Zwei Gründer mit großen Zielen: Sergey Brin (links) und Larry Page im Jahr 2004.
Zwei Gründer mit großen Zielen: Sergey Brin (links) und Larry Page im Jahr 2004.

Mit einem simplen Brief an die Aktionäre verabschieden sich die beiden vielleicht einflussreichsten Gründer des ersten Internetbooms von ihrem Unternehmen: Larry Page und Sergey Brin, Gründer von Google, gehen von Bord und geben ihre Managementpositionen auf. Page war zuletzt erster Mann in Googles Mutterkonzern Alphabet, Brin war als „President“ nur noch formal leitend. Nun bleiben beide nur noch im Verwaltungsrat.

In ihrem Brief begründen Page und Brin ihren Rücktritt damit, dass Alphabet und Google von einer vereinfachten Management-Struktur profitieren würden – Google-Chef Sundar Pichai übernimmt Pages Aufgaben zusätzlich zu seinen eigenen. „Wenn Google eine Person wäre, wäre sie nun ein junger Erwachsener im Alter vor 21 und es wäre Zeit das Nest zu verlassen“, schreiben Page und Brin, „von nun an nerven wir nicht mehr täglich, sondern bieten nur noch gelegentlich Rat an.“

Vernachlässigt haben Page und Brin ihren Zögling schon lange zuvor. Die beiden vollziehen nun das, was faktisch längst Realität war. Während Amazon und Facebook noch immer mit eiserner Hand und Kontroll-Mehrheiten von ihren Gründern geführt werden, war Google nicht so stark auf Page und Brin zugeschnitten. Die Gründer waren ohnehin nie das Gesicht des Konzerns, zeigten sich in den vergangenen zwei Jahren kaum noch in der Öffentlichkeit. Sie haben sich nicht zu den multiplen Konflikten geäußert, in die der Konzern verstrickt ist. Sei es Streit mit Angestellten, Wettbewerbsrecht oder Fragen rund um Wahlbeeinflussung – Page wie Brin bleiben stumm.

Weniger Politik, mehr Business

Das Verschwinden insbesondere von Generaldirektor Page sorgte für Irritationen bei Angestellten, Aktionären und Politikern. Auffällig war der Rückzug erstmals im Herbst 2018. Damals lud der US-Senat die Topmanager von Facebook, Twitter und Google zu einer kritischen Anhörung zum Thema Wahlbeeinflussung ein. Von Google erschien niemand.

In anderen Anhörungen vertrat Pichai Page. Auch in die großen internen Debatte rund um Gleichberechtigung und Diskriminierung im Konzern mischten sich Page und Brin öffentlich nicht ein. Stattdessen übernahm Sundar Pichai alle öffentlichen Äußerungen – insbesondere die unpopulären.

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Pichais Stil ist anders als jener von Page und Brin; professioneller, stärker auf Produkterfolg fokussiert. Unter ihm ist Google härter geworden – und weniger skrupellos. Pichai legte in einem Schreiben an die Angestellten neue Regeln für die Unternehmenskultur fest. Die Forderung: weniger Politik, mehr Business. Er strich das „Thank God it’s Friday“-Meeting, in dem einst alle Angestellten einmal pro Woche alle Themen im Konzern ansprechen konnten. Der Ersatz: ein strikt auf Produktstrategie limitiertes gelegentliches Treffen.

Er übernahm gegen den Protest seiner Angestellten Cloud-Projekte für das Pentagon und feuerte Ende November vier Angestellte, die öffentliche Proteste gegen Googles Verträge mit der US-Regierung und eine Gewerkschaftsvertretung organisieren wollten.

Alphabet brachte nur Verluste

Larry Page und Sergey Brin hatten sich bei Alphabet eine Nische des alten Google erhalten – des Googles der Tech-Visionäre, die unbekümmert von Produkterfolgen oder Monetarisierung erst einmal Ideen ausprobieren. 2015 hatte Page Alphabet als Mutter-Holding für Google gegründet. Neben Google selbst sollten unter dem Holding-Dach und unter der Führung von Page neue High-Tech-Ideen zu Firmen entwickelt werden, abseits des täglichen Drucks des Google-Konzerns. „Andere Wetten“, nannte Page das. Die Projekte sollten mittelfristig neue Einkommensströme für Alphabet schaffen und den Konzern unabhängiger von der Werbekonjunktur im Internet machen.

