Bei Lovoo arbeitet Florian Braunschweig schon seit dem Start der App 2011. Geschäftsführer wurde er nach der Übernahme durch die Meet Group.

230 Mitarbeiter, nach eigenen Angaben achtstellige Umsätze und 50 Millionen registrierte Nutzer: 2016 lief bei der Dating-App Lovoo alles glänzend. Doch dann sah sich das Startup mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Lovoo soll weibliche Fake-Profile angelegt haben, um Nutzer zu kostenpflichtigen Aktionen zu bewegen. Dazu sollen die Mitarbeiter in einem internen Projekt namens „Tu Gutes“ angeregt worden sein.

Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelte gegen Lovoo, nach einer Razzia im Sommer 2016 nahm die Polizei die beiden Geschäftsführer Benjamin Bak und Alexander Friede vorübergehend fest. Die Ermittlungen wurden schließlich gegen eine Zahlung der beiden in Höhe von 1,2 Millionen Euro eingestellt. Wenige Monate später übernahm die US-amerikanische Meet Group das Startup für einen Kaufpreis von 65 Millionen US-Dollar. Die Geschäfte leitet seit dem Verkauf Florian Braunschweig, der schon seit dem Start der App im Jahr 2011 bei Lovoo tätig ist.

140 Mitarbeiter sind laut Unternehmen aktuell in Berlin und Dresden bei Lovoo tätig. Als Florian Braunschweig an einem Freitagvormittag im Berliner Büro zum Interview empfängt, sind die Arbeitsplätze jedoch fast alle leer. Freitag sei Homeoffice-Tag, sagt der CEO. Mit Gründerszene spricht er über den Moment, als die Polizei 2016 auch bei ihm klingelte, über die Übernahme durch Meet und darüber, wie Lovoo mittlerweile gegen Fake-Profile vorgeht. Nur über „Tu Gutes“ möchte er nicht sprechen. Auf die Nachfrage von Gründerszene, ob es das Projekt tatsächlich gab, bleibt Braunschweig stumm. 

Florian, du bist von Beginn an bei Lovoo, 2016 zum Zeitpunkt des Skandals warst COO. Die Polizei ermittelte gegen die damaligen Geschäftsführer Benjamin Bak und Alexander Friede wegen versuchten Betruges. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Auch bei mir stand morgens die Polizei vor der Tür, das war natürlich nicht so schön. 2015 haben wir zum ersten Mal einen externen Investor [den Namen möchte Lovoo nicht nennen, Anm. d. Red.] ins Boot geholt, mit dem Ziel, in den USA zu wachsen. Auf einmal hatten wir sehr viel Geld und haben nicht mehr darauf geachtet, dass wir profitabel sind, sondern sind in den Wachstumsmodus gewechselt. Zu der Zeit ist mir der Spaß etwas vergangen, weil das Unternehmen einfach zu groß, zu chaotisch und zu träge wurde. Wir hatten ja alle keine Erfahrung mit der Führung eines Unternehmens in dieser Größe, wir sind da so reingewachsen.

Hast du mit dem Gedanken gespielt zu gehen?

Nein, auf keinen Fall. Ich bin sehr schnell in einen konstruktiven Modus gewechselt, um wieder Ruhe ins Unternehmen zu bringen. Die Mitarbeiter waren natürlich verunsichert und vollkommen überfordert mit der Situation. Ihr Vertrauen in die Geschäftsführung war komplett hinüber.

Wie genau sah dieser „konstruktive Modus“ aus?

Wir mussten das verlorengegangene Vertrauen des Teams wieder aufbauen. Wir haben fast alle Unternehmenszahlen transparent gemacht und den Mitarbeitern gegenüber genau kommuniziert, was denn eigentlich mit den ganzen Umsätzen passiert und wie wir sie weiter investieren. Leider mussten auch etwas mehr als 30 Mitarbeiter gehen. Wir haben die Marketing-Ausgaben halbiert und die Expansion in die USA gestoppt. Und wir mussten eine Lösung mit unserem Investor finden, das war eigentlich die größte Herausforderung.

Inwiefern?

Wenn er die Vorgänge als Vertragsverletzung gewertet hätte, dann wäre es vorbei gewesen mit Lovoo. Doch wir konnten ihn davon überzeugen, das bisherige Investment in ein Darlehen umzuwandeln. So haben wir dem Investor jeden Monat einen Teil des Geldes zurückgezahlt, beim Verkauf folgte dann der ganze Rest.

