Die Coworkplay-Macherinnen Yvonne Schrodt (links) und Jana Ehret an ihrem neuen Arbeitsplatz, der Eventlocation Remynd in Frankfurt

Nach etwas mehr als zwei Monaten war Schluss. Weil in ihrem neuen Coworking-Space zu wenige Menschen arbeiten wollten, mussten Yvonne Schrodt und Jana Ehret ihr komplettes, über Jahre aufgebautes Unternehmen einstampfen. Die Gründerinnen hatten versucht, im Shoppingzentrum Myzeil inmitten der Frankfurter Innenstadt ein Büro für Selbstständige und Freelancer aufzubauen.

Gestartet waren die beiden anderswo in Frankfurt. Ihr 2017 gegründetes Startup Coworkplay sollte Menschen ohne festen Arbeitsplatz möglichst familienfreundlich an Schreibtische bringen. Dafür sollte die angeschlossene Kinderbetreuung sorgen.

Heute leiten Schrodt und Ehret die Eventagentur Remynd. Ihr neuer Arbeitsplatz ist zu Fuß etwa zehn Minuten von ihrem ersten Coworkplay-Standort entfernt. 800 Meter trennen die Gegenwart von dem Ort, an dem der Traum der beiden vor drei Jahren begann – und schon letztes Jahr wieder endete. Wir haben die Unternehmerinnen getroffen.

Jana und Yvonne, wieso wolltet ihr mit eurer Coworking-Marke ausgerechnet in ein Einkaufszentrum?

Jana: Als wir 2016 mit Coworking anfingen, konnte mit dem Begriff noch niemand etwas anfangen. Das sah Anfang 2018 schon ganz anders aus. Plötzlich wurdest du von Vermietern gefragt, ob du nun Business Center oder Coworking machen willst. Man hat gemerkt: Coworking kommt. Deshalb kam damals der Center Manager der Myzeil auf uns zu und fragte, ob wir nicht Lust hätten, das in seinem Einkaufszentrum zu machen. Er könne sich das gut vorstellen. International, zum Beispiel in den USA oder Asien, ist das Konzept schon etabliert. Daraufhin haben wir gesagt, wir probieren das aus.

Zu dem Zeitpunkt hattet ihr schon einen mehr als 1.200 Quadratmeter großen Coworking-Space im Frankfurter Ostend. Wie war eure Stimmung, als feststand, dass eine zweite Fläche dazukommt?

Yvonne: Es war eher so, dass wir mit dem Hauptstandort noch sehr beschäftigt waren. Wir hatten dort gerade erst eine weitere Etage angemietet. Myzeil kam parallel. Unser Bauch sagte zwar, gerade ist vielleicht nicht der passende Zeitpunkt. Weil das Projekt aber von ECE (Management der Myzeil, Anm. d. Red.) und der Frankfurter Wirtschaftsförderung sehr angetrieben wurde, haben wir gesagt, okay, wenn zwei so große Parteien so sehr daran glauben, ist das eine Chance, die wir nicht liegen lassen sollten.

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Und dann?

Yvonne: ECE und Wirtschaftsförderung haben uns extrem unterstützt. Aus zeitlichen Gründen mussten wir den Aufbau aber einem externen Berater in die Hand geben. Wir haben ihm sehr viel freie Hand gelassen. Und das war das Problem. Weil das, was wir im Nachgang vorgefunden haben, nicht das war, was wir sind. Wir hatten einen schönen, durch-designten Space, der null Herz und Atmosphäre und mit einigen Handicaps zu kämpfen hatte.

Zum Beispiel?

Yvonne: Akustik, Abschottung und Lichtverhältnisse. Ein Shop in einem Einkaufszentrum hat eine ganz andere Ausstattung als ein Büro. Dass bei einer Deckenhöhe von sechs Metern Akustik-Probleme auftreten und man nicht bis ganz nach oben bauen kann, weil man dann in die Sprinkleranlage eingreifen würde, waren Dinge, die uns erst wirklich bewusst geworden sind, nachdem wir das Projekt zugesagt hatten.

Jana: Außerdem hatten wir keine eigenen Toiletten, wir mussten die des Centers nutzen. Wenn du außerhalb der Myzeil-Öffnungszeiten vor Ort warst, ab 8 oder 9 Uhr zum Beispiel, waren die Toiletten zu. Weil in der Myzeil damals viel gebaut wurde, hatten wir zusätzlich immensen Baulärm. Und wir waren ein Coworking-Space zwischen normalen Geschäften. Ein Konzept wie unseres würdest du normalerweise ganz unten oder oben im Center erwarten. Da gab es zu diesem Zeitpunkt aber keine freien Flächen. Deshalb die Lage mitten drin im zweiten Stock. Wir waren einfach zu früh dran.

