Es darf geschnüffelt werden. Manchmal muss sogar geschnüffelt werden, wenn Online-Käufer bestimmte Produkte an den Absender zurückschicken. „Von der Socke bis zum Fernseher“, verspricht beispielsweise Europas größter Zweitvermarkter Avides, reiche der Service für die Händler bei der Prüfung von Retouren.

Im Zweifelsfall muss dann bei der Socke wohl auch schon mal ein Mitarbeiter mit der Nase ran und – sagen wir mal: olfaktorisch – entscheiden, ob und wie lange Socken womöglich ein Paar Schweißfüße umhüllten und was das für das weitere Verfahren bedeutet: Wiedereinspeisen in den Warenstrom, Waschen oder Wegschmeißen.

Nicht nur über Amazon-Geschäftspartner Avides, über den Online-Handel insgesamt ergießt sich täglich ein gewaltiger Strom von Rücksenkungen. Denn das deutsche Fernabsatzgesetz garantiert jedem Käufer das Recht, Artikel innerhalb von 14 Tagen ohne Begründung und meist auch ohne Zusatzkosten zurückzusenden. Davon wird rege Gebrauch gemacht. Nach moderaten Schätzungen liegt die durchschnittliche Retourenquote bei etwa fünf Prozent. Das entspräche Rücksendungen im Wert von über 2,5 Milliarden jährlich zu Endkundenpreisen. Täglich landen damit Hunderttausende Pakete und Päckchen wieder bei den Absendern.

Ein Teil der Ware wird vernichtet. ZDF und Wirtschaftswoche berichteten über geschredderte Hausgeräte, eingestampfte Smartphones und zermalmte Matratzen. Die Empörung ist gewaltig. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth sprach von einem „riesengroßen Skandal“, der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer bezeichnete die Praxis als unverantwortlich, und Greenpeace forderte ein gesetzliches Verschwendungsverbot. Im Zentrum des Ärgers steht natürlich Amazon – schon weil hier die größten Mengen anfallen.

Ist die Rücksendelust zu dämpfen?

„Gut findet Retouren niemand, vermeiden können sie die wenigsten“, fasste schon vor Monaten das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI seine Erkenntnisse zum Thema Rücksendungen nach einer umfangreichen Studie zusammen. Doch der Handel tut sich schwer mit plausiblen Erklärungen für die Vernichtungspraxis angesichts der Bilder von voll funktionsfähigen Geräten vorm Schredder, obwohl sie doch für viele Konsumenten Gegenstand unerfüllter Konsumwünsche sind und wertvolle Rohstoffe in ihnen stecken.

Logistikzentren seien eben nicht nur für einen einzigen Händler oder Standorte tätig, sondern zentral für eine Vielzahl von Regionen und Anbietern, sagte eine Sprecherin des Bundesverbands E-Commerce- und Versandhandel (bevh): „Dort wird daher angesichts der enormen Mengen oft einzelner Artikelpositionen konzentriert augenfällig, was im stationären Handel durch die breite Zahl der Lager- und Verkaufsstellen unsichtbar erfolgt.“ Mit anderen Worten: Hier sei eine Praxis besonders deutlich erkennbar, die in der Fläche immer schon stattgefunden habe.

An der Wurzel wäre das Problem nur anzupacken, würden die Händler die Rücksendelust der Kunden dämpfen, etwa durch das Erheben von Gebühren oder eingeschränkte Kulanz. Doch das traut sich kaum ein Kaufmann. Er würde sein Geschäft riskieren. In einer Umfrage gaben 77 Prozent der Deutschen an, die Möglichkeit einer unkomplizierten Rücksendung sei „ziemlich wichtig für meine Entscheidung“. Die Deutschen gelten denn auch als Europameister im Zurückschicken. Nach Daten der skandinavischen PostNord aus 2017 hatten binnen zwölf Monaten 51 Prozent der Deutschen mindestens einmal Artikel zurückgeschickt. In keinem anderen der etwa ein Dutzend verglichenen Länder lag die Quote ähnlich hoch.

Schon aus wirtschaftlichen Gründen haben die Händler laut EHI ein erhebliches Eigeninteresse daran, die Verluste durch Entsorgung so gering wie möglich zu halten. Rund 70 Prozent des zurückgesandten Artikel sind nach der Studie der Kölner Handelsforscher, die sich bei 105 Unternehmen umgehört hatten, noch als A-Ware für den Verkauf geeignet. Ein knappes Drittel geht also andere Wege. „Kostentreiber Nummer eins ist die aufwendige Prüfung, Sichtung und Qualitätskontrolle der Artikel“, so die Studie. Sie reicht von Funktionstests bei Elektrogeräten bis zur Sichtung auf Gebrauchsspuren bei Jeans, T-Shirts oder Sommerjacken.

Kosten liegen im Schnitt bei zehn Euro pro Fall

Die Rücksendequoten sind extrem unterschiedlich. Bekleidung und Textilien gelten generell als Warengruppe mit der höchsten Retourenanfälligkeit, aber auch Elektrogeräte, IT-Hardware und Sportartikel gefallen den Käufern oft nicht – Tendenz steigend. Auch bei den Firmen variiert der Anteil der Rücksendungen stark. Während Amazon sich dazu zunächst nicht äußern mochte, versicherte ein Sprecher der Otto Group, nur wenige Waren würden als nicht mehr neuwertig aussortiert: „Ihr Anteil liegt in der Regel bei unter einem Prozent der retournierten Waren. Fast alle Retouren können nach einer Prüfung sofort wieder in den Verkauf gehen.“ Ein kleiner Teil müsse optisch aufbereitet werden, etwa durch Entfernen von Fingerspuren an TV-Screens.

Alles in allem kosten Rückversand, Warenannahme, Paketöffnung, Prüfung und Veranlassung der Erstattung die Händler im Schnitt zehn Euro pro Fall, schätzt das EHI-Institut. Je nach Artikel können die Kosten auch deutlich höher ausfallen. „Rückgaben sind das große Ärgernis des Online-Handels“, sagte E-Commerce-Experte Mark Steier, früher selbst einer der größeren Händler in Deutschland.

Das Schicksal der Retoure entscheide sich anhand der Bearbeitungskosten. Bei geringwertigen Artikeln werde oft ganz auf die Rücksendung verzichtet: Der Kunde darf die Ware behalten, auch wenn er nicht zahlt. Ob er sie dann nutzt oder wegwirft, bleibt ihm überlassen. „Manche Händler nehmen sogar Artikel aus dem Sortiment, wenn das der einzige Weg ist, Retouren zu vermeiden“, weiß Steier. Amazon, aber auch Otto und Zalando sperren nach seinen Angaben gelegentlich Kunden, die durch extreme Rücksendefreudigkeit auffallen.

Amazon bietet Dritthändlern die Entsorgung oder Aufarbeitung in seinem Komplett-Paket zur Logistik-Abwicklung unter dem Namen „Destroy“ (Vernichtung) gleich mit an – die wenig feinfühlige Namensgebung mag zum Ärger beigetragen haben, den der Konzern jetzt hat. Der verteidigte sich am Montag mit dem Hinweis, man verbessere ständig die Nachfrageprognosen, um die Anzahl an nicht verkauften Artikeln zu minimieren. Zurückgegebene Ware werde „nach strenger Inspektion“ auch über Kanäle wie Amazon.de/warehousedeals weiterverkauft. Oder gespendet.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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