Telegram-Gründer Pawel Durow

In der vergangenen Woche ist Russland zum Schauplatz eines Kampfes um Zensur im Netz geworden. Am Montag wies die Kommunikationsbehörde Roskomnadsor die russischen Internetanbieter an, die verschlüsselte Messenger-App Telegram zu blockieren. Der Inlandsgeheimdienst FSB hatte das Recht zu einer solchen Blockade vor Gericht erwirkt. Die Begründung: Terroristen nutzten den Dienst, der de facto sicher gegen Hacker ist, für ihre Kommunikation.

Hinter Telegram steht der 33-jährige Exil-Russe Pawel Durow. Vor fünf Jahren war der Gründer des russischen Facebook-Klons VKontakte von Oligarchen, die dem Kreml nahestehen, zum Verkauf seiner Anteil gedrängt worden. Danach verließ er das Land und gründete Telegram. Das Versprechen des Internet-Unternehmers: die strikte Einhaltung der Privatsphäre durch Verschlüsselung. Kürzlich konnte er für seine App rund 1,7 Milliarden Dollar bei Investoren einwerben, indem er eine Kryptowährung in Umlauf brachte. Kein Wunder also, dass Durow sich hartnäckig dagegen wehrt, Zugang zu Chats zu gewähren.

„Telegram wird weiterhin für Freiheit und Privatsphäre eintreten“, twitterte er und stritt sich monatelang mit dem Inlandsgeheimdienst FSB. So war der Versuch der Blockade, den die Behörden nun unternahmen, nur eine Frage der Zeit. Als der Angriff schließlich kam, begann ein spektakulärer Showdown zwischen dem Tech-Milliardär und dem russischen Staat. Ein Kampf, bei dem Durow das für seine Cyberattacken berüchtigte Russland in ein Katz-und-Maus-Spiel lockte. Während Telegram bislang geschickt entkam, schädigten die Behörden bei ihrer Jagd versehentlich andere Firmen.

Zahl der Downloads verdoppelt

Denn Durow reagierte auf das Vorgehen gegen seine weltbekannte App mit einer geschickten Strategie: Nachdem in Russland die ersten IP-Adressen von Telegram blockiert wurden, wich die Messenger-App auf die Infrastruktur der Cloud-Dienste von IT-Riesen wie Amazon und Google aus und wechselte rasch zwischen Tausenden IP-Adressen.

So blieb die App für die meisten Nutzer in Russland auch ohne spezielle Tools zur Umgehung der Zensur einsetzbar – auch für Politiker und Staatsbeamte, die Telegram als abhörsichere Kommunikationsplattform schätzen gelernt haben. Doch Telegram und sein Erfinder sind nicht unumstritten. Zum einen wegen der Undurchsichtigkeit seiner Geschäftsgebaren. Terroristen des sogenannten Islamischen Staats (IS) hatten monatelang Telegram als bevorzugte Kommunikations- und Propaganda-Plattform genutzt. Der Messenger-Dienst sperrte nach Bekanntwerden die Chats.

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Durch den Widerstand wuchs die Popularität Durows. Russlands soziale Medien quellten über vor verächtlichen Memes über Moskaus Telekomregulierer. Zudem verdoppelte sich die Zahl der Downloads der Telegram-Android-Version in wenigen Tagen. In den russischen Appstores von Google und Apple ist das Programm weiter verfügbar, obwohl die staatliche Zensurbehörde Roskomnadsor die Löschung verlangt hat.

Wenige Tage nach dem Beginn des Angriffs auf Telegram gab die Behörde bekannt, sie habe 30 Prozent der Telegram-Nutzer ausgesperrt. Ein mageres Ergebnis, wenn man bedenkt, mit welcher Härte die Zensurbehörde vorgeht. Die schwarze Sperrliste von Roskomnadsor, die sonst etwa Kinderpornografieseiten oder Medien von Kremlkritikern wie Garri Kasparow oder Michail Chodorkowski umfasst, wuchs von einer sechsstelligen Zahl von Internetadressen auf mehrere Millionen Einträge heran. Gegenwärtig sperrt man fast 19 Millionen Sites, die meisten davon gehören zu den Cloud-Diensten von Amazon und Google. Es handelt sich um die digitale Entsprechung eines Flächenbombardements.

Schmerzhafte Folgen für andere Anbieter

Und das hatte schmerzhafte Folgen für andere Anbieter, die nicht von Adresse zu Adresse hüpfen können. So greifen viele Webfirmen auf die Cloud-Dienste von Anbietern wie Google zurück. Die Nutzer der Chat-App Viber etwa, die eigentlich mit den russischen Sicherheitsbehörden kooperiert. Sie konnten plötzlich keine Meldungen mehr absetzen. In den Supermärkten des Lebensmitteldiscounters Diksi fielen sogar Kassen aus, in Volvo-Niederlassungen standen landesweit alle IT-Systeme still.

Microsoft-Dienste wie Office 365, der Windows-Update-Dienst sowie die Online-Spieleplattform der Xbox soll die Blockade kurzzeitig auch betroffen haben. Selbst die staatseigene Videoagentur Ruptly war kurzzeitig offline.

Betroffen waren zudem zahlreiche Onlinehändler, Versandhäuser und Kurierdienste. Etwa 60 Firmen wandten sich an die Bürgerrechtsorganisation Agora, damit sie juristisch gegen die Sperren vorgeht. Die Rede ist von von Umsatzausfällen in Millionenhöhe.

Inzwischen blockiert Roskomnadsor einen Teil der IP-Adressen, die von Google-Privatdiensten benutzt werden wie Google-Suchmaschine, Gmail und andere. Aktuell sind rund zehn Prozent der IPs, die von der Suchmaschine benutzt werden, in Russland gesperrt – es sieht also so aus, als ließe sich Moskau auf eine Konfrontation mit Google wegen Telegram ein.

Und wie geht es mit Telegram selbst in Russland weiter? Das hängt vor allem davon ab, wie IT-Größen wie Google und Amazon langfristig reagieren. Zumindest beim Cloud-Dienst von Amazon gibt es bereits einen Präzedenzfall. Dieser setzte die Zuflucht suchende Walkie-Talkie-App Zello vor die Tür.

Allerdings könnte der Druck der amerikanischen Öffentlichkeit wachsen: Telegrams Gründer Durow setzt sich eindrucksvoll als Vorkämpfer für Freiheit und Bürgerrechte in Szene. Längst haben Organisationen wie Amnesty International und die American Civil Liberties Union die Branchengrößen Amazon und Google aufgefordert, gegenüber den Moskauer Behörden nicht nachzugeben. Wenn die US-Internetriesen standhaft bleiben, könnte Durows Katz-und-Maus-Spiel mit dem russischen Staat monatelang weitergehen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

bild: Getty Images / Nadine Rupp