Das schwedische Unternehmen Northvolt denkt über eine Batteriezellenproduktion in Deutschland nach.

Peter Carlsson hatte schon an Rente gedacht – mit nicht einmal Mitte 40. Weil aufreibende Jahre als Führungskraft bei Tesla hinter dem Schweden lagen. Carlsson war Einkaufschef und Leiter der Lieferkette bei dem amerikanischen Hersteller von Elektroautos. Die Zeit nennt er eine „heaven and hell journey“, also eine Reise zwischen Himmel und Hölle.

In Startups wollte er nach seinem Ausstieg 2015 investieren, erzählt der heute 48-Jährige. Und vielleicht den ein oder anderen Jungunternehmer beraten. Doch nach nicht einmal sechs Monaten war Carlsson das neue Leben viel zu langweilig.

Also hat er selbst eine Firma gegründet. Und mit der schickt er sich nun an, Europas größte Fabrik für Lithium-Ionen-Zellen und Elektroauto-Batteriepacks zu bauen. „Die Elektrifizierung von Mobilität ist eine große Herausforderung. Aber sie bietet auch sehr, sehr große Chancen“, sagte Carlsson gegenüber Welt.de.

Northvolt sammelt Geld ein

Northvolt heißt das Unternehmen, das er gemeinsam mit Paolo Cerutti gegründet hat, der ebenfalls einige Jahre Top-Manager bei Tesla war. Noch ist Northvolt eine kleine Firma mit großen Plänen. Beschäftigt werden gerade einmal 200 Mitarbeiter, die meisten davon in einer kleinen Fabrik mit einem Forschungslabor und einer Testproduktion im schwedischen Västerås.

Doch die Dimensionen können sich schnell ändern. Denn Northvolt sammelt gerade Geld ein, um die Pläne und Ideen der Gründer in die Tat umzusetzen. Rund vier Milliarden Euro sollen zusammenkommen, sagt Unternehmer Carlsson. 1,6 Milliarden davon will Northvolt schon zur Jahresmitte beisammen haben, kündigt der Manager an, der von einer Kombination aus Schulden und Eigenkapital spricht.

Mit diesem Geld kann Northvolt nun die erste Ausbaustufe einer voll automatisierten Batteriefabrik angehen. Geplant ist die sogenannte Gigafactory in Skellefteå im Norden von Schweden, rund 700 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Stockholm.

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„Wir haben dort ideale Voraussetzungen“, sagt Carlsson. Denn es gebe in der Region zum einen billige erneuerbare Energie und zum anderen die notwendigen Inhaltsstoffe für Batterien wie Nickel, Kobalt und Lithium.

Deutsche Fabrik frühestens 2024

Ausgelegt ist der erste Fabrikteil für eine jährliche Zellproduktion von rund acht Gigawattstunden (GWh), nach dem Endausbau 2023 soll die Kapazität bei 32 GWh liegen. Das wäre annähernd das Niveau der von Tesla geplanten Gigafactory in der Wüste von Nevada.

Damit könnten nach Expertenschätzungen rund 640.000 Autos mit einer 50-Kilowattstunden-Batterie ausgerüstet werden, also mit einer Batterie mittlerer Größe.

Die Pläne von Carlsson und Co. gehen aber längst weiter. „Wir sehen den Markt in Europa im Jahr 2025 bei mindestens 200 Gigawattstunden“, sagt der Gründer. Das seien am Ende fünf bis sieben Fabriken – von denen einzelne auch von Northvolt stammen könnten. Der Standort in Schweden sei jedenfalls nur der Anfang. Für mögliche weitere Fabriken sei dabei auch Deutschland eine Option.

„Dort sitzen viele mögliche Kunden aus der Autoindustrie, es gibt gut ausgebildete Fachkräfte und renommierte wissenschaftliche Einrichtungen, die eine solche Fabrik als Begleiter unterstützen können“, begründet der Unternehmer am Rande einer Delegationsreise im Vorfeld der Hannover Messe, bei der Schweden in diesem Jahr das Partnerland ist.

„Den Standort Deutschland haben wir daher auf dem Schirm für die kommenden Jahre.“ Als frühesten Zeitpunkt nennt Carlsson dabei das Jahr 2024. Voraussetzung sei allerdings eine ausreichende Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Wasserkraft.

Bislang dominieren asiatische Hersteller die Produktion von Lithium-Ionen-Zellen für E-Autos, darunter Panasonic, LG Chem und CATL aus China. Doch mit dem Vormarsch der Elektromobilität gewinnt die Diskussion über eine Produktion in Europa deutlich an Fahrt. Zumal Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften eine große Abhängigkeit von Zulieferern in Fernost befürchten und noch dazu Angst haben, dass Europa eine der entscheidenden Zukunftstechnologien sogar gänzlich verloren geht.

Jede dritte Batteriezelle soll in Europa entstehen

Noch dazu ist die Lieferkette der bis zu 600 Kilogramm schweren Batterien ineffizient und teuer, sagen Experten. Die Europäische Union (EU) hat dementsprechend Förderprogramme für die Ansiedlung von Batteriewerken in Europa aufgelegt. Davon profitiert auch Northvolt, deren Testlinie unter anderem mit einem 51,5-Millionen-Euro-Kredit der europäischen Investmentbank EIB aufgebaut wurde.

