„Naga ist keine Pommesbude“, sagt Gründer und CEO Benjamin Bilski.
Naga sei „keine Pommesbude“, sagt Gründer und CEO Benjamin Bilski.

Update vom 1. Juli 2020: Naga hat durch die Ausgabe neuer Aktien 4,5 Millionen Euro eingesammelt. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir das Interview an dieser Stelle erneut. 

Das Hamburger Fintech Naga fiel bislang eher negativ auf: Ein Börsengang, nach dem der Aktienkurs in den Keller sank. Ein Initial Coin Offering (ICO) in Zusammenarbeit mit einer undurchsichtigen Firma in Belize. Mehr als sechs Millionen Euro Verlust im ersten Halbjahr 2019. Die Entlassung von über 60 Angestellten. Und dazu ein Geschäftsmodell, das die wenigsten so richtig verstehen.

Naga wurde 2015 von Benjamin Bilski, Yasin Sebastian Qureshi und Christoph Brück gegründet, Letztere sind aber inzwischen operativ ausgestiegen. Das Startup betreibt eine Plattform, über die Nutzerinnen und Nutzer in Aktien, Kryptowährungen und ETFs investieren können. Dabei können sie die Investments erfolgreicher Händler kopieren und sich mit anderen Usern darüber austauschen. Social Trading heißt das Konzept.

Naga verdient bei jeder Transaktion Geld. Während das Geschäft 2019 sehr schlecht gelaufen war, begann das Jahr 2020 deutlich besser: Sieben Millionen Euro setzte Naga im ersten Quartal um, das Ebitda (Gewinn vor Abschreibungen, Steuern und Zinsen) lag bei 3,3 Millionen Euro. Der Aktienkurs stieg seit Jahresbeginn von 58 Cent auf 1,77 Euro (Dienstagabend). Wir haben mit CEO Bilski über Nagas Probleme der vergangenen Jahre und den aktuellen Erfolg gesprochen – und darüber, ob seine Firma das aktuelle Wachstum halten kann.

Benjamin, 2019 habt ihr allein im ersten Halbjahr mehr als sechs Millionen Euro Verlust gemacht. Heute sagst du, das Jahr sei „eine echte Extremsituation“ für dich gewesen. Was war los?

Ich kann es so zusammenfassen: Die ersten zwei Jahre Naga, also von 2015 bis 2017, waren Euphorie. 2018 war das böse Erwachen und 2019 war „Game Over“. Wir haben in den ersten Jahren viele Produkte hochgezogen und mit dem Börsengang und dem ICO viel Aufmerksamkeit erzeugt. Aber 2018 hat sich gezeigt, dass wir nicht gut genug gewirtschaftet hatten. Wir bekamen natürlich auch negative Kommentare und Schlagzeilen. Anfangs habe ich das nüchtern betrachtet, aber langfristig macht das schon was mit einem. Man will ja, dass sein Startup Erfolg hat. Und dann kam der Moment, wo ich dachte: Das wird knapp.

Von welchem Zeitpunkt sprichst du?

Vom Ende des ersten Quartals 2019, also genau vor einem Jahr. Da verließ mein Mitgründer Yasin Qureshi den Vorstand und wechselte in den Beirat, und ich wurde CEO. Ich übernahm die Leitung einer Firma, die pro Monat 1,5 Millionen Euro verloren hat. Aber ich glaubte immer noch ans Produkt, daher machte ich es.

Was hast du geändert?

Ich habe einen Restrukturierungsprozess angestoßen. Dabei kamen einige Probleme ans Licht, die mir nicht bewusst waren. Die nächste Extremsituation kam dann, als ich 65 Personen an einem Tag entlassen musste. Das war nicht einfach, aber finanziell wäre es so nicht weitergegangen.

Wie liefen diese Kündigungen ab?

Recht hart – zum Teil über einen Anwalt, zum Teil persönlich durch mich oder einen Kollegen in Hamburg. Wir hatten schwierige Gespräche, weil einige Mitarbeiter hohe Abfindungen verlangt haben. Wenn man selbst finanziell unter Druck steht und dann jemand sagt, er will 200.000 Euro Abfindung haben, muss man als CEO recht viel verhandeln.

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Ihr habt damals fünf Büros geschlossen. Welche Standorte gibt es jetzt noch?

Wir haben ein Büro mit fünf Leuten in Hamburg und ein großes Gebäude in Zypern, in Limasol. Das Technologiecenter ist in Bosnien und ein weiteres in Kiev. Außerdem haben wir seit ein paar Monaten Büros in Uruguay, Shanghai und Bangkok. Insgesamt sind wir über 150 Mitarbeiter. Wir waren mal 200 Leute, dann ging es runter auf 78 und jetzt geht es wieder aufwärts.

