Amazon arbeitet deutschlandweit mit Kurierdiensten zusammen, die die Online-Bestellungen ausliefern.

Die Lieferwagen sind meistens weiß lackiert und tragen kein großes Firmenzeichen. Nur in kleiner Schrift an einer Seite ist der Aufdruck „im Auftrag von Amazon“ zu lesen. Tausende derartiger Fahrzeuge sind mittlerweile kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Von morgens bis spätabends bringen sie Pakete des Online-Händlers zu den Bestellern. Manchmal sogar im Eiltempo: Nutzt der Kunde einen besonderen Service, erhält er sein Paket noch am Tag der Bestellung. 

Am Lenkrad dieser Paketwagen sitzen Fahrer von kleinen Stadtkurierfirmen oder mittelständischen Speditionen. Amazon beschäftigt kein eigenes Fahrerpersonal. Um für diese Subunternehmer und deren Zustellfahrer attraktiv zu sein, erlaubt der Online-Händler, dass die Wagen am Abend mit nach Hause genommen werden dürfen. Angeschafft werden die Transporter nämlich oftmals von Amazon selbst. Als Stundenlohn springen selten mehr als der Mindestlohn und damit rund zehn Euro heraus. In einigen Großstädten dürfte der Lohn zwar höher sein. Genaue Angaben von Amazon dazu gibt es nicht. Die Gewerkschaften kritisieren regelmäßig die geringe Entlohnung und Unsicherheit dieser Arbeitsplätze.

Doch aufzuhalten ist der Weg von Amazon zu einem großen Paketzusteller nicht. Rund 3,5 Milliarden Pakete werden in diesem Jahr an die Haushalte ausgeliefert. Deutlich mehr als zehn Prozent davon stammen aus einem Warenlager von Amazon. Bis vor ein paar Jahren lagen diese Sendungen in den Lieferwagen der Post-Tochter DHL, von Hermes und DPD oder auch einmal UPS im Laderaum und wurden von diesen Paketdiensten zugestellt. Das ändert sich gerade rasant: Fast im Monatstakt eröffnet der Online-Händler große Sortierzentren oder kleine Paketdepots. Das Unternehmen übernimmt die Zustellarbeit immer mehr selbst. Die Motive dahinter sind interessant.

„Es ist ein Irrtum zu denken, dass Amazon primär die eigene flächendeckende Paketzustellung in Deutschland anstrebt“, sagt Horst Manner-Romberg, Chef der Beratungsfirma MRU. Zu einem direkten Konkurrenten etwa zu DHL, Hermes oder DPD will das Online-Kaufhaus also gar nicht werden.

Wo Paketdienste weiße Löcher haben, tritt Amazon auf den Plan

„Der Online-Händler baut in denjenigen Regionen selbst Sortieranlagen und Zustellung auf, in denen es aus Sicht des Unternehmens keine ausreichende Versorgung gibt“, sagt Logistikexperte Manner-Romberg. Entscheidend dabei seien die Maßstäbe, die Amazon an Qualität und Leistung anlege. Soll zum Beispiel die 24-Stunden-Zustellung ausgebaut werden, dann wartet der deutsche Ableger des US-Konzerns nicht darauf, bis DHL, Hermes oder DPD dazu in der Lage sind. Das bedeutet: Wenn die großen Paketdienste regionale weiße Löcher haben oder Ansprüche nicht erfüllen können, tritt Amazon auf den Plan. Das trifft ebenfalls dann zu, wenn Zustellzeiten nach den Kriterien der Amazon-Manager zu lang oder andere Mängel aufgefallen sind. 

Lest auch

Dass gerade jetzt zahlreiche Neubauten in Betrieb genommen werden, hängt mit dem unmittelbar bevorstehenden Herbst- und Weihnachtsgeschäft zusammen. Ab November verfünffachen sich die Paketmengen im Durchschnitt. Hinzu kommt ein weiterer Effekt: Nach Angaben von Amazon sorgt eine wachsende Zahl von unabhängigen Online-Händlern, die ihre Waren über das Unternehmen ausliefern lassen, für zusätzliches Geschäft.

Tatsächlich fällt bei der regionalen Verteilung der Sortierzentren auf, dass die Neubauten längst nicht immer die Städte betreffen. Der Branchendienst CEP-Research hat eine Liste der Standorte zusammengetragen. Danach verfügt Amazon derzeit über 25 Logistikstandorte in Deutschland. Darunter sind 13 große Sortier- und Verteilzentren, die vor allem die Großstädte und vornehmlich das Ruhrgebiet betreffen. Hinzu kommen drei mittelgroße derartige Anlagen in der Fläche sowie neun lokale Auslieferstationen. Beschäftigt werden dort rund 13.000 Mitarbeiter, bis Ende dieses Jahres sollen laut CEP-Research weitere 2.800 Stellen neu entstehen. Amazon selbst nennt auch hierzu keine Zahlen.

185 Millionen Euro für neue Sortierzentren

Allein in die beiden jüngsten Sortierzentren hat das Unternehmen laut CEP-Reserch 185 Millionen Euro investiert. Angesiedelt sind sie in Frankenthal in der Nähe von Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz sowie in Mönchengladbach in Nordrhein-Westfalen. In diesem intern „DUS4“ genannten Zentrum werden von Beginn an rund 1.000 Mitarbeiter Pakete packen. In den Hallen lagern jeweils mehr als zehn Millionen Artikel und Waren, täglich gehen mehr als 100.000 Sendungen auf den Zustellweg. In Schönefeld in der Nähe des geplanten Flughafens Berlin-Brandenburg, in Bremen und Erfurt sowie Wunstorf bei Hannover kommen in den nächsten Monaten weitere Sortierstandorte hinzu. 

Lest auch

Eine Ebene darunter bei den kleineren Paketstationen ist die Liste der Städtenamen noch länger. Völklingen im Saarland, Nürnberg sowie das nur 50 Kilometer davon entfernte Eggolsheim, Potsdam, Eschweiler bei Aachen oder Borgstedt nahe Rendsburg und Nützen nördlich von Hamburg stehen in den Amazon-Listen. Von diesen Sortieranlangen aus werden jeweils zwischen 300 und 500 Fahrer die Pakete an den Endkunden zustellen. Nach eigenen Angaben findet Amazon diese hohe Zahl an Zustellfahrern bei „mittelständischen unabhängigen Lieferunternehmen“. Das ist erstaunlich, schließlich herrscht in der gesamten Paketbranche ein großer Personalmangel. Ein Argument für die Zusammenarbeit aus Sicht der Mittelständler dürfte sein, dass Amazon in den meisten Fällen die Fahrzeuge beschafft und finanziert.

Als beispielhaft für die Ziele und Entwicklung gilt die Landesgesellschaft von Amazon in Großbritannien. Dort betreibt das Unternehmen 45 große Sortierzentren. Um hierzulande eine vergleichbare Verbreitung zu erreichen, müsste der Online-Händler die Aktivitäten in Deutschland vervierfachen. Ob das geplant ist, dazu äußert sich der US-Konzern nicht. Doch völlig von der Hand zu weisen ist das nicht. 

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Sean Gallup / Getty Images