Warum?

Jana: Die Leute kamen bei uns rein, aber sie haben nicht begriffen, was wir sind. Es kamen viele Jugendliche, die mal ein bisschen abchillen wollten. Oder ältere Leute, die fragten: „Was macht ihr da und wie funktioniert das? Ganz schön teuer, warum sollte man dafür Geld bezahlen?“ Denen fehlte das Mindset, um diese neue Arbeitsform zu begreifen.

Abgesehen davon gehörten Teenager und Rentner nicht zu eurer Zielgruppe.

Yvonne: Richtig. Wir hätten vorher eine Analyse machen sollen, welches Klientel in die Myzeil geht. Das sind unter der Woche tatsächlich vor allem Teenager und Rentner. Und samstags, wenn auch andere Leute da sind, denkt keiner ans arbeiten. Coworking muss an einen Ort, an dem Business-Leute sind. Am Flughafen funktioniert das teilweise schon heute wunderbar.

Fehlendes Tageslicht, viel Lärm, keine Klos. Sind das Sachen, von denen ihr jetzt im Nachhinein sagt: Auch darüber hätten wir uns vorher Gedanken machen sollen?

Yvonne: Dass die Bauarbeiten draußen so lange dauern würden, war für uns vorher nicht abschätzbar. Über das Licht haben wir uns intensiv Gedanken gemacht und von Anfang an gesagt, dass das eines unserer größten Probleme wird. Das Lichtkonzept eines Lampenherstellers, der uns versprochen hatte, im dunklen Raum Tageslichtatmosphäre zu schaffen, ging nicht auf. Auch damit haben wir nicht gerechnet. Und weil die Lampen und andere Maßnahmen extrem teuer waren, haben wir in 300 Quadratmeter Myzeil-Space fast 200.000 Euro investiert. Bei unserem ersten Standort waren es 80.000 Euro – für 1.200 Quadratmeter.

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Wann war der Punkt, an dem für euch klar war, dass das Ding gegen die Wand fährt?

Yvonne: Mitte Oktober 2018 haben wir in der Myzeil eröffnet. Schon damals kristallisierte sich heraus, dass wir in der ganzen Umbauzeit mehr Fokus auf unseren Hauptstandort hätten legen müssen. In den Folgemonaten haben wir versucht, das aufzufangen. Aber dafür war es schon zu spät, weil wir nicht sofort eine Vollauslastung hatten. Schon im Dezember, also zwei Monate später, haben wir in der Myzeil wieder geschlossen und den Laden Ende Januar zurückgegeben. Das Personal haben wir direkt entlassen. Die Personalkosten hatten wir auch unterschätzt. Weil wir uns an die Öffnungszeiten des Einkaufszentrums halten mussten, musste von Montag bis Samstag jemand für zehn bis elf Stunden vor Ort sein, der aber meist Däumchen gedreht hat, weil keiner da war.

Wie sah euer Arbeitspensum zwischen Oktober und Januar aus?

Jana: Wir haben mehr gearbeitet als geschlafen (lacht). Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes daran kaputt gegangen. Egal, über welche tolle Zusage oder Buchung eines Kunden du dich gefreut hast, im gleichen Moment schwang mit, dass es nicht reicht. Egal wie sehr wir uns aufreiben. Das war erdrückend.

Wie habt ihr das Scheitern erlebt?

Jana: Meine Beziehung ist daran zerbrochen. Yvonne hat ihre Ehe retten können. Aber wir haben so ziemlich alles für diese Unternehmung aufgeopfert. Coworkplay war unsere Herzenssache, weil wir so fest davon überzeugt waren, dass es funktionieren muss. Dann triffst du einmal eine falsche Entscheidung und alles geht kaputt.

Wieso hat sich die Myzeil-Pleite so extrem auf euren Hauptstandort ausgewirkt?

Auf Seite 2 lest ihr, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf das Aus reagiert haben und welche Lehren die Gründerinnen aus der Zeit für ihre berufliche Zukunft gezogen haben.

