Protonet-Chef Ali Jelveh (l.) mit Deutschlandchef Marc Gleitsmann

Sie waren erfolgsverwöhnt. Für seine kleinen orangefarbenen Server feierte die Öffentlichkeit das Hamburger Startup Protonet. Den Kunden wollten Ali Jelveh und Christopher Blum eine private, sichere Cloud verkaufen. Ihre Vision begeisterte auch die Crowdinvestoren: Mehrfach knackte Protonet Finanzierungsrekorde – und zog in den berühmten Y Combinator ein.

Doch die Vision ging vorerst nicht auf. Im vergangenen Jahr musste Protonet Insolvenz anmelden – eine Finanzierung war geplatzt, hieß es damals. Seitdem ist es eher ruhig um das Hamburger Unternehmen geworden, der Betrieb lief jedoch im Hintergrund weiter.

Ein knappes Jahr später sucht Protonet nun wieder die Öffentlichkeit. Gründer Ali Jelveh spricht im Gründerszene-Interview ausführlich über die schwierige Zeit – und darüber, wie er mit seinem Startup von der neuen Datenschutzgrundverordnung profitieren will.

Ali, im vergangenen Frühjahr war Protonet pleite. Einige Monate später verkündete der Insolvenzverwalter, jemand wolle das Startup kaufen. Seitdem ist es still geworden. Was ist passiert?

Nachdem klar war, dass wir von den Investoren kein Geld mehr bekommen, bin ich aus dem Valley nach Deutschland geflogen. Wir mussten Insolvenz anmelden. Ich bin zum Gericht gefahren und da saß jemand, der nicht einmal für uns aufgestanden ist. Er sagte: ‚Legen Sie das da hin, wir melden uns.‘ Es war extrem unspektakulär dafür, dass so viele Menschen sehr viel Herzblut in das Unternehmen gesteckt hatten. Wir haben einem Online-Medium die Nachricht geschickt – und dann die Telefone ausgestellt. Wir saßen im Büro und es war Doomsday-Stimmung. Nach einiger Zeit begannen viele Kunden sich bei uns zu melden, die sagten: ‚Shit, unser ganzen Unternehmen läuft mit euer Kollaborations-Software Soul. Wie machen wir jetzt weiter?“

Wie hast du reagiert?

Ich bin nachdenklich geworden: Was würde ein Amerikaner tun, wenn er merken würde, dass es diese Nachfrage gibt? Er würde das Unternehmen extrem schlank aufstellen. Viel automatisieren, ein kleines Team aufbauen – und er würde weitermachen.

Du hast dann das Unternehmen aus der Insolvenz gekauft.

Ja. Ich habe mir privates Geld von einem Investor geliehen, der auch ein Freund ist. Wir haben die Insolvenzmasse gekauft. Ich kümmere mich aus San Francisco um die Technik – dass die Server laufen und es weitere Updates gibt, während es für Deutschland einen starken Chef gibt, Marc Gleitsmann. Ich habe zu ihm gesagt: Der Umsatz ist null. Du wirst erst einmal nichts bekommen, ich bekomme nichts. Aber es gibt die Chance, dass es für alle Beteiligten ziemlich geil wird.

Gab es andere Interessenten?

Der Insolvenzverwalter hat versucht, Protonet zu verkaufen, aber das Firmenkonstrukt war zu kompliziert. Eine US-Firma, die deutsche Tochter und 1.500 Seedmatch-Investoren, die an der amerikanischen Gesellschaft beteiligt sind.

Wie läuft das Geschäft mittlerweile?

Im vergangenen Sommer haben wir angefangen mit den 2.500 Unternehmen zu sprechen, die einen Protonet-Server haben. Wir verkaufen jetzt den Support und die Updates via Lizenzmodell. Das nutzen aktuell 380 Unternehmen, es werden Tag für Tag mehr. Wir machen auf die vergangenen zwölf Monate gerechnet einen sechsstelligen Umsatz. Es ist nicht viel Luft, alles was eingeht, bekommen die Leute, die dafür sorgen, dass es funktioniert.

Warum sind nur 380 der 2.500 der Kunden bislang in das Paid-Modell gewechselt?

Nach der Insolvenz war die Verunsicherung unter den Kunden schon sehr groß. Heute, nach einem Jahr ist der erste Schritt des Turnaround geschafft. Wir schreiben unsere ersten schwarze Zahlen und es kommen täglich alte, aber auch ganz neue Kunden dazu. Durch die Datenschutzgrundverordnung bekommt das Thema wieder Aufwind.