Sergey Brin schließlich sollte bei Google AI, dem Forschungslabor für weit in die Zukunft reichende Grundlagenforschung rund um künstliche Intelligenz, anleiten und neuen Ideen zum Durchbruch verhelfen. Doch zumindest bis jetzt ging keine der anderen Wetten auf. Seit 2015 generieren seine Projekte vor allem Verluste – und das nicht zu knapp.

Im vergangenen Quartal etwa brachten die Alphabet-Firmentöchter jenseits von Google selbst gerade einmal 155 Millionen Dollar Umsatz, generierten dabei einen operativen Verlust von knapp einer Milliarde pro Quartal. Diese Zahlen sind keine Momentaufnahme, ein Jahr zuvor waren es 146 Millionen Dollar Umsatz und knapp eine dreiviertel Milliarde Dollar Verlust. Page schaffte es bislang nicht, seine Gründungen jenseits des Google-Kerngeschäfts in die Gewinnzone zu führen.

Chronik des Scheiterns

Noch am vielversprechendsten erscheint Waymo. Das Startup entwickelt selbstfahrende Robotertaxis, mit denen es seit 2018 erstmals Passagiere ohne menschlichen Chauffeur auf ausgewählten Strecken in Arizona transportiert. Weit weniger gute Nachrichten kamen zuletzt vom Biotech-Startup Calico. Es veröffentlichte im laufenden Jahr gerade einmal drei wissenschaftliche Paper und entwickelte bislang kein einziges Biotech-Produkt bis zur Marktreife.

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Das AI-Projekt Deepmind schließlich schuf mit den Algorithmen „Alpha Go“ und seinem Nachfolger „Alpha Star“ zwar absolut beeindruckende künstliche Intelligenz. Immerhin können sie menschliche Spieler in Strategiespielen wie dem asiatischen Klassiker „Go„ oder den E-Sport-Hit „Starcraft II“ schlagen. Doch Geld verdient Alphabet bislang auch damit keines.

Ein weiteres Projekt für Internetsicherheit namens Chronicle, das Page erst 2018 ausgegründet hatte, scheiterte komplett und wurde im Juni 2019 wieder von Google absorbiert. Die Beteiligungsfirma „Google Ventures“ schließlich ist die finanziell erfolgreichste. Sie hält Beteiligungen an Einhorn-Startups wie Uber, Slack oder Lime. Unterm Strich jedoch sind Pages Alphabet-Wetten bislang vor allem Verlustbringer.

Schadensbegrenzung statt Produktentwicklung

Nun muss Pichai die unpopuläre Aufgabe angehen, die Visionen von Page und Brin zusammenzustutzen: Übrig bleiben werden Projekte wie Waymo, die zumindest mittelfristig vielversprechend erscheinen. Dabei muss Pichai aktuell genügend Probleme bei Google selbst lösen: Der Konzern ist erneut ins Visier der EU-Wettbewerbshüter geraten. Googles Nemesis in Brüssel ist Kommissarin Margrethe Vestager, die dem Konzern im November den nächsten Fragenkatalog vorlegte.

Diesmal geht es ans Eingemachte: Die EU will von Google wissen, wie der Konzern die Nutzerdaten für individualisierte Werbung verwendet. In den USA steht Google ebenfalls unter politischem Druck, fünfzig Generalanwälte der US-Bundesstaaten haben sich zusammengetan, um potenzielle Wettbewerbsverstöße des Konzerns zu untersuchen.

Die weltweite Kritik an der Geschäftspolitik der US-Internetriesen setzt Pichai unter Druck: Er ist aktuell mehr damit beschäftigt, Schadensbegrenzung zu betreiben, als neue Produkte zu entwickeln. Gleichzeitig wächst die Konkurrenz ums Kerngeschäft mit Werbung: Neben Facebook konkurriert neuerdings auch Amazon mit Google um die globalen Online-Werbebudgets. Noch verdient der Konkurrent aus Seattle nicht einmal ein Zehntel von dem, was Google einnimmt.

Doch Amazons Werbegeschäft wächst aktuell deutlich schneller als das von Google. Die Konkurrenz könnte angesichts der wackelnden globalen Werbekonjunktur mittelfristig die Wachstumsprognosen der Wall Street für Google gefährden. Page könnte den richtigen Moment gewählt haben, um sich zurückzuziehen. Im November erreichte die Alphabet-Aktie mit über 1200 Euro ein neues Allzeithoch. Sollte der Kurs nun ins Wanken geraten, wäre das Pichais Problem.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / Ralph Orlowski / Freier Fotograf