Seit diesem Jahr können Schüler eine kaufmännische Ausbildung im Onlinehandel absolvieren

Schülerpraktika sind in Deutschland mittlerweile Standard in den Lehrplänen. Die Schulen geben dem Nachwuchs meist während der Mittelstufe Zeit, um sich zu orientieren und in einzelne Tätigkeiten hineinzuschnuppern. Das erleichtert die spätere Berufswahl. Auch der Elektrohändler MediaMarktSaturn bietet Jugendlichen diese Möglichkeit. Aktuell bekommen sie dort Konkurrenz bei der Bewerbung um einen Praktikumsplatz, jedenfalls in ganz bestimmten Bereichen – und zwar von Lehrern.

„Wir erhalten derzeit etliche Anfragen von Lehrern, die bei uns ein Praktikum machen wollen“, berichtet Birgit Popp, Bereichsleiterin Personal- und Organisationsentwicklung bei MediaMarktSaturn Deutschland. Der Grund: Mit dem Start des neuen Ausbildungsjahres im August gibt es ein neues Berufsbild – den E-Commerce-Kaufmann. Und weil das auch für die Lehrer an den Berufsschulen Neuland ist, wollen sie jetzt Praxiserfahrung sammeln. 

Erst kürzlich waren fünf Ausbilder aus Bayern für drei Tage im Unternehmen und bald kommen die nächsten in die Zentrale nach Ingolstadt, unter anderem aus Hessen. „Die schauen dann unseren Online-Experten über die Schulter und lernen zum Beispiel, was beim Online-Einkauf im Hintergrund abläuft und wie Content-Management in der Praxis funktioniert“, sagt Popp. Ergänzt werde das um Vorträge von Kollegen auch aus den anderen Unternehmensbereichen. Und die Lehrer sind wissbegierig. „Wir sehen, dass sie absolutes Interesse am Thema Digitalisierung haben und Neues gestalten wollen“, berichtet die Expertin.

Onlinehandel ist das Wachstumsfeld schlechthin

Im vergangenen Jahr wurden Waren für fast 50 Milliarden Euro im Internet bestellt, meldet der HDE. Damit entfällt bereits nahezu jeder zehnte Euro auf diesen Vertriebsweg. Wichtige Umsatzbringer sind dabei vor allem Kleidung, Elektronik, Computer und Schuhe. Auf dem Vormarsch sind aber auch Haushaltswaren, Baumarktartikel, Möbel und Lebensmittel.

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Dass es für diese neue Einkaufswelt nun ein eigenes Berufsbild gibt, wertet Verbandsvertreterin Weinert als Meilenstein. „Damit können wir die Digitalisierung in der Branche weiter vorantreiben.“ Die Nachfrage ist entsprechend groß. Immerhin 1.500 Betriebe wollen in Zukunft E-Commerce-Kaufleute ausbilden – jedenfalls haben sich nach Angaben der Industrie- und Handelskammern so viele Händler prüfen und anschließend bescheinigen lassen, dass sie das neue Berufsbild anbieten dürfen. Dass darunter alleine gut 300 Firmen sind, die bislang noch überhaupt nicht ausgebildet haben, zeigt den Bedarf an digitalen Talenten. „Schon mittelfristig kann das einer der beliebtesten Ausbildungsberufe in Deutschland werden“, prognostiziert Weinert.

Rund 1.000 Auszubildende zum Start

Zum Start haben nach einer HDE-Schätzung rund 1.000 junge Menschen einen Lehrvertrag unterschrieben. „Für das erste Ausbildungsjahr überhaupt sind das schon viele“, ordnet Weinert ein. Gleichwohl rechnet sie mit deutlichen Steigerungen in den kommenden Jahren. Zumal sich einige Unternehmen noch zurückhalten. Während der Versandhändler Otto Group aus Hamburg auf Anhieb 20 Ausbildungsplätze bei Shops wie Otto, Bonprix, About You, Baur oder Frankonia geschaffen hat, sind es bei der Drogeriemarktkette dm gerade mal zwei und bei MediaMarktSaturn auch nur acht.

Rund 1.000 Azubis lassen sich 2018 erstmals zum E-Commerce-Kaufmann ausbilden

„Das ist für uns ja auch erst mal ein Pilot. Daher achten wir ganz besonders auf das Verhältnis von Fachkräften zu Lehrlingen“, sagt Ausbildungsleiterin Popp. „Schulen und Lehrer müssen sich nun ebenso einfinden wie die Unternehmen.“ Immerhin sei das Berufsbild in Rekordzeit entstanden. Nur zwei Jahre habe es von den ersten Gesprächen bis zur Anerkennung durch den Gesetzgeber gedauert.