Aber auch die Nationalstaaten engagieren sich in diesem Bereich. Deutschland zum Beispiel will zur Förderung von Konsortien in der Batteriezellproduktion bis 2021 eine Milliarde Euro bereitstellen, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verkündet. Ziel des CDU-Politikers wie auch der EU ist es, im kommenden Jahrzehnt rund ein Drittel der weltweiten Batteriezellproduktion nach Europa zu holen.

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Zustimmung kommt dabei vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Eine Batteriezellproduktion in Europa ist für die Verbreitung der Elektromobilität von strategischer Bedeutung“, sagt Hartmut Rauen, der stellvertretende VDMA-Hauptgeschäftsführer. „Es geht darum, in Deutschland und Europa vorhandenes Know-how in der Produktion wertbringend einzusetzen, es geht um Referenzen im internationalen Wettbewerb, und es geht um Arbeitsplätze.“

Bislang haben sich sowohl die großen Zulieferer als auch die Autokonzerne in Deutschland mit konkreten Vorhaben zurückgehalten – weil sie die Produktion für zu teuer halten oder nicht die richtigen Partner gefunden haben. Mittlerweile scheinen aber doch Pläne zu reifen und konkreter zu werden.

Damit rechnet auch Peter Carlsson. „Die Denke hat sich verändert in der Branche“, sagt der Northvolt-Chef gegenüber WELT. Die Risikobereitschaft nehme mittlerweile zu. „Weil erkannt wird, dass der Bedarf riesig ist und Europa deswegen ein eigenes ganzheitliches Ökosystem rund um das Thema Batteriefertigung braucht.“ Northvolt sieht er dabei weit vorne, zumal das 2016 gegründete Unternehmen mittlerweile einen Vorsprung hat.

„Man muss ein Projekt einfach anfangen. Dann kann man am Ende auch als kleine Firma große Themen adressieren.“ Die Tesla-Erfahrungen der Gründer Carlsson und Cerutti dürften dabei eine gewichtige Rolle gespielt haben. Immerhin hat das US-Unternehmen praktisch aus dem Nichts die Automobilbranche aufgemischt. Entsprechend selbstbewusst zeigt sich auch Carlsson: „Wir können die Asiaten innerhalb von zehn Jahren übertreffen in Europa.“

Siemens und ABB unterstützen den Neuling

Trotzdem schwingen noch immer Zweifel mit. „Mein größter Albtraum ist es, dass die Produktion nicht die nötige Effizienz erreicht und uns darüber das Geld ausgeht“, gibt der Manager zu. Um dies zu verhindern, rekrutiert Northvolt weltweit Experten, zuletzt vor allem in Japan und Südkorea.

Mittlerweile arbeiten Forscher und Fachkräfte aus fast 40 Ländern bei dem Mittelständler aus Schweden. Noch dazu bringen mehrere Industrieriesen Know-how ein: der Schweizer Konzern ABB zum Beispiel im Bereich Robotik und in der Prozess- und Energietechnik, Siemens beim Thema Automatisierung und digitale Fabrik.

„Wir unterstützen die Planung und den Aufbau der Produktion“, sagt ein Sprecher. Unter anderem hilft Siemens im Vorfeld mit Software und dem sogenannten digitalen Zwilling, um den Aufbau und die Abläufe in der voll automatisierten Produktion zu simulieren.

Aber damit nicht genug. Sowohl ABB als auch Siemens haben zusätzlich jeweils rund zehn Millionen Euro in Northvolt investiert. Auch der Energieversorger Vattenfall und Volkswagen über seine schwedische Lkw-Tochter Scania gehören zu den Investoren, ist zu hören. „Das wird ein Leuchtturm-Projekt für Europa“, begründet Siemens-Vorstand Jan Mrosik das Engagement des größten deutschen Industriekonzerns. Auszahlen soll sich die Unterstützung für Siemens hinterher dann auf zwei Wegen: zum einen durch Folgeaufträge bei den zusätzlich geplanten Fabriken von Northvolt und zum anderen durch eine umgekehrte Lieferanten-Partnerschaft. So soll Northvolt Siemens später mit Lithium-Ionen-Batterien etwa für Züge oder Energieanlagen beliefern.

Zumal sich die Schweden, das betont Carlsson ausdrücklich, nicht alleine als Hersteller von Batteriezellen für Autos verstehen. „Wir sehen für uns vier verschiedene Märkte“, betont der Gründer.

Das sei natürlich der derzeit viel diskutierte Bereich Transport mit Autos, Bussen und Lkw, das sei aber auch die Industrie mit zum Beispiel Baumaschinen und Bergbauausrüstung, das sei der Bereich Energiespeicher und schließlich noch Werkzeuge. „Die Transformation hat begonnen“, sagt Carlsson. „Jetzt folgen zehn sehr spannende Jahre.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Northvolt