Die düsteren Szenarien aus Science-Fiction-Filmen werden jetzt Wirklichkeit. Das US-Unternehmen Earthnow will mit einer Satellitenflotte alle Plätze der Erde permanent per Video aus dem All überwachen. Die Videos sollen praktisch in Echtzeit und Farbe verfügbar sein – mit nur einer Sekunde Verzögerung zum realen Geschehen.

Dem jungen Unternehmen Earthnow ist bewusst, dass mit der Beobachtung von Häusern, Plätzen, Straßen mit hochauflösenden Videobildern gewaltige datenrechtliche Probleme verbunden sind. Der Datenschutz sei von grundlegender Bedeutung, heißt es daher gleich in der ersten öffentlichen Mitteilung der Firma.

Das 2017 gegründete Unternehmen will „eng mit den Regierungen und der breiten Öffentlichkeit zusammenarbeiten, um Datenschutzbedenken entgegenzuwirken“. Dann wird aber betont, dass die visuelle Beobachtung der Erde zum Nutzen der Menschheit sei.

Earthnow hat prominente Investoren gewonnen

Das Unternehmen Earthnow hat für seine Pläne prominente Investoren gewonnen. Den europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus, der die Satelliten liefern soll, den japanischen Telekommunikations- und Medienkonzern Softbank, den Microsoft-Gründer, Multimilliardär und Mäzen Bill Gates sowie den US-Raumfahrtunternehmer Greg Wyler.

Noch will Earthnow nicht verraten, welche Auflösung die Videobilder haben, also was im Detail zu erkennen ist und wann die Satelliten ihren Dienst aufnehmen. Es würden größere Flächen beobachtet, und in einem Zoom-Modus könnte dann genauer beobachtet werden. Um Bedenken zu zerstreuen, heißt es, dass „zum Schutz der Privatsphäre“ die Auflösung angeblich nicht in der Lage ist, „eine einzelne Person zu überwachen“.

Die Pläne von Earthnow sind ein Beispiel für die neuen Anwendungen in der Raumfahrt. Der Zugang zum Weltraum wird durch US-Privatfirmen immer billiger. Satelliten werden mittlerweile am Fließband produziert. So baut Airbus in Südfrankreich und Florida in einem Gemeinschaftsunternehmen die Satelliten für das Internet-Kommunikationsnetz OneWeb mit rund 900 Satelliten.

OneWeb-Plattform kann auch für Earthnow genutzt werden

Airbus-Chef Tom Enders beklagte erst jüngst auf der Hauptversammlung, dass diese Aktivitäten viel zu wenig beachtet würden. Die ersten zehn OneWeb-Satelliten sollen dieses Jahr starten. Diese Plattform der etwa kühlschrankgroßen Satelliten darf Airbus auch für andere Projekte nutzen – wie den Beobachtungssatellitenprojekt Earthnow.

Bereits jetzt wird die Erdoberfläche von zahlreichen kommerziellen und militärischen Satelliten permanent fotografiert. Entweder mit optischen Aufnahmen oder Radarbildern selbst durch Wolken hindurch.

So steuert die US-Satellitenfirma Planet bereits fast 200 kleine Satelliten in der Größe eines Schuhkartons im All. Sie fotografieren jeden Tag die gesamte Erdoberfläche. Pro Tag entstehen etwa 1,5 Millionen Bilder. Neben Fotos gibt es auch schon Videoaufnahmen – aber nicht permanent live und nicht so detailliert, wie dies Earthnow plant.

Bei der Auflösung der Planetfotos ist ein drei bis fünf Meter großer Gegenstand ein Bildpunkt. Doch es geht viel präziser. Weltraumbilder-Marktführer ist die US-Firma DigitalGlobe aus der Maxar-Technologies-Gruppe. DigitalGlobe mit rund 230 Millionen Dollar Umsatz 2017 verkauft bereits Fotos mit 30 Zentimeter Auflösung pro Bildpunkt. Aufnahmen für das Militär sind noch genauer.

