„Ein vernünftiger Leser“ würde wohl nicht glauben, dass Musks Aussagen von objektiven Fakten gestützt werden, sagen seine Anwälte.
Musks Tweets könne doch niemand ernst nehmen, sagen seine Anwälte.

Die Stimmung war angespannt im Juli dieses Jahres, als zwölf Jungen in einer thailändischen Höhle eingeschlossen waren und es darum ging, sie so schnell wie möglich zu befreien, bevor das Wasser weiter steigen würde. Tagelang wurde nach Möglichkeiten gesucht, wie man die Eingeschlossenen zurück ans Tageslicht bringen könnte. Auch Tesla-Chef Elon Musk bot seine Hilfe an und ließ die Ingenieure seiner Firmen SpaceX und Boring Company unter anderem ein Mini-U-Boot entwickeln. Musk reiste mit einem Team sogar selbst nach Thailand. Doch am Schluss kam das U-Boot nicht zum Einsatz, in einer dramatischen Aktion konnten alle Kinder von Spezialkräften der Armee gerettet werden.

Doch für Elon Musk begann der Ärger nun erst so richtig. Denn er hatte seine eigenen Rettungsbemühungen öffentlichkeitswirksam per Twitter verbreitet, und das kam nicht bei jedem gut an. Der in Thailand lebende Brite Vernon Unsworth kritisierte Musk in einem Interview mit dem Fernsehsender CNN öffentlich, nannte die U-Boot-Aktion einen „PR-Stunt“, die keine Aussichten auf Erfolg gehabt hätte und empfahl Musk, sich das Mini-U-Boot „dort hinzustecken, wo es wehtut“.

Musk reagierte darauf mit einer Serie von Tweets, die er später wieder löschte, in denen er unterstellte, dass Unsworth pädophil sei. Unter anderem nannte er ihn einen „Pädo-Typen“. Und er empfahl Unsworth, ihn doch zu verklagen, wenn ihm das nicht passen sollte. Genau das tat Unsworth im September.

Musk gibt zu, dass seine Unterstellung falsch war

Musk hat nun auf diese Klage reagiert und beantragt, dass das Gericht sie abweist. Doch die Begründung ist einigermaßen abenteuerlich: Musk kann nicht abstreiten, dass er den Mann öffentlich als Pädophilen beleidigt hat, die Tweets sind dokumentiert. Der Tesla-Chef liefert auch keine Belege für die Unterstellung, dass Unsworth pädophil sein könnte. Stattdessen behauptet er, dass ohnehin jeder vernünftige Leser seiner Tweets wisse, dass er das nicht ernst nehmen könne. Twitter sei „berüchtigt für Beschimpfungen und Übertreibungen“, schreiben Musks Anwälte in ihrem Schriftsatz, der Welt vorliegt.

Musk habe sich auf „Thailands dokumentierten Ruf“ bezogen, als er Unsworth Pädophilie unterstellte, heißt es weiter. „Die Öffentlichkeit wusste von Beginn an, dass Musks Beleidigungen keine faktischen Aussagen sein sollten“, behaupten die Anwälte. Später habe Musk selbst beschlossen, den „Krieg der Worte“ zu beenden, habe die Tweets gelöscht und sich entschuldigt.

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Musk räumt in der Erwiderung auf die Klage aber auch ein, dass er weitere Pädophilie-Vorwürfe gegen Unsworth in einer E-Mail an einen Reporter von „Buzzfeed“ erhoben hatte. Diese E-Mail sei zwar eigentlich „off the record“ gewesen, der Journalist hätte sie daher nicht zitierten, sondern nur als Hintergrundinformation verwenden dürfen. Doch seine Aussagen wurden trotzdem veröffentlicht. Musk behauptete darin, Unsworth habe eine „Kinderbraut, die etwa zwölf Jahre alt“ sei.

