Auch Mode können Instagram-Nutzer direkt kaufen

Angefangen haben Twitter, Pinterest oder Facebook einmal als harmlose Plattformen für den mehr oder weniger netten persönlichen Austausch. Mittlerweile dringen die sozialen Netzwerke immer tiefer in Leben und Alltag von Milliarden Menschen ein – auf persönlicher, politischer und zunehmend auf kommerzieller Ebene. Jüngster Beleg ist ein Quantensprung von Instagram in den Online-Handel.

Das Bilder-Netzwerk führte Ende März in Deutschland eine neue Shopping-Funktion ein, die die umständliche Suche nach begehrten Waren überflüssig macht. Gefällt einem Nutzer die abgebildete schicke Tasche, das flockige Sommerkleid oder das stylische Badeset, so reicht ein Klick aufs Produkt, und schon werden Preise sowie Informationen eingeblendet um den Artikel zu kaufen.

Das aus Nutzersicht simple Detail hat nach Einschätzung von Fachleuten das Potenzial, die Machtverteilung im Handel umzuwälzen. „Die Einführung der Shopping-Funktion von Instagram in Europa ist ein Weckruf an den traditionellen Handel. Jetzt besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, dass die Karten im Online-Handel grundlegend neu verteilt werden“, sagte Moritz Hagenmüller, Handelsexperte der Beratungsfirma Accenture, gegenüber WELT. Erstmals dränge neben dem E-Commerce-Giganten Amazon ein weiterer kraftvoller Rivale auf den Markt. „Instagram schafft eine neue Qualität im Wettbewerb mit Amazon“, sagte Hagenmüller.

„Die traditionellen Händler sind viel zu langsam“

Das Foto-Netzwerk denke als Tech-Konzern genau wie Amazon nicht in den Kategorien herkömmlicher Handelsfirmen. Es verfüge auch über ähnliche technische Mittel und erzeuge zusätzlich eine unglaubliche Reichweite im Markt. Immerhin verfügt Instagram laut aktuellen Zahlen weltweit über 800 Millionen Nutzer, davon 15 Millionen in Deutschland. Auch Pinterest dränge weiter in den digitalen Verkauf ein, wobei Mode und Accessoires im Vordergrund stehen dürften. Hier könnten Online-Firmen wie Zalando, Otto oder Asos zwar Achtungserfolge erzielen, so Hagenmüller.

Quelle: Instagram

Aber im Vergleich zu den Digital-Riesen sei der Abstand groß, und beim stationären Handel reiche das Anpassungstempo nicht aus. „Die traditionellen Händler sind viel zu langsam in der Erschließung des E-Commerce“, meinte der Berater. Zwar seien die technischen Fragen heute allesamt relativ leicht lösbar. Die eigentlichen Probleme der etablierten Unternehmen lägen jedoch in einer Organisation entlang traditioneller Linien, etwa bei beziehungslos nebeneinander her arbeitenden Marketing-Abteilungen.

Die Shopping-Funktion von Instagram soll in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern schrittweise, aber zügig eingeführt werden. In den USA läuft ein flächendeckender Test mit 30.000 angeschlossenen Firmen bereits seit Ende 2016.

Amazon hat der Konkurrenz etwas Entscheidendes voraus

Die Bilder, in denen Shoppinglinks hinterlegt sind, werden mit einem kleinen Einkaufstaschensymbol gekennzeichnet. Bis zu fünf Produkte pro Foto können markiert werden. Wer sie anklickt, wird direkt über einen Link zum Online-Shop des Herstellers oder Anbieters weitergeleitet, wo der Kauf komplett abgewickelt wird. Händler müssen über einen Geschäfts-Account bei Instagram verfügen, der wiederum nur in Kombination mit einem Konto bei Facebook funktioniert.

Die neue Funktion wird die Bilderplattform nicht von heute auf morgen auf dieselbe E-Commerce-Flughöhe wie Amazon bringen. Der Marktführer hat seinen Konkurrenten etwas Entscheidendes voraus: Amazon kennt die Konsumgewohnheiten seiner Nutzer besser als jeder andere Konkurrent. Nicht jede Suche nach Produkten auf Google, jedes Like auf Instagram oder Facebook oder jeder Klick auf Pinterest basiert auch auf einer Kaufabsicht. Wer aber auf Amazon etwas sucht und in den Warenkorb legt, der will das jeweilige Produkt aller Voraussicht nach auch besitzen.

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Daher kann Amazon sehr einfach seine Nutzer mit passenden Werbebannern durchs Internet verfolgen, um den Impulskaufreflex auszulösen. Der Konzern schickt genau dann Mails mit Erinnerungen, wenn er weiß, dass das Geld bei den Nutzern gerade besonders locker in der Tasche sitzt. Zum Monatsanfang etwa, oder vor Ostern und Weihnachten.

Er kennt aus vergangenen Transaktionen die finanzielle Leistungsfähigkeit seiner Kunden und deren individuelle Bereitschaft, für Mode, Spielzeug oder Elektronik mehr oder weniger Geld auszugeben. Er weiß, dass Kunden, die nach Babywindeln kaufen, ziemlich genau ein Jahr später nach Duplo und Kleinkinderspielzeug suchen. Auch die ausgefeilte Logistik ist nicht leicht zu überwinden.

Nutzer haben Lust auf Shopping

Amazons größte Stärke ist die exakte Analyse von Daten. Das Aufdröseln echter Transaktionen über ein weites Spektrum verschiedener Konsumgüter beherrscht niemand sonst im Online-Geschäft so gut. Und die Algorithmen, die Einkauf und Marketing steuern, analysieren nicht nur das Kundenverhalten, sie beziehen auch das Wetter an Feiertagen oder die Konjunkturdaten der lokalen Wirtschaft mit ein – alles, um den Kunden im richtigen Moment mit dem richtigen Gut abzupassen.

Dennoch verfolgen Marktbeobachter die wachsende Bedeutung der sozialen Netzwerke als Shopping-Kanal mit Faszination. Die Dynamik ist groß. Weit mehr als die Hälfte aller Markenauftritte bei Facebook oder Instagram sind nach einer Studie des Publikation Business Insider bereits mit einem „Buy Button“ ausgerüstet. Die 500 größten Händler weltweit haben 2017 etwa 6,5 Milliarden Dollar über „Social Shopping“ umgesetzt, 24 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Auch die Nutzer haben durchaus lebhaftes Interesse am Einkauf über die Netzwerke. Vier von fünf Instagram-Usern folgen mindestens einem Unternehmen. Wie die weitere Entwicklung aussehen könnte, zeigt ein Blick nach Asien. Bei der chinesischen Plattform WeChat verdoppelte sich der Anteil der Kunden, die mindestens einen Kauf über das Netzwerk abwickelten, innerhalb nur eines Jahres.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Titelbild: PeopleImages