Lade Premium-Inhalte...

Gehaltsverzicht für mehr Beteiligung: In der Krise band Getyourguide-Gründer Tao Tao die Mitarbeiter stärker an die Firma – und verringerte gleichzeitig die Kosten.

Das Jahr 2019 war ein ganz besonderes in der Geschichte des Reisestartups Getyourguide: Mit einer Finanzierungsrunde über 433 Millionen Euro wurde die Berliner Firma zehn Jahre nach ihrer Gründung zum Unicorn – einem Startup, das mit mehr als einer Milliarde bewertet wird. Allerdings auch eines, das nur ein Jahr später besonders stark von der Corona-Pandemie getroffen wurde.

Wie geht man als Unternehmen, auf dem große Erwartungen der Investoren lasten, mit einer solchen Situation um? Was sagt man mehr als 600 Mitarbeitern, um sie zu beruhigen? Und inwieweit hat die Pandemie die gesamte Startup-Szene verändert? Wir haben Mitgründer Tao Tao in der leeren Berliner Firmenzentrale getroffen und mit ihm über diese Fragen gesprochen.

Tao, als Reisestartup seid ihr von den Folgen der Corona-Pandemie besonders betroffen. Wie habt ihr die Krise bislang erlebt?

2020 war bislang ein Jahr der Höhen und Tiefen. Im Februar hatten wir das Business gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Dann kam der Einbruch auf fast null tägliche Buchungen – und das innerhalb von wenigen Wochen. Weil wir auch ein Büro in Italien haben, wurde uns die Dringlichkeit der Lage im Hinblick auf die Mitarbeiter schnell bewusst und wir haben als eines der ersten Unternehmen in Deutschland alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.

Und wie habt ihr unternehmerisch reagiert?

Wir haben in einem Verfahren über zwei bis drei Wochen recht schnell überlegt, wie wir mit der Lage umgehen wollen. Dabei kamen drei wesentliche Punkte heraus: Den Fortbestand des Unternehmens wahren, weiterhin stärker kundenorientiert werden zu wollen und alle Stornierungen zu akzeptieren, sowie auf Entlassungen zu verzichten.

Das kostet alles Geld, aber ihr hattet ja keinen Umsatz.

Wir haben zum einen mit Kurzarbeit gearbeitet. Und zum anderen mit freiwilligem Gehaltsverzicht im Gegenzug zu mehr Aktienoptionen. Uns war klar, dass wir unser Produkt auch in dieser Zeit verbessern müssen. Wir haben zum Beispiel die Suche oder die Discovery Engine neu weiterentwickelt. Aber wir haben die Zeit auch nutzen können, um neue Attraktionen hinzuzufügen.

Stichwort Mitarbeiterbeteiligung: Seid ihr mit den Möglichkeiten und der Gesetzgebung zufrieden?

Das ist einfach zu beantworten: nein. Fast alle Startups nutzen zwar die Möglichkeiten, aber die sind sehr schlecht und nicht kompetitiv etwa im Vergleich zu den USA. Richtige Beteiligungen sind aus steuerlichen Gründen schlichtweg nicht realistisch, virtuelle Shares aber deutlich weniger attraktiv für Mitarbeiter. Das ist eine schlimme Situation: Mitarbeiter investieren mit dem gleichen Risiko in die Firma wie Investoren, müssen aber deutlich schlechtere Bedingungen in Kauf nehmen. Das ist im internationalen Wettbewerb auf Dauer nicht tragbar.

Lest auch

Lebt das Geschäft jetzt bereits wieder auf? Die aktuellen Schlagzeilen suggerieren ja, dass wieder gereist wird.

Wir haben Glück, dass die Erholung früher kam, als zunächst befürchtet. Die Deutschen mussten zwar einen starken Nettogehaltsverlust von bis zu 17 Prozent hinnehmen. Aber es gibt bislang keine Anzeichen dafür, dass sich das negativ auf das Reisebudget auswirken wird. Natürlich hat sich das Reiseverhalten verändert, viel findet im Moment innerdeutsch statt. Hamburg und München zum Beispiel sind beliebte Reiseziele bei unseren Nutzern. Berlin ist kurzfristig sogar fast schon wieder auf Vorjahresniveau. Allerdings ist fast alles Inlandstourismus, das war in den Vorjahren anders.

Aber das gilt sicherlich nicht für alle Regionen.

Das stimmt, die USA oder Brasilien waren stets beliebte Reiseziele. Dort liegt das Geschäft aufgrund der schlechten Corona-Situation weiterhin brach.

Ist internationales Reisen wichtig für Getyourguide? Attraktionen könnte man ja auch im eigenen Land buchen.