Die Coworkplay-Macherinnen Yvonne Schrodt (links) und Jana Ehret an ihrem neuen Arbeitsplatz, der Remynd-Eventfläche in Frankfurt

Yvonne: Weil es rechtlich gesehen keine voneinander getrennten Unternehmen waren. Aus Zeitgründen hatten wir uns gegen die zweite Gründung entschieden. Heute wissen wir, dass wir die Myzeil als UG oder GmbH hätten gründen müssen. Dann hätte alles, was passiert ist, keine direkte Auswirkung auf den Hauptstandort gehabt, weil es rechtlich einfach zwei Schwestern gewesen wären. Dann gäbe es Coworkplay im Ostend heute vielleicht noch. So hat der Sturz der Myzeil die komplette GmbH kaputt gemacht, weil alle Schulden in dem Unternehmen steckten. Myzeil war für uns wie ein Dominostein, der alles mitgerissen hat, als er fiel.

Ihr musstet Insolvenz anmelden und die Firma abwickeln, gerade befindet sich eure GmbH in Liquidation. Heute könnt ihr wieder recht offen darüber sprechen, merke ich. Wie seid ihr aus diesem Loch gekommen?

Jana: Wir waren die letzten, die den alten Standort verlassen haben. Mit Prosecco. Wir hatten zu dem Zeitpunkt nur noch eine Mitarbeiterin, die kurz vor uns gegangen war. Dann standen wir auf dem Balkon, haben die Abendsonne genossen, mit Sektgläsern in der Hand resümiert und sind später standesgemäß mit Mark Forsters Song „Au Revoir“ von der Fläche gegangen.

Yvonne: Das war echt bitter.

Jana: Ja, danach haben wir erstmal Zeit für uns, unsere Familien und Freunde gebraucht. Da haben wir erstmal gemerkt, wie müde und erschöpft wir waren. Parallel haben wir aber schon an Remynd gearbeitet.

Nach so einer Erfahrung? Respekt.

Yvonne: Der Abschied, den wir genommen haben, hatte ja schon einen Blick in die Zukunft. Ich glaube, schlimmer wäre es gewesen, rauszugehen und gar keinen Plan zu haben.

Jana: Für mich war sowieso die Zeit bis zur Insolvenz viel schlimmer. Als wir wussten, dass es zu Ende ist, das Geschäft aber weitergehen muss. Wenn dir der Insolvenzanwalt im Mai das Internet kündigt und du weißt, in zwei Wochen hast du einen großen Veranstaltungskunden, ist das scheiße. Diese Phase war für mich sehr viel belastender als die Zeit nach der Insolvenz. Ein riesengroßer Ballast ist von mir abgefallen. Da hatten wir zum ersten Mal die Möglichkeit, wieder durchzuatmen.

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Yvonne: Die Kunden sollten das nicht mitkriegen. Klar, wir sind mit der Insolvenz offen umgegangen. Trotzdem hatte man die ganze Zeit das Gefühl, man spielt Theater. Und das hat viel Energie gezogen.

Wie haben eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Nachricht reagiert, dass ihr komplett schließen werdet?

Jana: Die hingen genauso in der Luft wie wir. Unsere Angestellte im Kinderbereich war 62. Sie saß da, weinte und fragte: Wie geht es denn jetzt weiter? In so einer Situation stehst du nur da und sagst: Ich weiß es selber nicht, ich habe keine Ahnung. Meine ganze Welt zerbricht gerade genauso wie deine. Das war echt hart. Da war es mir ein Stück weit egal, dass der Insolvenzanwalt das Internet abstellt. Aber deine Mitarbeiter, für die du verantwortlich warst, sie weinen und ratlos zu sehen, ihnen keine Hilfe bieten zu können, das ist etwas, das ich nie mehr erleben möchte.

Yvonne: Teilweise waren unsere Mitarbeiter Freunde oder Familie, deshalb war es umso schwieriger. Von ihnen hieß es: Du hast uns nicht nur als Arbeitgeberin im Stich gelassen, sondern als Freundin oder Familienmitglied. Dass das so private Auswirkungen hatte, war wirklich schlimm. Heute würde ich das trennen, um die Familie zu schützen, um mich zu schützen. Weil wenn man im Beruflichen schon unter Druck steht, und dann privat den gleichen Druck bekommt, ist das eine Vollkatastrophe.

Was hat die Erfahrung mit euch als Duo gemacht?

Yvonne: Wenn sich die eine nicht gut mit einer Sache fühlt, lassen wir sie bleiben. Das hätten wir früher nie gemacht. In der Krise haben wir gemerkt, dass wir uns aufeinander verlassen können. Das hat es für uns beide einfacher gemacht, daran zu glauben, dass wir gemeinsam noch etwas schaffen können. Letzten Endes sind wir beide von Grund auf positive Menschen.

