudem sind wir ja auch seit fünf Jahren profitabel und haben ausreichend Polster bilden können. Wir schauen daher positiv in die Zukunft.

Wie sieht dein Homeoffice gerade aus?

Ich habe mir in meinem Ferienhaus in Brandenburg ein Mini-Büro eingerichtet, wo ich die meiste Zeit verbringe. Von neun Uhr morgens bis abends sitze ich hier und habe die meiste Zeit (Video-)Telefonate. 

Liebe Gründerinnen und Gründer, was macht ihr, um die Homeoffice-Phase für euer Team so angenehm und produktiv wie möglich zu gestalten? Schreibt mir gern von euren Tipps und Erfahrungen: pauline.schnor@gruenderszene.de. 

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Bild: Adjust