Satelliten mit künstlicher Intelligenz

Die junge US-Firma Earthnow will die Satelliten mit künstlicher Intelligenz ausrüsten, um die Videos auszuwerten. Die Prozessorleistung der Satelliten sei so hoch wie sonst bei keinem anderen Satelliten kündigt die Firma an. Das „Wall Street Journal“ geht von einer 500-Satelliten-Flotte aus. In der Branche wird erwartet, dass Earthnow Live-Videos von überall auf der Erde mit einer Auflösung von mindestens einem Meter pro Pixel liefern wird.

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Earthnow spricht davon, durch den Blick aus dem All beispielsweise illegale Fischer, Hurrikans, Vulkanausbrüche oder Waldbrände beobachten zu können. Zudem könnte in Konfliktzonen sofort reagiert werden. Als erste Kunden werden Unternehmen sowie Behörden genannt. Danach sollen Millionen Verbraucher beliefert werden, die über eine App die Bilder abrufen können.

Doch zumindest in Deutschland könnte dem Projekt das sogenannte Satellitendatensicherheitsgesetz entgegenstehen: Die Vorschrift untersagt die Verbreitung von aktuellen Satellitenbildern hoher Auflösung, sofern diese jünger als fünf Tage sind und diese eine Auflösung von 1,2 Metern oder weniger haben – wer dennoch solche Daten nutzen will, muss dies gesondert genehmigen lassen und die mit der Auswertung der Bilder betrauten Experten eigens vom Bundesverfassungsschutz auf Zuverlässigkeit prüfen lassen.

Einzelne Personen dürfen nicht erkennbar sein

Auch Datenschützer könnten die Nutzung der Bilder in Deutschland einschränken: Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 kann die Verbreitung eines Luftbildes eines Grundstücks Persönlichkeitsrechte verletzen – etwa dann, wenn darauf Personen zu sehen sind, die von der Straße aus nicht sichtbar wären.

„Die Initiatoren sagen zwar, die Auflösung wird nicht so hoch sein, dass tatsächlich Personen beobachtet und erkannt werden können. Doch die Erkennbarkeit von Menschen muss ja nicht durch etwa die Gesichtszüge gegeben sein, sondern auch, wenn man etwa an der Kleidung, dem Gang, dem Ort erkennen könnte, wer die Person ist“, erklärt der Kölner Anwalt Christian Solmecke.

„Sobald einzelne Personen auf den Aufnahmen irgendwie – und sei es auch nur durch nahe Angehörige – erkennbar sind, ist ihr Recht am eigenen Bild verletzt. Eine Verletzung dieses Rechts kann nicht nur zu Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen, sondern auch zu einer Strafbarkeit führen.“

Verknüpfung von Satellitendaten mit anderen brisant

Ähnlich beurteilen Datenschützer das Projekt: „Zwar reicht die Auflösung der Bilder aus dem All nicht aus, um eine Person zu erkennen, aber dennoch lässt sich ein Personenbezug herstellen, der aus dem Aspekt des Datenschutzes relevant ist“, kommentiert Marit Hansen, Landesbeauftragte für Datenschutz in Schleswig-Holstein.

„Da die Bilder live zur Verfügung stehen sollen, lässt sich etwa der Alltag einer Person verfolgen, welches Auto parkt wann wo, wohin fährt ein Hausbewohner, ist in einem Gebäude abends das Licht an oder nicht – allesamt Informationen, die sich aus solchem Material gewinnen lassen.“

Die Kombination der Satellitendaten mit weiteren Informationen etwa aus öffentlichen Adressdatenbanken könnte brisante Ergebnisse bringen. Ein Bilderkennungsalgorithmus wäre leicht dazu in der Lage, die Bilder auszuwerten, um Bewegungsprofile zu erstellen oder Verhaltensmuster einer ganzen Wohnsiedlung auszuwerten und daraus auf den sozioökonomischen Status der Bewohner zu schließen.

Ob jedoch deutsche Datenschützer die Nutzung der Daten ernsthaft einschränken könnten, bleibt abzuwarten: Wenn die Verarbeitung und Auswertung der Daten etwa in den USA erfolgt und nur die Endergebnisse in Form statistischer Daten in Deutschland angewendet werden, wäre ein Verbot des Dienstes nicht durchsetzbar.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / Joe Drivas