In diesem Sinne: Euer Rat an Gründerinnen und Gründer, die in einer ähnlichen Situation stecken?

Jana: Keine Angst haben. Glaubt an euer Unternehmen, auch wenn es heißt, im richtigen Moment die Handbremse zu ziehen. Kein Unternehmen ist es wert, sich selber und seine Familie dabei zu verlieren.

Yvonne: Euer Geschäftspartner sollte euer engster Vertrauter sein. Lernt, nein zu sagen. Auch wenn ihr eine Sache toll findet, weil jemand anderes sagt, ihr müsst das unbedingt machen. Nein, müsst ihr nicht.

Jana: Reflexion ist das A und O. Wir haben teilweise zu schnell, zu weit, zu viel gewollt. Freu dich über alle Erfolge, aber schau im Zweifel nochmal mit etwas Abstand auf eine Entscheidung, weder euphorisch noch super negativ.

Yvonne: Und noch ein ganz praktischer Hinweis. Unterschreibe niemals Bürgschaften. Das kostet uns jetzt viel Geld.

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Ihr müsst die 200.000 Euro noch zurückzahlen?

Yvonne: Ja. Wir haben Gründerkredite aufgenommen und Mietbürgschaften unterschrieben. Das führte nach Bekanntwerden der Insolvenz dazu, dass der Gründerkredit über 40.000 Euro per sofort fällig gestellt wurde. Ich meine, wo hätte das Geld denn herkommen sollen? Auf einmal stand ich also auch privat ohne Geld da. Ohne meinen Mann hätte das nicht funktioniert. Jana und ich hatten ja kein Einkommen mehr, uns wurden alle Dispokredite und Kreditkarten gekündigt, es gab einen Schufa-Eintrag. Und das ohne Vorwarnung.

Wie schaut ihr gerade in die Zukunft?

Yvonne: Es wird Jahre dauern, bis wir die Schulden abgetragen haben. Aber es ist zu bezahlen. Mir geht es eher um die Art und Weise, wie mit Menschen, die gescheitert sind, umgegangen wird. Du liegst eh am Boden, bist völlig verzweifelt, und dann tritt noch jemand auf dich drauf und du sollst aufstehen und weitermachen. Ich sehe da null Menschlichkeit bei den Banken. Scheitern ist in Deutschland nicht erwünscht.

Jana: Mir ist ein ganz konkreter Vorfall in Erinnerung geblieben. Noch vor Bekanntwerden der Insolvenz hatte mich ein Veranstalter als Speakerin eingeladen. Ich sollte als Mentorin für Startups auftreten. Als feststand, dass Coworkplay insolvent ist, rief mich dieser Veranstalter an und lud mich aus. Ich argumentierte: Aber ich bin doch jetzt eine viel bessere Mentorin, weil ich den jungen Leuten klar machen kann, dass man nicht weniger wert ist nach einer Niederlage, sondern gestärkt daraus hervorgehen kann. Aber es blieb bei der Absage. Ich dachte nur: Das kann nicht wahr sein. Wenn wir es nicht mal schaffen, aus der Startup-Szene heraus für mehr Mut und Transparenz zu sorgen, wo dann?

Andere Leute hätten nach so einer Erfahrung vielleicht gesagt: Jetzt reicht’s, den Stress gebe ich mir nicht nochmal, ich gehe in einen Job mit weniger Verantwortung. Ihr macht trotzdem weiter, wenn auch nicht als Geschäftsführerinnen. Warum?

Jana: An dem Prosecco-Abend im Juli 2019 habe ich Yvonne auf der Terrasse angeguckt und sie gefragt: Was machen wir denn jetzt? Schon damals fühlte sich die Vorstellung, sich irgendwo unterordnen zu müssen, falsch an. Ich will nicht jeden Morgen aufstehen, um 9 Uhr einstechen und am Ende sagen, dass ich faktisch zwei Stunden gearbeitet und sechs Stunden nur rumgesessen habe.

Yvonne: Wir achten mehr auf uns, hören bei Entscheidungen mehr auf unseren Bauch und sehen zu, dass wir uns nicht mehr völlig kaputt arbeiten. Als wir mit Remynd angefangen haben, haben wir gesagt, wir holen uns unser Leben zurück. Genau das tun wir jetzt.

Bild: Elisabeth Neuhaus / Gründerszene