Du sprachst vorhin von einer Restrukturierung. Was gehörte dazu, abgesehen von der Entlassung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Punkt Nummer eins war, an den Kosten zu schrauben. Die Mitarbeiter waren ein Faktor dabei. Das nächste To-do war, unsere Produkte zu konsolidieren. Wir hatten so vieles: Naga Wallet, Naga Trader, Naga Markets und so weiter. Keiner hat kapiert, was Naga eigentlich ist. Das war ein Problem. Jetzt gibt es nur noch Naga.com. Und wir haben die ganze Firma leaner aufgestellt, das erste Mal nach vier Jahren ein Organigramm gemacht. Ich habe ja Business studiert und für mich fühlte sich das Ganze an wie ein klassisches Consulting-Projekt.

Wie würdest du Naga heute erklären – so, dass es jeder versteht?

Naga ist ein soziales Netzwerk mit einer eingebauten Trading-Plattform.

Im ersten Quartal 2020 habt ihr sieben Millionen Euro umgesetzt. Im Vorjahreszeitraum waren es nur 600.000 Euro. Woher kommt der extreme Anstieg?

Voriges Jahr waren die Kosten viel zu hoch, wir hatten zu wenige Neukunden und waren auf den falschen Märkten. Nachdem wir angefangen haben, zu restrukturieren, haben wir geschaut, wo wir unser Produkt vermarkten wollen. Ab Spätsommer ging es in Thailand, Vietnam und Uruguay los und es lief gleich zu Beginn gut. In Europa waren wir, das muss man schon sagen, leicht verbrannt. Außerhalb Europas kam das Konzept viel besser an. Im letzten Quartal 2019 haben wir schon 2,4 Millionen Euro Umsatz gemacht – mehr als in allen neun Monaten zuvor. Ab dann hatten wir auch endlich wieder mehr Marketingbudget. Das hat sich im Januar dieses Jahres schon positiv ausgewirkt, der Februar und der März waren dann wirklich außergewöhnlich gut.

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Wie sieht eure neue Marketingstrategie aus?

Wir gehen über externe Vertriebler. Das sind Influencer, die Trading-Ideen über Social-Media-Gruppen vermarkten. Wir geben diesen Trading-Experten unsere Produkte an die Hand und sie wiederum vermarkten sie an ihre Follower. Intern nenne ich es das Airbnb-Modell: Wir haben weniger mit den Endkunden zu tun und mehr mit den Katalysten.

Wie viele User habt ihr?

Wir haben über 600.000 registrierte Nutzer. Geld eingezahlt haben schon 50.000 Personen und an täglich aktiven Nutzern haben wir mehr als 10.000. Das hört sich in einer Welt von Tiktok und Instagram nicht viel an, aber es ist auch ein ganz anderes Geschäftsmodell.

Hältst du das derzeitige Wachstum für nachhaltig?

Ja, davon gehe ich aus. Die Maschine läuft. Die aktuelle Cash-Situation ist äußerst positiv und so hoch wie lange nicht mehr. Aber Prognosen geben wir erst ab, wenn wir Q2 hinter uns haben. Gerade profitieren wir auch von der hohen Volatilität der Finanzmärkte.

Also von der Corona-Krise.

Ich will nicht sagen, dass wir Krisenprofiteure sind. Aber im Endeffekt interessieren die Menschen gerade zwei Themen: ihre Gesundheit und die extrem volatilen Finanzmärkte. In dieser Zeit, in der viele Menschen noch mehr als sonst am Handy kleben und die Nachrichten verfolgen, beginnen sie, sich für Aktien zu interessieren. Und merken, dass die Krise eine gute Einstiegsmöglichkeit für sie wäre. Auch bestehende Kunden sind deutlich aktiver. Das merken nicht nur wir, sondern auch andere Broker.

Ist eigentlich noch Geld aus eurem ICO da?

Ich habe nicht den Einblick in alle Bücher des Unternehmens NDAL, das den ICO für uns durchgeführt hat. Ich gehe aber davon aus, dass davon noch Geld übrig ist.

Würdest du nochmal einen ICO machen?

Das ist eine gute Frage. Die ganze Erfahrung mitgemacht zu haben, war auf jeden Fall Wahnsinn. Ich hätte es vielleicht anders strukturiert. Vielleicht hätten wir den ICO selbst und nicht mit einem Partner machen sollen, bei dem die Transparenz gefehlt hat. Und ich hätte besser verstehen müssen, was Volatilität im Krypto-Markt bedeutet. Denn das war wirklich extrem. Abschließend kann ich sagen, die vergangenen Jahre waren die brutalste Zeit meines Lebens.

Was hat dir den Antrieb gegeben, weiterzumachen?

Man sagt, Scheitern ist nicht schlimm. Aber ich wollte nicht scheitern. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich CEO wäre, würde ich einige Dinge anders machen. Und als ich das Ruder dann übernehmen durfte, hat mir das wieder Antrieb gegeben. Ich wollte mir selbst zeigen, dass ich Business kann und dass ich im Fintech-Bereich doch etwas reißen kann. Die nächste Mission ist jetzt, das Vertrauen der Leute wieder zu gewinnen und ihnen zu zeigen, dass Naga nicht irgendein verrücktes Fintech ist. Und auch keine Pommesbude.

Bild: Benjamin Bilski