Mit 36 Jahren wurde Jan Kemper zum CFO von Prosiebensat.1 berufen.
Mit 36 Jahren wurde Jan Kemper CFO von Prosiebensat.1.

Es war ein Wechsel, der in der Berliner Startup-Szene für Diskussionen sorgte: Jan Kemper, der langjährige Finanzchef von Zalando, kündigte vor eineinhalb Jahren an, nach München zum Medienkonzern Prosiebensat.1 zu gehen – ebenfalls als Chief Financial Officer (CFO). Seitdem befindet sich der Konzern im Umbruch, Kempers erster Chef Thomas Ebeling musste gehen, nachdem er die Zuschauer als „ein bisschen fettleibig und ein bisschen arm“ bezeichnet hatte. Nach einer Übergangszeit ist nun der ehemalige Dyson-Chef Max Conze neuer Vorstandsvorsitzender. Doch zu allem Überfluss flog der Medienkonzern auch noch aus dem Dax und der Aktienkurs ging steil nach unten.

Die Sendergruppe steht zusätzlich vor der Herausforderung, den Weg weg vom linearen Fernsehen zu finden. Große Hoffnung liegt auch auf dem E-Commerce-Geschäft, etwa mit dem Parfüm-Shop Flaconi. Kemper ist für genau dieses Digitalgeschäft zuständig. Im Interview mit Gründerszene spricht er über seinen schnellen Aufstieg – und erklärt, warum er seinen Wechsel nicht bereut.  

Jan, du warst fast sieben Jahre lang Finanzchef bei Zalando. Im Sommer 2017 bist du als CFO zu Prosiebensat.1 gewechselt. Eine große Veränderung, oder?

Nicht so sehr, wie es auf den ersten Blick scheint. Zalando war ja bei weitem kein Startup mehr, als ich gewechselt bin. Wir haben zu der Zeit vier Milliarden Euro umgesetzt und 14.000 Mitarbeiter beschäftigt. Gleichzeitig ist Prosiebensat.1 mit rund 6.500 Mitarbeitern ein vielfältiger Konzern: Wir haben unser langjähriges Entertainmentgeschäft, einen internationalen Produktionsbereich und unsere Commerce-Sparte. Dort sind viele junge Unternehmen dabei, die heute sicherlich mehr Startup-Kultur haben als Zalando.

War es für dich eine schwierige Umstellung vom Berliner E-Commerce-Champion zum Medienkonzern nach München zu wechseln?

Natürlich habe ich am Anfang etwas Zeit gebraucht, um die Prozesse, die Organisation und auch die Unternehmenskultur zu verstehen. Entscheidend ist für mich, dass ich viel aus meiner alten Rolle in Berlin mitnehmen und bei Prosiebensat.1 einbringen konnte.

Was konntest du konkret aus Berlin mitbringen?

Beispielsweise die Art und Weise, wie ich mit meinen Teams kommuniziere: Da geht es etwa um die Frage, wie sichtbar, greifbar und zugänglich du als CFO bist, wie oft du dich vor die gesamte Mannschaft stellst. Wir veranstalten deshalb unter anderem alle sechs Wochen ein All-Hands-Meeting mit allen Mitarbeitern aus meinem Vorstandsbereich und diskutieren über Dinge, die gut oder schlecht gelaufen sind. Mir ist dabei der offene Austausch mit dem Team wichtig – wir verwenden deshalb das Online-Tool Sli.do, mit dem die Mitarbeiter mir anonym ihre Fragen direkt im Townhall stellen können.

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Du wurdest mit 36 Jahren zum CFO eines Dax-Unternehmens berufen. Das ist sehr ungewöhnlich. Würdest du dich als Überflieger beschreiben?

Ich würde mich als positiv Verrückten bezeichnen. Das bedeutet, dass ich schon immer geschaut habe, wo und wie ich mich weiterentwickeln kann. Stillstand ist nicht so mein Ding. Ich versuche in der Regel eher sehr langfristig zu denken – sowohl für mich persönlich als auch für die Firma. Dabei glaube ich auch absolut an den kollaborativen Ansatz. Das heißt konkret, dass es immer ein ganzes, am besten cross-funktionales Team braucht, um Erfolg haben zu können.