Bei der Premiere dabei ist Madeleine Bergmann. Die 22-Jährige beginnt ihre Ausbildung zur E-Commerce-Kauffrau Anfang September bei MediaMarktSaturn in Ingolstadt. In Bayern startet das Ausbildungsjahr einen Monat später als in den anderen Bundesländern. „Ich habe mich sofort angesprochen gefühlt“, erzählt Bergmann über den Moment, als ihr eine Freundin die Stellenbeschreibung geschickt hat. 

Schließlich gehe sie kaum noch in Geschäfte und bestelle fast alles online. „In dieser Welt möchte ich mich auch beruflich bewegen.“ Zumal sie sich schon öfter über die umständliche Navigation in dem ein oder anderen Webshop geärgert und Anregungen und Ideen im Kopf habe, wie man den Einkauf im Netz noch benutzerfreundlicher machen kann.

Dreistufiges Bewerbungsverfahren

In den Vorstellungsrunden hat Bergmann, die aktuell als Pflegerin für eine Frau mit Behinderung arbeitet, mit dieser Online-Affinität überzeugt. Immerhin 80 Konkurrenten konnte sie im dreistufigen Verfahren mit Bewerbung, Einstellungstest und Assessment-Center hinter sich lassen. Doch es kommt nicht nur auf ein sicheres Auftreten in der digitalen Welt an. Wichtig sind auch Interesse an Technik, Verkauf und Vermarktung – also letztlich am Handel an sich – und nicht zuletzt am Kaufmännischen, betonen die Ausbildungsleiter der Unternehmen.

Der neue Beruf heiße nicht von ungefähr E-Commerce-Kaufmann. In etlichen Bundesländern werden die Azubis in der Berufsschule daher auch im ersten Ausbildungsjahr mit den Kaufleuten im Einzelhandel gemeinsam unterrichtet. Gute Noten in Fächern wie Deutsch, Mathe und Englisch sind deshalb unerlässlich, heißt es beim HDE.

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Abseits der Noten zählen Klassiker wie Eigeninitiative und Neugier, aber auch Teamfähigkeit und die Freude an Kommunikation. „Und die Bewerber müssen uns verdeutlichen, warum sie den Ausbildungsplatz im Onlinebereich unbedingt wollen und besonders dafür geeignet sind“, beschreibt Birgit Popp von MediaMarktSaturn. Ihr zufolge ist das Interesse von Jungs und Mädchen am E-Commerce-Kaufmann ausgewogen – anders als etwa bei den IT-Berufen, wo 80 bis 90 Prozent der Bewerber männlich sind oder bei den Bürokaufleuten, wo das Verhältnis genau umgekehrt ist. Die Selbstpräsentation der mobile- und selfie-geübten Generation darf daher auch gerne ein selbst gedrehtes Video sein.

Erste Bewerbungsrunden für 2019 sind schon gestartet

Erste Ideen dazu lohnen sich schon jetzt. Zwar dauern die Sommerferien in etlichen Bundesländern noch an. Bewerben können und sollten sich die Schulabgänger 2019 aber bereits jetzt. Bei MediaMarktSaturn zum Beispiel finden die Auswahlgespräche für den kommenden Sommer schon im November statt. Und die Konkurrenz macht das ähnlich, bei der Otto Group sind die ersten Runden sogar schon gestartet. „Wie viele Stellen wir dann anbieten, steht noch nicht fest. Es ist aber gut möglich, dass es mehr sind als acht. Denn bis dahin haben wir ja schon viele Erfahrungen gesammelt“, sagt MediaMarktSaturn-Ausbildungsleiterin Popp.

Und der Bedarf an Fachkräften ist groß, das eröffnet Karrieremöglichkeiten. „Nachwuchskräfte mit IT- oder E-Commerce-Ausrichtung sind heute – wie schon lange prognostiziert – auf dem Arbeitsmarkt stark umworben und werden dies auch zukünftig sein“, sagt Petra Scharner-Wolff, die im Otto-Konzern die Bereiche Finanzen, Controlling und Personal verantwortet. Der HDE arbeitet zudem schon an einer Fortentwicklung des Berufs mit den entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten, etwa als Abschluss „Fachwirt für E-Commerce“.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

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