Das ist mal ein Klunker!

Für den Preis einer ihrer teuersten Ringe könnten sich Kunden auch ein Auto kaufen. Oder eine Wohnung anzahlen. Aber wieso nicht 60.000 Euro für ein Schmuckstück ausgeben – und es auch gleich bequem online kaufen? Leo Eberlin, CEO des Schmuck-Startups Leo Mathild aus Berlin, sieht darin keinen Widerspruch. „An Weihnachten hatten wir tatsächlich Kunden, die für mehrere Zehntausend Euro Ringe bestellt haben. Wir haben nie mit den Leuten gesprochen und nach der Auslieferung auch nie wieder etwas von ihnen gehört“, sagt die 31-Jährige im Gespräch mit Gründerszene. „Das ist natürlich ein gutes Zeichen. Der digitale Schmuckeinkauf wird auch im hochpreisigen Segment immer normaler.“

Damit widerlegt Eberlin eine These, die jahrzehntelang für den Kauf von Schmuck zu gelten schien: Menschen wollen Diamanten, Gold und Platin begutachten und anfassen, bevor sie investieren. Zwar können Interessierte das Atelier der Schmuckdesignerin im Westen der Hauptstadt auch besuchen. Doch ein Großteil des Verkaufs läuft nach Angaben der Gründerin über das Internet – was sich in finanzieller Hinsicht durchaus lohnen kann. 

Waren im Wert von Hunderttausenden von Euro

Denn wer in das Geschäft mit Echtschmuck einsteigen möchte, ist am besten schon wohlhabend, bevor der erste Kunde auf den „Kaufen“-Button klickt. Wollen Goldschmiede nämlich Diamanten in ihre Stücke einarbeiten, müssen sie bei Händlern in Vorkasse treten, und das nicht selten im hohen sechsstelligen Bereich. Bei Eberlin, die nach der Abendschule bei einem Juwelier und als Investmentberaterin im Immobilienbereich tätig war, lief es anders. Mit ihrer inzwischen eingestellten Modeschmuck-Linie aus Silber, die auch Madonna, Diane Kruger und Demi Lovato trugen, hatte sie eine notwendige Summe angehäuft.

„Ich habe ohne Kapital angefangen – ohne eigenes und ohne Fremdkapital. Ich habe damals in einem Hinterhaus in Wedding (Berliner Stadtteil, d. Red.) im dritten Stock gesessen und meine Firma gegründet und dafür alles, was ich an Teurem hatte, verkauft“, sagt Eberlin. Heute beschäftigt die Mutter einer Tochter zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Den Übergang von Mode- zu Echtschmuck haben wir meiner Meinung nach insofern geschickt gemacht, dass wir den Diamantschmuck nicht gleich viel teurer verkauft haben. So waren manche Teile zwar etwas kostenintensiver, aber nicht so weit entfernt von der Anfangskollektion. So konnten wir das Klientel halten.“ 

Influencer als kostenlose Dauerwerbung

Neben Eberlin gibt es weitere Gründerinnen, die ihren handgemachten Schmuck online verkaufen. Dazu gehören etwa Lilian von Trapp, Alina Abegg und Ina Beissner aus Berlin sowie Nina Kastens aus Hamburg. Auch sie verkaufen ihre Produkte für vier- bis fünfstellige Summen. QVC NEXT präsentiert mit dem Düsseldorfer Startup Monessa, das ebenfalls Echtschmuck offeriert, zum ersten Mal ein Schmuck-Startup auf seinen Kanälen. 

Dass Echtschmuck einen gewissen Preis hat, liegt nicht zuletzt an den Gegebenheiten der Branche. Der Goldhandel etwa erlebt derzeit einen regelrechten Rausch: Eine Unze des Edelmetalls (etwa 31,10 Gramm) wird in London gerade zu umgerechnet 1145 Euro gehandelt – ein Rekordwert. 

Woher kommen die Diamanten? Ein Großteil stammt aus dem belgischen Antwerpen. Wer im Epizentrum des Diamantenhandels tätig werden möchte, muss entweder von Händlern vor Ort eingeladen werden oder aber Mitglied der Börse sein, also der Organisation, die mit den Steinen handelt. Das Wichtigste beim Kauf von Diamanten: die vier Cs. Sie stehen für Clarity, Color, Cut und Carat, also Klarheit, Farbe, Schliff und Karat. Je mehr Karat, je weißer sprich farbloser der Stein, je besser geschliffen, desto teurer. 

Während für den Einkauf des Schmucks also hohe Summen anfallen, scheint in Sachen Marketing das Gegenteil der Fall. Verließen sich Kunden früher auf den Rat des Juweliers, hören sie heute auf die Tipps von Influencern und Freunden in sozialen Netzwerken – Social Media statt teure Anzeigen in Modemagazinen lautet die Devise. Was schon das mit umgerechnet einer Milliarde Dollar bewertete US-Einhorn Glossier erlebte, nämlich dass Kunden Make-up im Netz bestellen, ohne den Lippenstift vorab zu testen, findet auch in der Schmuckwelt Einzug.