Die Geschichte des Skandal-Startups Lovoo in Bildern

Wenige Monate nach den Betrugsvorwürfen wurde Lovoo von der amerikanischen Meet-Gruppe übernommen. War es wegen den Zahlungsverpflichtungen notwendig, schnell einen Käufer zu finden?

Es war nicht dringend, weil das Unternehmen wieder relativ schnell profitabel wurde. Trotzdem wollten wir die Gelegenheit nutzen, denn man weiß ja nie, was noch passieren kann. Wenn man schon einmal kurz davor stand, alles zu verlieren, wird einem das umso mehr bewusst.

Welche Rolle spielte der Skandal bei den Verhandlungen zur Übernahme?

Das Ganze war sehr präsent, verständlicherweise. Wer ein Unternehmen kaufen möchte, dem diese Art von Presse anhängt, will natürlich ganz genau hinsehen. Insbesondere weil Meet an der Börse notiert ist. Umso mehr spricht es für Lovoo, dass sie sich letztendlich für den Kauf entschieden haben.

Euer Gründer Benjamin Bak stand im Fokus der Ermittlungen. Mit dem Verkauf verließ er das Unternehmen. War das für einen Neustart wichtig?

Nein, wir haben ja Lovoo in der Zweierkonstellation noch ein Jahr gemeinsam geführt. Nach der Akquisition beschloss Ben, etwas anderes zu machen.

Bist du weiterhin in Kontakt mit Benjamin?

Ja, aber wir sehen uns nur noch unregelmäßig. Es ist jetzt natürlich nicht mehr so einfach, den Kontakt zu halten, wie zu der Zeit, als wir uns jeden Tag im Büro gesehen haben.

Wie hat sich Lovoo als Unternehmen verändert, als es auf einmal Teil eines großen amerikanischen Konzerns wurde?

Ganz praktisch hat sich gar nicht so viel verändert, aber wir stehen regelmäßig in sehr engem Austausch mit der Gruppe. Der Plan war ursprünglich, dass der CFO der Gruppe komplett bei uns in Deutschland sein würde, um das Geschäft zu überwachen. Das hat er dann vielleicht zwei Wochen lang getan, weil er dann nicht mehr das Gefühl hatte, stets vor Ort sein zu müssen.

Und was hat sich seit der Übernahme in der App selbst verändert?

Die größte Veränderung ist Live-Video. Die Live-Funktion ist die große Börsenstory der Meet-Gruppe und auch bei uns ist sie zum wichtigen Feature geworden. Mittlerweile gibt es bei Lovoo zahlreiche Top-Streamer mit richtig starken Communities. Die Nutzer können interaktiv auf die Streams einwirken und zum Beispiel virtuelle Geschenke verschicken. In Zukunft wollen wir die Live-Funktion als eigene App ausbauen, um so auch die Nutzer ansprechen, die nur an den Videos, nicht aber am Dating interessiert sind.

Ihr seid momentan in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Spanien aktiv. Plant ihr in weitere Länder zu gehen?

Das ist ein kontinuierliches Thema für uns. Beim Start in neuen Ländern ist es als Dating-App immer besonders schwierig, eine kritische Masse aufzubauen. Dabei kann uns wiederum die Live-Funktion helfen. Ich stelle mir die App mit den Live-Videos immer vor wie eine Bar mit Livemusik – wenn ich gerade niemanden zum Unterhalten habe, schaue ich mir eben die Band an.

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Wie sichert ihr euch mittlerweile gegen Fake-Profile ab?

Das ist ein Thema für die gesamte Branche. Generell unterscheiden wir zwischen Spam, Scam und Fake. Wir gehen aktiv gegen alle drei Formen vor. Spam meint vor allem Werbung, also zum Beispiel externe Links in den Profilen. Scam geht Richtung Betrug, wenn versucht wird, Nutzer auf andere Plattformen umzuleiten und Geld von ihnen zu erpressen. Fake bedeutet, dass eine Person sich als eine andere ausgibt. Oftmals ist es aber auch so, dass Nutzer echte Profile für Fake halten, weil sie die Person für zu schön halten zum Beispiel. Diese Zweifel auszuräumen ist für uns die viel größere Herausforderung.

Wie genau stellt ihr also sicher, dass es keine Fakes mehr in die App schaffen? 

Unsere Algorithmen erkennen Auffälligkeiten in den Profilen, die dann bei unserem Customer-Care-Team landen. Nutzer können auch auffällige Profile melden, diese Nutzer müssen sich dann verifizieren. Auch alle Fotos überprüfen wir manuell. Wir sichern uns also überall dort ab, wo Einfallstore sein könnten.

Bild: Lovoo