Vermarkten Unikate und Kleinserien: die Kunst-100-Geschäftsführerinnen Elisaweta Kostenko (28, r.) und Lila Nettsträter (30)

Unter ein paar tausend Euro geht bei den Stars der Gegenwart fast gar nichts. Wer sich das Werk eines Gerhard Richter oder einer Marlene Dumas ins Wohnzimmer hängen möchte, sollte über einen gewissen Kontostand verfügen. Deutlich unbekanntere Kunstschaffende und deren Gemälde oder Collagen vermarktet die Gründerin Lila Nettsträter. Die Botschaft ihrer Online-Galerie: Kunst kann sich fast jeder leisten. Man muss es nur wollen.

Lila Nettsträter und Elisaweta Kostenko leiten Kunst 100, das sie im Juli 2019 offiziell gegründet haben. Investoren, darunter ein Google-Manager, haben im Sommer einen sechsstelligen Betrag in das Startup gesteckt. 140 Motive von Künstlerinnen und Künstlern bietet der Shop aktuell an. Umsatzzahlen will Nettsträter nicht nennen.

Wir haben mit ihr über „erschwingliche“ Werke und die Verbindung von BWL und Kunst gesprochen. 

Lila, ihr verkauft online nackte Reiterinnen auf Leinwand und Drucke von Tennissocken vor Blümchengardinen. Das ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Wer bestellt bei euch?

Zum einen sind das 25- bis 35-Jährige, die gerade in ihre zweite Wohnung ziehen und keinen Bock mehr auf Ikea-Plakate haben. Zum anderen kommen Leute zu uns, die zuhause Werke für 1.000 bis 10.000 Euro hängen haben und jetzt junge, unbekannte Künstler fördern möchten.

Ab wann gelten ein Foto oder eine Collage aus Zeitungsausschnitten bei euch als Kunst?

Für Elisaweta und mich steht fest: Jeder ist Künstler und alles kann Kunst sein, sogar der erste Schnipsel oder Pinselstrich auf einem weißen DIN-A4-Blatt. Für uns geht es darum, dass eine Person zum Beispiel mit einem Gemälde etwas ausdrückt. Wenn ein Anfänger in einer Studienklasse eine ausdrucksstarke Aktzeichnung anfertigt, wird es irgendwo auf der Welt jemanden geben, der das Werk schätzt und bereit ist, dafür zu bezahlen.

Bei der Suche nach dieser einen Person soll euer Onlineshop helfen. Wieso setzt ihr zusätzlich weiter auf stationäre Ausstellungen?

Online hast du mehr Wandfläche, kannst unendlich viele Werke zeigen und Informationen geben. Wir haben aber festgestellt, dass ein Text im Onlineshop weniger zugänglich ist als ein persönliches Gespräch zwischen Galerist und Interessent auf einer Ausstellung. Wir arbeiten gerade daran, das online zu kopieren, und Kaufinteressenten auf Wunsch beispielsweise zu erklären, dass mit einem roten Punkt auf dem Bild ein Objekt übermalt wurde. Technisch wäre das längst möglich, dadurch, dass wir relativ niedrige Preise anbieten, müssen wir Aufwand und Kosten aber immer gegeneinander aufwiegen.

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Wer legt die Preise fest?

Der oder die Kunstschaffende. Wir unterstützen nur bei der Preisfindung. Eine Künstlerin hat mir einmal einen Druck übergegeben, von dem ich wusste, dass sie 50 Euro reingesteckt hatte, und sagte zu mir, dass sie dafür gerne 35 Euro hätte. Sie hatte sich noch nie Gedanken über Preise gemacht. In solchen Fällen muss man als BWLer und im Sinne der Kunstförderung nachhelfen.

Unternehmen wie das von Nettsträter und ihrer Mit-Geschäftsführerin sind in Deutschland die Ausnahme: In gerade einmal 15,7 Prozent der Startups ist mindestens eine Frau im Gründungsteam vertreten. Diese Zahl hat der Bundesverband Deutsche Startups in seiner jährlichen Befragung (2019: 1.933 befragte Startups) ermittelt. Der Anteil der rein weiblichen Gründungsteams liegt laut einer Studie des Beratungskonzerns BCG mit vier Prozent sogar noch darunter. Für die Analyse betrachtete BCG 15.000 deutsche, französische und britische Startups, die seit 2008 gegründet wurden.

Vieles ist bei euch im Shop für unter 100 Euro zu haben. Seid ihr so etwas wie ein Supermarkt für Kunst?

Wir verstehen uns als Sichtbarmacher, sind weder Supermarkt noch Discounter. Es geht uns um Kunst, die sonst nicht an Wände kommt, weil jemand sie zum Beispiel nicht hauptberuflich ausübt. Denn darauf ist der Markt bisher nicht ausgelegt. In den großen Jahresberichten aus aller Welt heißt es oft im Kleingedruckten, dass nur Galerien berücksichtigt wurden, die Werke ab 500 Euro verkauft haben. Werke bis 7.500 Euro gelten als „Affordable Art“. Wir wollen der nächste Schritt nach Ikea- und Juniqe-Postern sein – und der vor „Affordable Art“.

Wie wählt ihr die Werke aus?

Künstler schicken uns ihre Portfolios. Außerdem suche ich aktiv Künstler. In ihren Ateliers frage ich sie auch gerne, ob ich in Schubladen schauen oder durch Mappen blättern darf. Dabei entdecke ich die oft besonders schöne Exemplare, die ich dann bei uns listen kann.

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Für die Collage „Geheimnis in Gelb“ verlangt ihr 99 Euro. Wie viel verdient ihr daran, wie viel die Künstlerin?

50 Prozent bekommen wir, 50 Prozent der Künstler, das ist eine für Galerien übliche Provision. Die Mehrwertsteuer zahlen aber wir.

Ihr wollt Künstlerinnen und Künstlern helfen, von dem zu leben, was sie tun. Könnt ihr selbst von Kunst 100 leben?

Wir stehen gerade sehr stabil da, arbeiten aber noch nicht profitabel. Um das Geschäft lukrativ zu machen, müssen wir ein klassisches BWLer-Startup mit einer Galerie verknüpfen. Wir investieren gerade viel in Technologie, in die Künstlerakquise und das Marketing.

Wie viele Werke müsst ihr pro Monat im Schnitt verkaufen, damit es sich trägt?

Wir streben mehrere Hundert pro Monat an. Seit September 2019 waren es dieses Jahr um die 100.

Du hast vor der Gründung BWL studiert, dann im Vertrieb eines Herrenausstatters gearbeitet. Wie kamst du in die Kunstwelt?

Ich bin mit zwei crazy Architekten aufgewachsen, meinen Eltern. Die beiden hatten immer Pinselstriche an der Wand hängen. Ich habe deshalb ein Faible für Kunst. Den Geruch von Stiften liebe ich zum Beispiel. Einmal habe ich meine private Wohnung zu einer Galerie umfunktioniert und Leute eingeladen. Der Vermieter war von dem Ansturm nicht gerade begeistert, ich bekam eine Abmahnung. So ist die Idee zu Kunst 100 entstanden.

So präsentiert Kunst 100 seine Motive auf Instagram, dem laut Nettsträter wichtigsten Marketingkanal des Startups:

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Bild: Kunst100