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Schon damals waren einige Kunden nicht begeistert, als ihr angekündigt habt, dass der Support künftig etwas kostet.

Viele waren wütend und haben gesagt: ‚Wir haben doch Lizenzen auf Lebenszeit für den Support.‘ Und wir mussten antworten, dass dieses Leben mit der Insolvenz leider zu Ende ist. Nach einem kurzen Gespräch kam dann die Einsicht und das Verständnis, einige waren selbst schon mal pleite und kannten die Situation. Kunden ohne dieses Paket können die Server auch weiter nutzen, bekommen aber keine Updates und keinen Support.

War es im Rückblick ein Fehler, die Server für einige tausend Euro zu verkaufen – mit kostenlosem Support?

Im Nachhinein ist das so offensichtlich: Es war der größte Fehler, den ich gemacht habe. Weil wir kein Modell mit wiederkehrenden Umsätzen hatten. Darauf setzen wir jetzt ganz den Fokus. Von einem Überlebenskampf sind wir an einem Punkt, an dem wir wieder etwas aufbauen können.

Wie viele Mitarbeiter sind noch übrig geblieben?

Wir haben fast keine festen Mitarbeiter mehr. Je nach Aufwand sind wir zwischen sechs und zwölf Leute.

Dein Mitgründer Christopher Blum ist auch nicht mehr an Bord.

Er ist ein unglaublich guter Entwickler und Unternehmer und hilft uns immer wieder. Ich schicke dann ein ‚Batsignal‘. Sonst arbeitet er für große deutschen Unternehmen.

Wenn das Geschäft für Protonet wieder besser läuft, wollt ihr dann neue Investorengelder suchen?

Das kann gut sein. Ich schicke regelmäßig einen Report an unsere bestehenden Investoren raus und merke, wie sich die Gespräche verändern. Sie hatten ihr Investment in Protonet abgeschrieben und sehen plötzlich, dass es jetzt vielleicht doch funktioniert.

Eure Crowdinvestoren sind weiterhin an der amerikanischen Firma beteiligt, die keine Insolvenz angemeldet hat. Sie würden also an einem zukünftigen Erfolg teilhaben.

Sobald wir wirklich erfolgreich sind und nicht nur eine schwarze Null schreiben, ist ein richtiger Return denkbar. Durch meine Kontakte im Valley besteht die Chance, dass etwas Ordentliches dabei herauskommt.

Vor zwei Jahren seid ihr mit der Crowd aneinander geraten. Damals ging darum, dass die Firma in eine amerikanische Inc überführt wird – und dadurch die Crowd-Anteile verwässerten. Das hat sie geärgert. Würdest du im Rückblick anders kommunizieren?

Die Protonet-Gründer Ali Jelveh (links) und Christopher Blum
Protonet-Chef Ali Jelveh (l.) mit Deutschlandchef Marc Gleitsmann

Ali Jelveh: Wenn es dein Ziel ist, auf dem Mars zu landen, kannst du es nicht zur Priorität machen, dass jeder versteht, warum du auf den Mars möchtest. Den Frust kann ich dennoch total nachvollziehen. Auch hatte ich bei einigen unserer Crowdinvestoren ein bisschen das Gefühl, sie dachten, dass sie auf ein sicheres Pferd setzen. Dabei gibt es eine Mentalität, die uns in Deutschland fehlt: Der US-Investor Tim Draper, der gedanklich sein Investment in Protonet schon abgeschrieben hatte, sagte zum Beispiel trotzdem zu mir: ,Komm, lass uns was Neues machen.‘

War Crowdfunding dann nicht das falsche Mittel zur Finanzierung? Viele dieser Investoren wollen abgeholt werden.

Wenn wir als Gesellschaft erfolgreich werden wollen, müssen wir verstehen, dass so ein Investment ein hohes Risiko birgt. Ich kaufe auch Aktien von Tesla und SpaceX. Ich finde geil, was die machen. Mir ist bewusst, dass die Milliarden Verluste einfahren, aber ich will solche Produkte auf der Welt haben. Deswegen spekuliere ich darauf.

Die Crowdinvestoren hatten also zu viel Angst vorm Risiko?

