Glück gehabt, doch keine Abmahnung im Postfach.

Ab heute müssen die Regeln der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) angewendet werden. Eine der größten Ängste für Unternehmen: dass einschlägige Kanzleien nun massenhaft Abmahnungen verschicken. Wer seine Website oder seinen Newsletter nicht 100-prozentig DSGVO-konform gestaltet hat, so die Befürchtung, muss Post mit Zahlungsaufforderung vom Anwalt fürchten. Aber stimmt das?

„Das große Momentum, das die DSGVO nicht nur bei europaweit fast allen Unternehmen, sondern mittlerweile auch in den Medien aufgenommen hat, spricht dafür, dass es durchaus zu einer erhöhten Zahl an Abmahnungen kommen wird“, sagt Benedikt Schweinfurth, Datenschutzexperte bei der Berliner Anwaltskanzlei Hyazinth, im Gespräch mit Gründerszene. „Eine entscheidende Rolle wird hierbei die große Rechtsunsicherheit spielen. Viele Vorschriften arbeiten mit weiten, teils noch nicht ausreichend konturierten Formulierungen.“

Doch wenn man Kollegen von Schweinfurth fragt, die selbst Abmahnungen schreiben, hört es sich etwas anders an: „Wir rechnen nicht damit, dass es zu einer ‚Abmahnwelle‘ kommen wird. Das halten wir für Panikmache“, sagt Christian Weber von WeSaveYourCopyrights aus Frankfurt. Seine Kanzlei, die zum Beispiel im Auftrag der Musikindustrie abmahnt, gehe nicht davon aus, in den kommenden Wochen und Monaten in großer Zahl „wegen Datenschutzverstößen mandatiert“ zu werden.

„Das ist juristisch kein Geschäftsmodell, das man ernsthaft befürchten müsste“, sagt auch Björn Frommer von Waldorf Frommer aus München, eine der größten Abmahnkanzleien Deutschlands. Massenhaft kleine Verstöße abzumahnen – etwa wegen einer falsch formulierten Datenschutzerklärung auf der Website, wie es nun vielfach befürchtet wird – hält er aus anwaltlicher Sicht für viel zu aufwendig. „Viele Fragen lassen sich selbst von Experten nicht eindeutig beantworten. Anwälte, die hier ein Abmahnmodell für sich sehen, werden sicher schnell, spätestens vor Gericht, ihr blaues Wunder erleben.“ Auch Benedikt Schweinfurth bemerkt zudem, dass es fraglich sei, „ob die Vorschriften der DSGVO überhaupt wettbewerbsrechtlich abmahnbar sind – und wenn ja, welche“. Klarheit könnten hier nur Gerichtsurteile schaffen.

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Sicher würden einzelne Unternehmen nun versuchen, ihren Wettbewerbern mit Abmahnungen von Datenschutzverstößen zu schaden, sagen die Experten. Eine „Welle“ im großen Stil sei aber nicht zu erwarten. „Bei den Verstößen, die wir alle vor Augen haben, den vielen kleinen Unsicherheiten über Datenschutzerklärungen oder Ähnliches, sehe ich dafür kein relevantes Potenzial“, sagt Frommer.

Schließlich bedürfe es, bevor es überhaupt zur Abmahnung kommen kann, „immer eines Geschädigten, eines abmahnfähigen Datenschutzverstoßes und einer entsprechenden Beauftragung“, erklärt Weber das aufwendige Verfahren. Dass findige Abmahn-Anwälte nun gezielt auf potenzielle Betroffene zugehen werden, damit diese ihnen Aufträge erteilen, glaubt er nicht. Ein solches Vorgehen sei „berufsrechtswidrig“.

Abmahnungen als Folge der DSGVO sind also offenbar möglich, aber kein Geschäftsmodell – sagen zumindest Juristen, die sich mit der Thematik auskennen. Etwas Gutes kann Frommer der Debatte aber abgewinnen: „Es ist positiv, dass alle sensibilisiert sind und jeder sich jetzt mal überlegt, wie Datenschutz funktionieren soll“, sagt der Rechtsanwalt aus München. „Aber die Hysterie ist vollkommen übertrieben.“

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