„Würde ein vernünftiger Leser Musk glauben?“

Die Anwälte räumen die Vorwürfe aus der Klage ein, es gehe daher nur um eine Frage, behaupten sie: „Würde ein vernünftiger Leser glauben, dass Musks Aussagen von objektiven Fakten gestützt werden oder stattdessen ‚nicht einklagbare Meinung‘?“

Die Anwälte schreiben, dass kein vernünftiger Leser hätte glauben können, dass Musk, „ohne Unsworth je getroffen zu haben, mitten in einer Schulhofzankerei in sozialen Medien und aus 8.000 Meilen Entfernung mitteilen würde, dass er in Besitz von privaten Informationen ist, dass Unsworth sich von Kindern sexuell angezogen fühlen würde oder sexuelle Handlungen mit Kindern durchgeführt hätte“. Doch tatsächlich hatte Musk genau diesen Eindruck mit seinen Tweets erweckt und diese Unterstellungen mehrfach wiederholt. „Musks Aussagen waren deshalb notwendigerweise nur fantasievolle Attacken“, behaupten seine Anwälte. „Selbst wenn sie beleidigend waren, sind solche spekulativen Beleidigungen von Natur aus Meinungen und vom ersten Verfassungszusatz geschützt.“

Im ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung wird die Meinungsfreiheit garantiert. Es ist nicht ohne Ironie, dass sich Musk ausgerechnet auf diesen Zusatz beruft, der auch die Pressefreiheit festschreibt. Hatte sich Musk doch zuletzt häufig über angeblich falsche und negative Berichterstattung in den Medien über seine Person und Tesla beschwert. Er spielte sogar mit dem Gedanken, ein Internetportal einzurichten, auf dem angeblich falsche Berichte angeprangert werden sollten.

Im deutschen Presserecht wird explizit zwischen sogenannten Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen unterschieden. Bei den Unterstellungen von Musk würde es sich nach deutschem Recht eindeutig um falsche Tatsachenbehauptungen handeln, die untersagt sind.

Unterstellungen seien „nicht ernst zu nehmen“ gewesen

Musk geht aber in seiner Rechtfertigung noch weiter: Man dürfe im Internet ohnehin nichts glauben, behauptet der Tesla-Chef, der wichtige Ereignisse in seinem Unternehmen fast immer per Kurznachricht auf Twitter im Internet verbreitet. Doch in dem Schriftsatz heißt es, der Leser im Internet erwarte, dass dort „locker mit Fakten“ umgegangen werde.

Die Anwälte behaupten, dass der Leser von Musks Tweets schon an seiner „sprachlichen Zwanglosigkeit“ habe erkennen können, dass die Unterstellungen nicht ernst zu nehmen seien. So habe Musk nicht nur Abkürzungen und Slang verwendet, sondern es würden sich auch Tippfehler in den Tweets finden. Die E-Mail an den „Buzzfeed“-Reporter habe man ebenfalls nicht ernst nehmen können, weil er darin ja schließlich den Journalisten ebenfalls beleidigte („fucking asshole“ – „verdammtes Arschloch“).

Außerdem versteigen sich die Anwälte zu der Argumentation, dass eine E-Mail an einen Reporter, die als „off the record“ gekennzeichnet sei, bedeute, dass man sich auf die darin genannten Fakten nicht verlassen könne. Tatsächlich bedeutet diese Formulierung allerdings ausschließlich, dass die enthaltenen Informationen nicht wörtlich zitiert werden dürfen.

Nimmt man Musks Ausreden ernst, kann sich künftig kein Journalist mehr auf Hintergrundinformationen von Musk oder Tesla verlassen. Der Tenor des 34-seitigen Schriftsatzes ist ohnehin: Glaubt Musk bloß kein Wort, was er sagt, muss nicht stimmen. Für den Chef eines börsennotierten Konzerns eine bemerkenswerte Haltung zur Faktentreue und Wahrheit.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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