Es geht mir gar nicht darum, irgendwelche Vorwürfe zu machen. Ich bin sehr, sehr dankbar für die Unterstützung. Wir wären ohne sie nicht dort, wo wir sind. Was fehlt, ist langfristige Unterstützung. In Deutschland gibt es so ein Schön-Wetter-Commitment. So lange es gut geht, halten wir zu dem Unternehmen und wenn es nicht gut läuft, wird gefragt: Die Idioten, was haben die denn gemacht? Was ich mir wünsche, ist das Commitment unabhängig vom Wetter.

Wie ist die Stimmung unter den Crowdinvestoren aktuell?

Wir schreiben die Quartalsberichte und Updates zu unser Software. Die Stimmung hat sich gedreht. Außer einer Handvoll Investoren, die sich immer beschweren. Doch das ist nicht mehr die Einheitsmeinung – und sie bekommen Gegenwind von den anderen Beteiligten. Meine Hoffnung ist, dass die Community jetzt wieder entflammt. Seit dem letzten Sommer war unsere Außenkommunikation nicht die Priorität. Wir mussten das Wasser aus dem Boot holen.

Als gehyptes Startup der deutschen Szene habt ihr vor einem Jahr – in eurer Krisenzeit – sehr im Rampenlicht gestanden. Wie siehst du das im Rückblick?

Eine Zeit lang waren wir tatsächlich das Vorzeige-Startup Deutschlands. Und dann wurde ich persönlich zum Bösewicht der deutschen Startup-Szene erklärt, der barfuß durch das Büro läuft. Einige haben behauptet, dass ich mich abgesetzt hätte. Tatsächlich lag ich nächtelang allein in meinem Zimmer im Valley – in Fötus-Stellung und habe gebangt, dass wir die Finanzierung doch noch bekommen. Dieses Bashing gehört offenbar zum Menschen dazu.

Wann war dir klar, dass es nicht mehr klappt?

In den Monaten vor der Insolvenz haben wir mit einem großen Team in Hamburg und ein paar Leuten im Valley intensiv darüber nachgedacht, wie wir Protonet zum Fliegen bringen. Dabei ist uns ist klar geworden: Es funktioniert so nicht, egal, wie viel Geld wir einsammeln. Das ist, als würde man Geld in einen Ofen schippen. Wir haben den Fokus stark auf unsere Kollaborationssoftware Soul gelegt, weil die Leute sie wirklich nutzen und wollten sie deswegen zum Produkt machen. Es war unglaublich schwer, die 30 Mitarbeiter in Hamburg – innerhalb der kurzen Zeit, die uns blieb – von dieser neuen Vision zu überzeugen und mitzunehmen. Ich hatte sie durch so viele Nadelöre geführt. Ich habe die Müdigkeit gespürt.

Und die Investoren?

Wir haben Auswertungen und Business-Pläne gemacht, währenddessen wurde das Geld knapper. Unser größter Einzel-Investor Tim Draper hörte sich den Plan und sagte: ‚Hast du mal überlegt, den Stecker zu ziehen?’ Ich war völlig außer mir und habe die Idee die nächsten 15 Minuten lang verteidigt. Seine Aussage war dann: ,Ich glaube an dich. Mach doch lieber diese AI-Idee, von der du mir erzählt hast. Ich schreibe dir den ersten Scheck.‘ Es war klar, dass wir das Geld nicht zusammenkriegen, wenn Draper nicht wieder in Protonet investiert – und dass wir Insolvenz anmelden müssen. Ich bin nach Hause gegangen und hab lange darüber nachgedacht.

Hast du das Angebot angenommen?

Wenn jemand wie Tim Draper dir sagt, er finanziere dich, egal, was du als nächstes machst, ist das schwer abzulehnen. Details verraten wir noch nicht.

Würdest du für deine neue Firma Geld von Crowdinvestoren holen?

Ehrliche Antwort: eher nicht.

Aus welchem Grund?

Das erste Geld für die neue Firma kam als eine Wette auf mich persönlich. Wir hatten noch kein Geschäftsmodell abgeliefert, wir wussten nicht einmal, was wir genau machen wollen. Wir hatten nur eine Vision. Bei unserem zweiten Investor lief das ähnlich. Mit Crowdfunding wäre das nur schwer möglich. Die Geldgeber im Valley sind nicht so gefangen von der Vergangenheit. Die sagen sich: Er wird schon
was daraus gelernt haben. So ein 100-Millionen-ICO wäre nicht schlecht. Darüber denken wir bei einem Feierabend-Bier nach. Wenn du im Valley einen Bekannten triffst, der gerade 40 Millionen per ICO eingesammelt hat, fragst du dich: ‚Mmh, machen wir etwas falsch?‘

Bild: Protonet