Kannst du rekonstruieren, warum ausgerechnet du es in so jungen Jahren in diese Rolle geschafft hast?

Ich denke, es war eine Kombination aus Glück, Leistung und dem Willen zu gestalten.

Wieso war es Glück?

Glück eher in dem Sinne, dass manche Entwicklungen einfach nicht planbar sind. Als ich bei Zalando angefangen habe, war die unglaubliche Erfolgsstory der Firma in keinerlei Weise abzusehen. Zu verdanken ist diese Entwicklung in erster Linie den beiden Gründern David Schneider und Robert Gentz, die ihre Idee zielstrebig verfolgt und zeitgleich ein Team aufgebaut haben, das die Vision von Zalando bestmöglich umgesetzt hat. Je mehr Erfolg wir hatten, desto größer wurde in der Konsequenz auch das Interesse anderer Firmen an uns als Management-Team.

Für Prosiebensat.1 war das vergangene Jahr hart, der Konzern ist aus dem Dax geflogen. Derweil ist Zalando – trotz Absturz an der Börse – immer noch mehr wert. Hast du den Wechsel jemals bereut?

Nein. Ich hatte eine tolle Zeit bei Zalando und dort das Privileg, sieben Jahre lang Wachstum in zentraler Verantwortung mitzugestalten. Jetzt begleite ich bei Prosiebensat.1 den Konzern durch seine Transformation – das ist genau die Art von Herausforderung, die ich nach meiner Zeit in Berlin gesucht habe. Aber natürlich braucht diese Transformation Zeit. Das letzte Jahr war hinsichtlich der Aktienkurs-Performance und auch des Wechsels in den MDax eher schwierig, da gibt es nichts zu beschönigen.

Hast du die Entwicklung jemals auf dich bezogen? Schließlich bist du als junger CFO gekommen und in den Monaten danach brach der Kurs ein.



Wichtiger Tag für den Finanz-Manager Kemper: Der Börsengang von Zalando 2014.
Wichtiger Tag für den Finanz-Manager Kemper: Der Börsengang von Zalando 2014

Hast du die Entwicklung jemals auf dich bezogen? Schließlich bist du als junger CFO gekommen und in den Monaten danach brach der Kurs ein.

Nein, da die Entwicklungen am Kapitalmarkt in der Regel nicht vom Handeln einzelner Personen abhängen. Aber natürlich hinterfrage ich kontinuierlich meine Arbeit und versuche Themen, die mir nicht gefallen, sofort zu adressieren und aufzuarbeiten. Gleichzeitig glaube ich an die aktuelle Strategie von Prosiebensat.1, mit der wir wieder ein stärkeres Wachstum generieren werden.

Wichtig für die Strategie sind die Beteiligungen an und Übernahmen von Digitalfirmen. Die digitalen Unternehmen, an denen Prosiebensat.1 beteiligt ist, hat der Konzern in der Nucom-Gruppe gebündelt. Die will nun nach eigenen Aussagen wachsen und gleichzeitig profitabel werden. Wie soll das gehen?

Wir haben für unser gesamtes Commerce-Portfolio ambitionierte Wachstumsziele, sowohl für den Umsatz als auch das Ergebnis. Wir haben aber ganz konkrete Treiber im Portfolio. So bin ich zum Beispiel überzeugt, dass das nächste Unicorn im europäischen E-Commerce-Sektor aus dem Bereich Beauty kommen wird. Daher steht bei Flaconi ganz klar Wachstum im Fokus. Jetzt ist die Frage: Wer schafft das – Amazon, Zalando, Sephora, Douglas oder wir mit Flaconi?

Wer sind die Hoffnungsträger unter den Digitalunternehmen?

Wir haben im Commerce-Portfolio vier Unternehmen, die in Summe derzeit 70 bis 75 Prozent des Umsatzes erzielen. Konkret handelt es sich um die Vergleichsseite Verivox, Dating mit ParshipElite, Erlebnisgutscheine mit Jochen Schweizer Mydays und Beauty mit Flaconi.

Seid ihr in Gesprächen für weitere Zukäufe?