Ja, es ist wichtig. Wir haben einen starken Fokus auf die Top-Reiseziele in der Welt. Dubai würde ohne internationalen Tourismus nicht funktionieren. Es sind sogar die Deutschen, die dort für viel Geschäft sorgen. Für Mallorca zum Beispiel gilt das Gleiche.

Wie wird sich der Reisemarkt generell verändern? 

Das wird stark von den Flugpreisen abhängen. Reisekosten setzen sich ungefähr zu jeweils einem Drittel aus Flug, Hotel und Aktivitäten vor Ort zusammen. Die Branche geht derzeit davon aus, dass Ende 2022, spätestens aber Anfang 2023 wieder das alte Normal erreicht sein wird. Wir befinden uns ja noch im Wachstum und haben gegenüber Fluggesellschaften und Hotels deutlich geringere Fixkosten. Deswegen glauben wir, dass wir schon früher auf dem Stand von Ende 2019 sein werden.

Lest auch

Zu Beginn der Krise gab es zwei Thesen. Derart gut finanzierte Firmen wie Getyourguide kommen locker durch die Krise, war die eine. Die andere: Viele der Unicorns werden es schwer haben, die Erwartungen der Investoren zu erfüllen. Welche von beiden ist richtig?

Man versucht als Mensch gerne, einfache Erklärungen zu finden. Dies oder das. Als Ökonom schaue ich eher auf die wirtschaftlichen Faktoren. Getyourguide wurde in der Krise 2009 geboren. Damit war zwar kein Einschnitt verbunden. Aber wir haben von den ersten Monaten im Technopark an der ETH Zürich an gelernt, sparsam und diszipliniert zu sein. Deswegen mussten wir uns auch schon Kritik gefallen lassen, wieso wir nicht aggressiver in den Markt gehen. Wir haben immer die Unit Economics im Blick gehabt. Vom Booking.com-Gründer, der lange in unserem Board war, haben wir den Rat bekommen, nicht unsere Defizite zu skalieren. Man kann zwar Fixkosten über Scale kontrollieren. Aber so lassen sich keine Verluste zurückholen. Insbesondere im Reisebereich, wo die Kunden nicht so oft wiederkommen. Und von denen bekommen wir ja mehr Kapital als von unseren Investoren, deswegen sind sie sogar wichtiger. Sobald der Aufschwung kommt, refinanzieren sie uns wieder.

Aber ein pralles VC-Kissen macht auch einige Entscheidungen einfacher.

Absolut. Ab einer gewissen Größe muss man eine Absicherung haben. Da gibt es genug Beispiele, Konzerne wie Siemens machen das auch nicht anders.

Lest auch

Mit den unterschiedlichen Maßnahmen – Kurzarbeit, Gehaltsverzicht – habt ihr versucht, die laufenden Kosten möglichst gering zu halten. Eine weitere Maßnahme war, über einen offenen Brief Werbegeld von Google zurückzubekommen. Hat das funktioniert?

Google hat sich recht wenig bewegt, weil sie es auch nicht müssen. Das ist einfach die Realität einer zu großen Marktmacht. Es ist wichtig, diese Problematik gemeinsam mit anderen Unternehmen generell und speziell gegenüber Regierungsvertretern deutlich zu machen. Das kurzfristige Überleben seiner Firma darf man aber nicht daran hängen.

Rund 600 Mitarbeiter arbeiten allein hier im Berliner Umspannwerk für Getyourguide. Gerade sitzt kaum eine Handvoll an Mitarbeitern hier. Wie führt man ein so großes Unternehmen durch eine derartige Krise?

Hauptsächlich mit viel Kommunikation. Wir machen jetzt zum Beispiel doppelt so viele Town-hall-Meetings. Wir arbeiten mit Mitarbeiter-Engagement-Tools wie Peakon, über die wir sicherstellen wollen, dass es viel Feedback in alle Richtungen gibt. Es gibt ja nicht den Mitarbeiter. Das müssen die Manager unterscheiden. Ein Produkt-Team, das voll arbeitet, aber auf Gehalt verzichten muss, hat anderen Sorgen als ein Mitarbeiter, der nur einen Tag arbeitet und eher einen Verlust an Purpose hat. Man muss viel zuhören.

Wie wollt ihr die Zusammenarbeit im Team zukünftig gestalten?

Weiterlesen…

Gehaltsverzicht für mehr Beteiligung: In der Krise band Getyourguide-Gründer Tao Tao die Mitarbeiter stärker an die Firma – und verringerte gleichzeitig die Kosten.

Wie wollt ihr die Zusammenarbeit im Team zukünftig gestalten?

