Links der Produktentwurf der belgischen Firma Bundl, rechts die Cremes des deutschen Startups Ave + Edam.

Es ist ein Dienstag Ende März, Franziska Leonhardt sitzt in ihrem Büro im Westen Berlins. Von dort vertreibt die 36-Jährige gemeinsam mit ihrem Co-Gründer Dominik Michels personalisierte Hautpflege für Männer und Frauen. Einzelne Inhaltsstoffe dürfen die Kunden selbst bestimmen, ein Algorithmus berechnet die genaue Zusammensetzung der Cremes. Ave + Edam heißt ihre Marke, seit vergangenem Herbst sind die Produkte erhältlich. Im März sind die beiden Gründer gerade dabei eine große Finanzierung für ihr Startup einzusammeln.

Am besagten Dienstag bekommt Leonhardt am Nachmittag einen Screenshot geschickt. Er zeigt eine Nachricht des belgischen Company Builders Bundl, die ein Freund über Instagram erhalten hat. „Basierend auf der Interaktion mit Ave + Edam schließen wir, dass du ein Kunde bist/warst“, heißt es darin. Es folgt die Einladung zu einem Online-Interview: „Um die perfekte Hautpflegeserie zu kreieren, ist es uns wichtig, unsere Wettbewerber zu kennen und zu verstehen.“ Im Laufe des Nachmittags erhält Leonhardt nach eigener Aussage weitere solche Screenshots – von Bekannten, Mitarbeitern und auch von Kunden, die sie nicht persönlich kennt. „Ist das von euch?“, schreibt einer verwundert.

Die Instagram-Nachricht des belgischen Company Builders Bundl.

Der Gründerin wird klar: Ihr Produkt soll kopiert werden, oder zumindest als wichtige Inspirationsquelle dienen. Im von Bundl organisierten Online-Interview (das Gründerszene nachvollziehen konnte) sollen die Probanden detailliert von ihren Erfahrungen mit Ave + Edam berichten – beim Bestellvorgang, in der Kommunikation mit der Marke und bei der Nutzung der Cremes. Sie sollen schildern, was ihnen besonders gefällt und wo sie noch Verbesserungsvorschläge haben. Zum Schluss bekommen die Teilnehmer eine Landingpage und ein Mockup-Produkt der Marke gezeigt, an der Bundl offenbar aktuell arbeitet.

Von wem stammt die Creme-Kopie?

Und tatsächlich: Die Cremedosen ähneln stark denen von Ave + Edam. Die Tiegel der deutschen Firma sind mit dem Namen der Kundin oder des Kunden bedruckt – der Cremetopf für die Tagespflege ist weiß, der für die Nacht schwarz. Genauso sind die Cremes von Bundl gestaltet: Groß prangt der Name auf der Dose, diese ist weiß für den Tag, schwarz für die Nacht. Der einzige erkennbare Unterschied ist das Firmenlogo. O.W.N hat der belgische Company Builder seine personalisierte Pflegemarke getauft, kurz für „Only What’s Needed“.

Doch warum baut Bundl überhaupt das Produkt nach? Als Company Builder, wie es sie auch hierzulande mehrfach gibt, entwickelt das belgische Unternehmen Geschäftsmodelle. Solche Firmeninkubatoren kümmern sich um die Marktforschung, die Ausarbeitung der Idee und das Designs, teilweise sogar das Programmieren der Website – meist im Auftrag großer Firmen. Bundl listet auf seiner Webseite Kunden wie die Banken HSBC und BNP, Nike oder Coca-Cola auf. Der einzige Kosmetikkonzern? Beiersdorf aus Hamburg, bekannt für Marken wie Nivea oder Labello.

Gegenüber Gründerszene bestätigt Beiersdorf die Zusammenarbeit mit Bundl. Es handle sich bei der belgischen Firma um „einen externen Partner“, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage. Das Kosmetikunternehmen scheint sich schon länger für das Thema personalisierte Hautpflege zu interessieren. In der Vergangenheit habe es auch Gespräche zwischen Ave + Edam und Beiersdorf gegeben, bestätigt Gründerin Franziska Leonhardt gegenüber Gründerszene. Der Kosmetikkonzern will sich nicht dazu äußern.

Franziska Leonhardt und Dominik Michels haben zusammen Ave + Edam gegründet.

Leonhardt ist nicht die einzige, die die Idee für eine individualisierte Hautpflege hatte. Gerade in den USA gibt es schon ein paar Marken, die auf personalisierte Pflegeprodukte setzen, einer der bekanntesten Anbieter dort ist die Firma Proven Skincare. Doch Leonhardt ist eine der Ersten, die das Geschäftsmodell für Europa ausrollen. Mit ihrem Business stehen sie und ihr Team noch am Anfang: Der offizielle Launch von Ave + Edam war erst im September 2019. Aktuell sind sie und ihr Mitgründer dabei, eine erste Finanzierungsrunde zu schließen.

Juristisch sind solche Nachrichten ein Grenzfall

Für Scarlett Lüning, Rechtsanwältin für Marken- und Medienrecht bei der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke, ist die Vorgehensweise des Company Builders ein Grenzfall. Die Nutzer würden zwar zum Zweck der Marktforschung angeschrieben, dennoch könnte es sich bei den Nachrichten ihrer Meinung nach um unzulässige Werbung handeln: „Auch bei Forschungsanfragen schwingt immer eine gewisse Werbeabsicht mit“, sagt Lüning zu Gründerszene. Weil die Angeschriebenen keine Einwilligung zur Erhebung und Verarbeitung ihrer Daten gegeben hätten, seien die Anfragen außerdem nicht DSGVO-konform, so die Juristin.

Gründerszene hat mehrfach versucht, mit Bundl über die Nachrichten bei Instagram, die Forschungsinterviews und über die beinahe gleiche Gestaltung der Produkte zu sprechen. Die Firma hat die Anfragen nicht beantwortet. Beiersdorf wiederum gibt an, auf die Arbeitsmethoden seines Partners keinen Einfluss zu haben. In seinem Statement distanziert sich der Konzern vom Vorgehen des belgischen Company Builders: „Bei ihren Marktuntersuchungen agieren die Partnerunternehmen typischerweise eigenständig, holen Erkenntnisse in Bezug auf die jeweilige Aufgabenstellung ein und analysieren diese ohne direkte Beteiligung von Beiersdorf“, so die Sprecherin des Kosmetikunternehmens.

Ein neuer Firmenkopierer – Rocket 2.0?

Franziska Leonhardt gibt sich derweil kämpferisch: „Eigentlich ist es doch ein gutes Zeichen, wenn dich jemand kopieren will.“ Bevor sie ihr eigenes Startup gründete, arbeitete Leonhardt mehrere Jahre bei Rocket Internet – der Startup-Schmiede der Samwer-Brüder, die lange Zeit als notorischer Firmenkopierer berüchtigt war: „Manchmal frage ich mich, ob das gerade Karma ist, was zurückschlägt“, sagt sie im Hinblick auf ihre Rocket-Vergangenheit und muss lachen.

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Mittlerweile ist ihr Startup auf der eigenen Instagram-Seite in die Gegenoffensive gegangen. Wer gern an einem solchen Forschungsinterview teilnehmen wolle, solle das doch lieber bei Ave + Edam tun, postete die Firma kürzlich in ihren Stories. Für die Teilnahme bekämen die Kundinnen und Kunden einen Rabattcode.

Bild: Ave+Edam