Wir sind sehr offen für weitere Zukäufe und kontinuierlich in Gesprächen mit interessanten Unternehmen. Im Herbst letzten Jahres konnten wir beispielsweise den US-Partnervermittlungspionier Eharmony für unsere ParshipElite Group erwerben. Auch für Verivox oder Jochen Schweizer Mydays können wir uns Zukäufe vorstellen – wenn der Preis stimmt und das Geschäft damit nachhaltig gestärkt wird.

Sind auch Zukäufe in ganz neuen Sparten eine Option, wie seinerzeit bei den Startups Amorelie oder Flaconi?

Ganz neue Startups gucken wir uns weniger an. Und wenn, dann in Deutschland, damit wir unsere TV-Synergien nutzen können. Wir konzentrieren uns jetzt aber erst einmal auf unsere vier Kernbereiche. Generell sind wir als Prosiebensat.1 über die SevenVentures auch im Bereich der Minderheitsbeteiligungen an Startups aktiv. Für die NuCom Group sind allerdings nur Unternehmen interessant, die ihr Geschäftsmodell schon erfolgreich am Markt getestet haben und gleichzeitig weiter ambitioniert wachsen wollen.

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Langfristig möchte Prosiebensat.1 die Bereiche Fernsehen und E-Commerce verbinden. Wie soll das funktionieren?

Welche Schnittpunkte es gibt, zeigen uns Vorbilder aus den USA oder China wie Amazon und Alibaba. Der gemeinsame Nenner sind häufig die Daten. Wir können also die Nutzerdaten aus dem Commerce-Bereich nehmen, um bessere Entertainment-Produkte zu basteln, das heißt zielgerichtetere Werbung. Auf der anderen Seite nutzen wir die Reichweite unseres TV-Geschäfts, um die Commerce-Angebote über Werbung zu pushen. Je digitaler Fernsehen wird, desto mehr Verknüpfungspunkte gibt es.

Wie wird sich das lineare Fernsehen deiner Meinung nach in Zukunft verändern?

Die Jüngeren gucken zwar unsere Sendungen, aber über andere Geräte, das iPhone oder das iPad beispielsweise. Es ist also nicht mehr ausschlaggebend, wo und wie geschaut wird. Ich bin deswegen überzeugt, dass die Marken der einzelnen Formate – beispielsweise Galileo oder Germany‘s Next Topmodel immer wichtiger werden. Hier müssen wir noch mehr Angebote um die Sendung herum bauen.

Was bedeutet das in Konsequenz?

Es gibt eine Umfrage, bei der viele Zuschauer angegeben haben, Galileo gar nicht als Marke im Fernsehprogramm zu kennen, weil sie das Format in erster Linie auf Youtube schauen. Das ist nur ein Beispiel, aber es zeigt das große Potenzial von attraktiven Inhalten, sodass wir voller Energie daran arbeiten, diese Fan-Communities entlang aller Kanäle noch stärker zu bedienen.

Diese ganzen Pläne müssen umgesetzt werden. Wie sieht ein klassischer Tag bei dir aus?

Den klassischen Tag gibt es nicht. Wenn ich im Büro in München bin, habe ich einen relativ vollen Kalender – Meetings und Diskussionen sowohl mit Externen, meinen Kollegen aus dem Vorstand und Leadership-Team als auch meinen Führungskräften und den Teams. Aber ich versuche auch ganz gezielt, Freiraum zum Nachdenken und Lesen in den Kalender zu bringen.

Du giltst als sehr sportlich, machst beim Triathlon mit. Wie schaffst du das nebenbei?

Sport war mir schon immer wichtig, ich brauche das einfach als Ausgleich zu meinem Job. Deshalb versuche ich, Sport so gut es geht in meinen Alltag zu integrieren. Ich laufe oder radle zum Beispiel oft morgens zur Arbeit oder schwimme in einem See in der Nähe unseres Büros. Mittags motiviere ich manchmal auch ein paar Kollegen, gemeinsam mit mir eine Runde zu laufen. 

Wie lange schläfst du dann jede Nacht, wenn du morgens noch Sport machst?

Mehr als sechs Stunden werden es meistens nicht.

Bilder: Chris Marxen / Headshots-Berlin.de, Getty Images / Hannelore Foerster