Leo Eberlins Account, auf dem sie erwähnten Ring für 60.000 Euro präsentiert, zählt mehr als 46.000 Abonnenten. „Natürlich ist das heute keine Hausnummer mehr“, sagt die Gründerin. „Doch ein Großteil unserer Kundenkommunikation findet über das Portal statt.“ An manchen Tagen bekäme sie 300 Anfragen zu Schmuckstücken. Viele bekannte Blogger hätten ihre Verlobungs- und/oder Eheringe bei Eberlin gekauft. „Da sie den Schmuck ständig tragen, ist er automatisch auf ihren Bildern zu sehen. Das ist für uns fast wie eine Dauerwerbung.“

 

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Übernahme für 16,2 Milliarden Euro

Auch bei den ganz Großen funktioniert das Online-Geschäft mit Uhren und Schmuck. Die Erlöse im Bereich E-Commerce würden doppelt so schnell wachsen wie der Offlinehandel, sagte etwa das weltbekannte Unternehmen Tiffany & Co. voriges Jahr gegenüber Reuters. Die Konzerngruppe um Louis Vuitton sieht offenbar Potential für mehr: Im November kaufte sie den US-Schmuckriesen für umgerechnet 16,4 Milliarden Euro. 

Ohnehin klingen die Zahlen so glänzend wie die Produkte aussehen: Schätzungen zufolge werden in diesem Jahr allein mit Luxusuhren und -schmuck umgerechnet 49 Milliarden Euro umgesetzt. Erstaunlich eigentlich, dass im Best Globals Brands Report von Interbrand lediglich zwei Firmen aus der Branche auftauchen: Das französische Haus Cartier auf Platz 68 und Tiffany & Co., gelistet auf Platz 94.

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Dass es gerade diese beiden Marken sind, überrascht bei genauem Hinsehen weniger. Beide Firmen wurden im 19. Jahrhundert gegründet, sind also weit über 100 Jahre alt. Dennoch bedienen sie einen der dringlichsten Kundenwünsche des 21. Jahrhunderts: zu zeigen, was man hat. Mit Schmuck, der sich eindeutig einer Marke zuordnen lässt, verdienen die Häuser Milliarden. Das „Love Bracelet“ von Cartier, ein schlichter Armreif aus Massivgold, kostet ab rund 4000 Euro. Ein Brillant auf schlichtem Platinband, der laut Tiffany & Co. berühmteste Verlobungsring der Welt, startet bei rund 16.000 Euro.

Auch Leo Eberlin bietet solch schlichte Armbänder und Ringe an – allerdings vergleichsweise günstig. Ein Ring, der bei den großen Marken mehr als 20.000 Euro kostet, liegt beim Startup im vierstelligen Bereich. Das sei vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie kein Geld für Ladenlokale an den besten Standorten ausgeben müsse, sagt Eberlin. Ihre treuesten Kunden kämen aus München und Hamburg. Wer bei ihr kauft, ist kein Durchschnittsverbraucher: Laut Statista gibt jeder deutsche Haushalt nur durchschnittlich 112,38 Euro im Jahr für Schmuck und Uhren aus.

Leo Eberlin in ihrem Atelier im Berliner Westen

Diamanten aus dem Labor

Eberlins neueste Herausforderung: im Labor gezüchtete Diamanten. Dafür hat sie im vergangenen Winter mit ihrem Freund und Geschäftspartner Steven Neuman eine eigene GmbH gegründet, „eine Art kleine Schwester von Leo Mathild“. Unter dem Label LM Studio verkauft sie Steine, die natürlich entstandenen Diamanten in Sachen Qualität in keiner Weise nachstünden. „Wir züchten sie mit einem kleinen Stück von einem echten Diamant. Die Steine aus dem Labor sind aber chemisch, optisch und physisch zu 100 Prozent gleich“, erklärt Eberlin. Trotzdem seien sie etwa 40 bis 50 Prozent günstiger.

Dass sie sich dem aufwendigen, oft mehrere Wochen langen Prozess widme, liege an dem derzeit populären Umweltbewusstsein, das auch in der Schmuckbranche Einzug findet. Denn für künstlichen Steine aus dem Labor muss kein Tagebau oder das Schürfen in Minen mehr stattfinden, wo Diamanten normalerweise zu finden sind. Auch der Verkauf sogenannter Konflikt- oder Blutdiamanten, mit denen vor allem in Afrika etwa Kriege oder anderweitige Kriminalität finanziert werden, würde im besten Fall verhindert. „Der Diamantimport nach Antwerpen wird seit Jahren kontrolliert. Alle Steine, die wir kaufen, sind konfliktfrei“, sagt Eberlin.

Diamanthandel im Wandel 

„Vor ein paar Jahren haben die Leute noch Pelze getragen, jetzt haben sich alle großen Mode-Labels davon abgewandt. Auch im Diamantbereich wird in der Hinsicht ein große Transformation stattfinden, glaube ich“, führt sie fort. Und an der will sie teilhaben, denn das Geschäft läuft. 

Zwischen 72 und 96 Prozent Umsatzwachstum verzeichne ihr Startup pro Jahr, sagt Eberlin. „Als ich angefangen habe, hatte ich einen Gedanken: Wenn ich 10.000 Euro Umsatz im Monat mache, dann bin ich frei, dann habe ich es geschafft.“ Das sei heute ein Bruchteil der Summe, die sie erwirtschaften würde. Geld von einem Investor einsammeln müsse sie deswegen keines „Wenn jetzt aber ein großes Unternehmen ein paar Millionen Euro investieren wollte, würde ich auch nicht Nein sagen.“

Bild: Getty Images / Andreas Kuehn; Anja Francesca Richter