Irgendwann schob der Berliner Senat dem Ganzen einen Riegel vor. Im Sommer 2015 hatten Jörn Kamphuis und seine zwei Mitstreiter ein Portal gestartet, auf dem Nutzer Termine bei Berliner Bürgerämtern kurzfristig buchen konnten – gegen Geld. Die Ämter waren zu dieser Zeit haltlos überfordert, Wartezeiten von mehreren Monaten waren normal. Mit seiner Idee zog Kamphuis den Zorn vieler Bürger auf sich. Der öffentliche Aufschrei war so groß, dass er auch die Landesregierung auf den Plan rief. Die blockierte den Dienst kurzerhand.

Die Website von damals betreibt Kamphuis heute weiter, wenn auch in anderer Form: Er übernimmt gleich die Behördengänge für seine meist englischsprachigen Kunden. Dafür laden Nutzer auf Bürgeramt-Termine.de ihre Dokumente zur Prüfung hoch. Werkstudenten vereinbaren daraufhin einen Termin mit dem Auftraggeber, nehmen die Dokumente persönlich entgegen, bringen sie zum Amt und schließlich wieder zurück. Bislang funktioniert das beispielsweise für die Wohnungsanmeldung.

Kamphuis ist 100-prozentiger Eigentümer des Portals, das sich selbst trägt. Abgesehen von der Leitung von Bürgeramt-Termine.de ist der „Mister Germany 2013“ auch Mitinitiator einer Non-Profit-Videoplattform für Krebspatienten, die sich mit Alltagsfragen der Patienten beschäftigt.

Wir haben mit dem Gründer über seine Behörden- und Startup-Erfahrungen gesprochen.

Jörn, 2015 mussten Berliner teilweise monatelang auf Behördentermine warten. Dein Startup reservierte Termine automatisch kurzfristig und verkaufte sie online für bis zu 45 Euro weiter. Dafür wurdet ihr heftig kritisiert. Es hieß, ihr würdet mit einem Kollektivgut Geld verdienen. Wie war damals die Stimmung bei euch?

Wir hatten eine gute Zeit, weil wir etwas gelernt haben, Spaß hatten und zeigen konnten, was uns wichtig war.

Haben die vielen Negativstimmen dazu beigetragen, dass weniger Leute euren Dienst genutzt haben?

Diese Stimmen gab es, weil eine Zeitung fälschlicherweise behauptet hatte, wir würden Termine blockieren. Unabhängig davon wurden die Leute auf uns aufmerksam. Wer das Problem kannte und keinen Termin bei einer Behörde bekam, dem waren unsere Kritiker egal. Der wollte einfach nur einen Termin und war bereit, dafür zu zahlen. Außerdem hat die Diskussion um uns den Berliner Senat zum Nachdenken gebracht. Insofern waren wir wie Aktivisten, waren aber statt mit einer Spraydose mit Software unterwegs.

Ende 2015 gelang es dem Senat, eure Technologie zu blockieren. Im System der Behörden konnten Termine plötzlich nur noch von Menschen und nicht mehr von anderen Computern angefragt werden. Was geschah danach?

Wir hatten keine Lust mehr, immer neue Algorithmen zu programmieren, um deren Blockade zu umgehen. Letztlich haben wir uns entschieden, aufzuhören. Als wir die Seite daraufhin ruhen ließen und der Traffic nicht abriss, habe ich die Gelegenheit genutzt und bin ein anderes Thema angegangen: die Wohnungsanmeldung.

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Euer aktuelles Modell klingt weniger digital als das erste: Berliner melden über eure Seite ihren Wohnsitz um, beantragen Parkausweise oder Führungszeugnisse. Was übernimmt der Computer – und was der Mensch?

Die Kommunikation findet online statt, etwa über einen Live-Chat. Der eigentliche Kern des Modells ist aber tatsächlich „Handarbeit“: Wir prüfen, ob Dokumente vollständig sind und erledigen die Behördengänge für unsere Kunden – ganz analog.

Die höheren Personalkosten trägt auch der Kunde. Mit 115 Euro ist der Dienst heute sehr viel teurer als früher. Wie viele Menschen nehmen ihn in Anspruch?

Ich kann nur sagen: So viele, dass es uns Spaß macht.

Momentan seid ihr nur in Berlin verfügbar. Soll sich das irgendwann ändern?

Wir haben immer im Hinterkopf, dass die deutsche Bürokratie eines Tages digitalisiert werden könnte und sich unser Service erübrigt. Daher konzentrieren wir uns vorerst nur auf Berlin. Ich sehe bürgeramt-termine.de aber als eine Fläche, auf der sich mein fünfköpfiges Team ausprobieren und auf der es Unternehmertum lernen kann. Eine Expansion ist also nicht ausgeschlossen.

Auch das Portal Erledigungen.de wollte Bürgern verschiedene Arten des Behördengangs abnehmen. Der Betreiber der Seite hat aber inzwischen Insolvenz angemeldet, die Seite ist offline. Wie schätzt du diese Entwicklung ein?

Als die Seite online gegangen ist, habe ich mich schon sehr über die Preispolitik gewundert. Die Preise waren in meinen Augen so niedrig angesetzt, dass es kaum möglich war, Behördengänger angemessen zu bezahlen. Entsprechend war ich sehr neugierig, wie lange sich das Portal wohl halten würde.

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Was hast du in den letzten Jahren über Behörden gelernt?

Früher habe ich den Behördenmitarbeitern Vorwürfe gemacht, dachte, sie seien zu langsam. Inzwischen habe ich extremen Respekt vor ihnen. Sie müssen Fließbandarbeit mit Menschen machen. Über ihnen schwebt ständig ein Damoklesschwert der Gesetze und Richtlinien. Ich weiß inzwischen: Konzerne sind große Schiffe, aber Behörden sind noch zehn Mal größer.

Bild: Jörn Kamphuis