Protonet-Gründer Ali Jelveh will sein Startup verkaufen. Doch Interessenten zögern – wegen laufender Gerichtsverfahren.
Er könne Protonet theoretisch verkaufen, sagt Ali Jelveh. Doch Interessenten zögern – wegen laufender Gerichtsverfahren.

Gut drei Jahre ist es her, dass sich in Deutschland eine der spektakulärsten Crowdfunding-Pleiten ereignete. Die Hamburger Serverfirma Protonet – zuvor mit Millionen von Schwarmanlegern finanziert – musste wegen einer geplatzten Folgefinanzierung einen Insolvenzantrag stellen.

Bekannt wurde Protonet zuvor mit kleinen orangefarbenen Serverboxen, in der Nutzer sensible Daten speichern konnten, ohne sie bei Anbietern wie Google oder Dropbox parken zu müssen. Eine Chatsoftware („Soul“) half Teams bei der Zusammenarbeit. Ein Jahr nach der Pleite, im Mai 2018, meldete sich Gründer Ali Jelveh dann überraschend zurück.

Denn trotz Insolvenz nutzten zahlreiche Unternehmen die Chatsoftware rege weiter. „Ich bin nachdenklich geworden. Was würde ein Amerikaner tun, wenn er merken würde, dass es diese Nachfrage gibt?“, sagte Jelveh damals zu Gründerszene. Seine Antwort: „Er würde das Unternehmen extrem schlank aufstellen. Viel automatisieren, ein kleines Team aufbauen – und er würde weitermachen.“ Jelveh kaufte sein Startup daraufhin aus der Insolvenzmasse zurück, die Chatsoftware bot er Kunden gegen eine monatliche Lizenzgebühr an – Updates inklusive. 380 der einst 2.500 Protonet-Kunden nutzten das Angebot damals.

Protonet wächst – mit Klagen am Hals

Und heute? Knapp zwei Jahre später ist die Zahl nach Unternehmensangaben auf rund 500 Kunden gewachsen. Auf den ersten Blick kein allzu großer Sprung, wie auch Ali Jelveh im Gespräch mit Gründerszene zugibt. Darunter seien jedoch „viele Unternehmen, die mehrere Ladengeschäfte oder Büros mit hunderten Mitarbeitern betreiben“, so der Gründer. Da die Monatsgebühren pro Nutzer abgerechnet würden, habe Protonet inzwischen eine „gut managebare Geschäftsgrundlage“.

Derzeit beschäftigt das Startup acht Mitarbeiter in Teil- und Vollzeit, die meisten davon ortsunabhängig in Städten wie Hamburg, Wien, Mexiko-Stadt und Pristina im Kosovo. „Durch die verschiedenen Zeitzonen können wir maximale Produktivität gewährleisten“, erklärt Jelveh, der das Projekt von San Francisco aus verantwortet. Aufs Jahr gerechnet habe Protonet zuletzt mehr als 500.000 Euro umgesetzt.

Profitabel sei das Unternehmen damit nicht, es schreibe aber auch keine Verluste mehr. „Nach Abzug aller Kosten und Altlasten, die wir in den vergangenen Jahren noch bearbeiten mussten, kommen wir unterm Strich bei plus minus null raus“, sagt Jelveh. Hohe Kosten hätten in den vergangenen zwei Jahren vor allem einige Gerichtsverfahren verursacht. Bereits vor der Pleite im Frühjahr 2017 hatte sich das Startup mit Investoren wegen einer Umstrukturierung gestritten, auch der Vorwurf der Insolvenzverschleppung stand im Raum. Ins Detail will Jelveh auf Nachfrage von Gründerszene nicht gehen. Nur so viel: „Die Gerichtsverfahren sind mehrheitlich zu unserem Gunsten ausgegangen, nur in einem wurde in zweiter Instanz gegen uns entschieden. Hier prüfen wir, was jetzt zu tun ist.“ 

„Womöglich droht eine Pleitewelle“

Doch an anderer Stelle droht offenbar neuer juristischer Ärger. Laut Jelveh steht derzeit noch ein weiteres Gerichtsurteil aus, das neben Protonet auch andere crowdfinanzierte Startups betreffen könnte. „Es gibt Richter, die noch in diesem Jahr darüber entscheiden werden, ob die damals auf Plattformen wie Seedmatch geschlossenen Investmentverträge überhaupt rechtsmäßig waren“, erklärt Jelveh. Zu den Gründen äußert er sich wegen des laufenden Verfahrens nicht. 

Sollte es allerdings zu einem entsprechenden Urteil kommen, so befürchtet der Gründer, könnten sofortige Rückzahlungen an Schwarmanleger fällig werden. Protonet hatte über die Crowdfunding-Plattform Seedmatch zwischen 2012 und 2014 insgesamt 3,2 Millionen Euro eingeworben. Er kenne „mindestens zehn weitere Unternehmen, die ähnliches Vertragswerk benutzt haben wie wir. Womöglich droht dann eine Pleitewelle“, spekuliert Jelveh. 

Auf Nachfrage von Gründerszene bestätigt Seedmatch das Verfahren: „Wir kennen das aktuell laufende Gerichtsverfahren zu den Verträgen bei Protonet am OLG Hamburg, jedoch sind uns bisher der Ausgang des Verfahrens und die Argumentation des Gerichts nicht bekannt“, so eine Sprecherin. Sie betont jedoch, dass es sich beim damaligen Protonet-Funding um einen „sehr speziellen Fall“ gehandelt habe. Dieser sei „nicht repräsentativ“ für andere Unternehmen der Plattform.

Softwarehersteller erwägen Übernahme

Für Protonet käme ein solches Urteil jedenfalls zur Unzeit. Einerseits fährt das Startup seine Marketingaktivitäten erstmals seit der Insolvenz gerade wieder hoch. Wer etwa bei Google nach Teamsoftware suche, werde in den Ergebnislisten wieder vermehrt auf Protonet hingewiesen, sagt Jelveh. Das Feedback sei gut.

Andererseits sollen sich Investoren inzwischen sogar für eine Übernahme interessieren. „Es gibt mehrere Softwareanbieter aus Europa und den USA, die eine gute Summe für alle Beteiligten zahlen würden“, so Jelveh. Wegen des noch ausstehenden Gerichtsurteils stockten die Gespräche allerdings.

Zur genauen Bewertung äußert sich Jelveh auf Nachfrage nicht. „Ein Exit unter zehn Millionen Euro ergibt allerdings wenig Sinn“, sagt der Protonet-Gründer. Seine Zeit widmet er größtenteils seinem zwischenzeitlich neu gegründetem KI-Startup Move37. Zwar sei ein Verkauf von Protonet auch für eine geringere Summe denkbar, lohnen würde sich das laut Jelveh für Mitarbeiter und Investoren jedoch kaum. „Das Projekt wächst, die Userscores sind gut und könnte mit dem richtigen Führungspersonal schrittweise ausgebaut werden“, so der Gründer. Wie auch immer es kommt: Die Geschichte von Protonet scheint noch nicht zu Ende erzählt.

Bild: Protonet