Schickt uns das EuGH-Urteil zurück in die 50er?
Schickt uns das EuGH-Urteil zurück in die Fünfziger?

Arbeitszeiten müssen künftig EU-weit erfasst werden, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag beschlossen. Dem Urteil voran ging ein Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bank und einer spanischen Gewerkschaft. Letztere war vor Gericht gezogen, um zu erreichen, dass die Arbeitszeit der Angestellten dokumentiert wird – und hat gewonnen.

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Gründerszene hat mit Arbeitsrecht-Anwalt Sören Langner von der Kanzlei CMS Hasche Sigle über das Urteil gesprochen.

Herr Langner, was bedeutet das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung?

Zunächst nimmt das Urteil die EU-Staaten in die Pflicht: Deutschland muss jetzt das Arbeitszeitgesetz novellieren. Das besagt momentan, dass acht Stunden Arbeit pro Tag erlaubt sind. Dies kann auf zehn Stunden erhöht werden, sofern innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen ein Ausgleich erfolgt. Bisher muss nur erfasst werden, was über diese Stundenanzahl hinaus geht. Nach dem EuGH-Urteil muss zukünftig aber die gesamte Arbeitszeit erfasst werden. Akuter Handlungsbedarf besteht für Unternehmen bis zu einer gesetzlichen Neuregelung aber nicht.

Wann ist mit einer Novellierung des Arbeitszeitgesetzes in Deutschland zu rechnen?

Arbeitsminister Hubertus Heil oder Justizministerin Barley werden sich sicher in den nächsten Tagen zu dem Urteil äußern. Da die SPD die Stärkung der Arbeitnehmerrechte traditionell fordert, wird sie das Thema vermutlich noch vor der Europawahl vorantreiben. Wenn sich Union und SPD schnell einigen können, ist mit einer schnellen Umsetzung zu rechnen.

Wie muss die Erfassung erfolgen?

Es wird höchstwahrscheinlich jede Art der Erfassung erlaubt sein – vom Handzettel bis zur App. Hauptsache, sie ist nachvollziehbar. Das ist eine Chance für Startups, gute IT-Lösungen für die Erfassung auf den Markt zu bringen.

Wer kontrolliert, ob die Arbeitgeber sich an die Regeln halten?

Die Kontrolle erfolgt durch die Arbeitsschutzbehörden. Sie werden wahrscheinlich nur stichprobenartig kontrollieren und vorrangig in Branchen, in denen mit Verstößen zu rechnen ist. Also etwa in Krankenhäusern oder der Gastronomie. Vergleichbar ist das mit den Kontrollen des Zolls zur Einhaltung des Mindestlohns. Kleine Startups stehen vermutlich nicht ganz oben auf der Liste der zu überprüfenden Betriebe. Das Urteil besagt zudem, dass die EU-Staaten bei der Gesetzgebung „etwaigen Besonderheiten Rechnung tragen“ müssen. Es könnte also sein, dass sehr kleine Unternehmen oder bestimmte Branchen von einer generellen Erfassungspflicht ausgenommen werden.

Was passiert bei Verstößen?

Dann verhängen die Behörden Bußgelder wegen einer Ordnungswidrigkeit. Das können Beträge im Tausenderbereich sein. In krassen Fällen ist sogar denkbar, dass Verstöße so behandelt werden könnten wie eine Straftat. 

Was ist mit der Rechts- oder der Berater-Branche, in denen 80-Stunden-Wochen die Regel sind?

Für diese Branchen wird sich einiges ändern. Aber auch für alle anderen Branchen. Überspitzt gesagt: Dieses Urteil könnte das Ende der Vertrauensarbeitszeit sein.

Wie sich die Arbeit in Startups und anderen Unternehmen in Zukunft besser organisieren lässt, lest ihr in Kürze in unserem Gründerszene Report „New Work: Was Mitarbeiter heute motiviert“. Unsere bisherigen Reports findet ihr hier.

Bild: Getty Images / James W. Welgos / Freier Fotograf