Viele sprechen jetzt vom New Normal: unendliches Homeoffice, „work from anywhere“ und dergleichen. Ich glaube, das ist überstürzt. Man darf nicht zu schnell auf Trends aufspringen. Wichtiger ist es, eine Strategie für die Zeit nach der Krise zu entwickeln. Solange es keinen Impfstoff gibt, ist es dafür aber viel zu früh. Gleiches gilt auch dafür, jetzt Mitarbeiter möglichst schnell wieder ins Büro holen zu wollen. Obwohl es ja auch Mitarbeiter gibt, die gerne bald wieder mit den Kollegen zusammen sitzen möchten.

Lest auch

Ihr habt viel Geld und Zeit in euer neues Büro gesteckt, schon Zalando ist hier groß geworden. Der Fokus liegt dann aber doch schon auf dem Arbeiten vor Ort, oder?

Es ist ja auch cool, mit Kollegen am Whiteboard zu arbeiten. Ich finde es zum Beispiel schwierig, eine Strategiediskussion per Zoom zu führen. Wir haben Getyourguide als Firma aufgebaut, bei der Menschen in Teams zusammensitzen und -arbeiten. Diese Organisation würde sich selbst wenn man wollte nicht einfach komplett umstellen lassen. Viel dreht sich in einem Unternehmen ja auch um Vertrauen und Authentizität. Das ist schwierig über einen Video-Call zu vermitteln. Auch bei Konflikten zeigt sich, dass man auf diese Weise nicht unbedingt zum Kern kommt.

Eure wirtschaftliche Zukunft hängt von der Entwicklung des Reisemarkts ab. Was sind eure Erwartungen?

Das ist jetzt noch viel Kaffeesatzleserei. Wir haben unsere Nutzer gefragt, was ihnen am wichtigsten ist. Noch vor dem Einhalten der Hygieneregeln bei den Ausflügen oder Besichtigungen kommt dabei der Wunsch nach Flexibilität. Die Leute wollen einfach stornieren können. Wir gehen davon aus, dass sich das festsetzt und stellen unser Geschäft entsprechend darauf ein. Das wäre aber sowieso gekommen, nun passiert es nur schneller. Das Gleiche gilt für die Digitalisierung. Unsere Branche ist noch sehr analog, man muss sich zum Beispiel noch zu oft trotz Online-Buchung an Kassen anstellen.

Und wie sieht es mit dem Reiseverhalten aus, verändert sich das?

Die Leute werden jetzt nicht aufhören, den Vatikan zu besuchen oder die Pyramiden in Gizeh. Sie haben schon entdeckt, dass das eigene Land auch schön ist. Aber viele Sachen gibt es in Deutschland einfach nicht, und am Ende wird die Neugier siegen. Reisen hat meist ja auch eine soziale Komponente. Freizeitliches, kulturelles Reisen wird langfristig nicht weniger werden.

Geschäftliches aber schon?

Wahrscheinlich ja. Zumindest in den nächsten Jahren. Auch aus wirtschaftlichen Gründen, viele Firmen müssen nun sehr auf die Kosten achten. Ein Verzicht auf Geschäftsreisen ist eine einfache Möglichkeit, Einsparungen umzusetzen.

Getyourguide ist eines der Vorzeige-Unternehmen in der deutschen Startup-Welt, Dein Mitgründer Johannes Reck und du seid schon seit Langem Teil der Szene. Hat die Krise die Szene verändert?

Ich glaube schon. Es wird insgesamt einen stärkeren Fokus auf finanzielle Unabhängigkeit geben: Kann mein Unternehmen auch ohne große Finanzierungen auskommen? Dann erst sollte man überlegen, was zusätzliches Kapital an Mehrwert bringt. Bislang scheint es ja nicht so, als würden die Investitionsrunden weniger oder kleiner werden. Aber man wird zukünftig nicht mehr unbedingt davon ausgehen, dass die nächste Finanzierungsrunde in zwölf bis 18 Monaten kommt.

Wie sieht es bei den Bewertungen aus? Ihr habt mit der Softbank-Finanzierung die Milliardenmarke geknackt und seid zum Unicorn geworden.

Die werden vor allem in frühen Phasen vorsichtiger festgelegt werden. 50-Millionen-Bewertungen schon vor dem Launch werden seltener, auch wenn es in den USA gerade wieder solche Fälle gibt. Einen negativen Einfluss auf den Erfolg der Unternehmen wird das aber nicht haben – es gibt viel Wissen und Erfahrung, gute Leute und viele unterschiedliche, innovative und erfahrene Investoren in Deutschland.

Lade Premium-Inhalte...