Sven Otte ist ernüchtert. Im Frühjahr machte sich der Geschäftsführer von Sicoya aus Berlin auf die Suche nach Investoren, die ihm 12,5 Millionen Euro für das weitere Wachstum des jungen Technologieunternehmens geben. Doch hierzulande fand er niemanden. „Wir mussten aus Deutschland rausgehen und wurden letztlich in den Vereinigten Staaten und China fündig“, sagt Otte.

Zu den Geldgebern gehörten die seit vielen Jahren im Silicon Valley lebende Investorenlegende Andreas von Bechtolsheim, einer der ersten Finanzierer der Suchmaschine Google, und der chinesische Technologieinvestor SPC.

Sicoya ist ein Paradebeispiel dafür, was in Deutschland schief läuft. Es mangelt an ausreichend Kapital für junge Firmen. Besonders fehlt das Geld in der entscheidenden Wachstumsphase, wenn die Marktreife erreicht ist und es darum geht, die Idee im nächsten Schritt groß zu machen.

Nun hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) einen neuen Anlauf gestartet, dies zu ändern. Er kam am Donnerstag mit hochrangigen Vertretern der Versicherungsbranche zusammen, um auszuloten, unter welchen Umständen die großen Versicherer bereit sein könnten, Teile ihres Milliarden-Vermögens zur Finanzierung des Wachstums junger, deutscher Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

Furcht vor dem Ausverkauf deutscher Technologie

Die Branche zeigte sich im Anschluss an das Treffen aufgeschlossen. „Wir sind uns einig, dass Wagniskapitalfinanzierungen gerade im Bereich der Zukunftstechnologien wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind“, sagte Harald Epple, Vorstand der Gothaer Versicherung und Leiter des Ausschusses Kapitalanlagen beim Versicherungsverband GDV, gegenüber WELT. Es sei sinnvoll, dass sich Versicherer und die öffentliche Hand gemeinsam überlegten, wie mehr Kapital in solche Assetklassen fließen könne. Konkrete Lösungen sollten nun entwickelt werden.

Ändert sich nichts, so befürchten Kritiker, geht der Ausverkauf deutscher Technologie weiter, so wie bei Sicoya. Der Werdegang des Unternehmens ähnelt dem vieler anderer Startups: Angefangen hat alles an einer Hochschule, in diesem Fall 2007 an der Technischen Universität Berlin.

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Mehrere Millionen Euro Forschungsmittel flossen in die Entwicklung des optischen Verfahrens, mit dem Daten in Zukunft sehr viel schneller und günstiger übertragen werden können. 2015 kam es dann zur Ausgründung. „Es kann doch nicht sein, dass der deutsche Steuerzahler mehrere Millionen Euro in die Forschung steckt, die Wertschöpfung dann aber woanders stattfindet“, sagt Otte.

Er denkt auch hier vor allem an China. Das Unternehmen bleibe zwar in Berlin vertreten und werde dort weiter wachsen – von derzeit knapp 50 auf 90 Mitarbeiter bis Ende 2019. „Doch gehen unsere Pläne auf, werden wir in China in wenigen Jahren bereits mehrere hundert Mitarbeiter haben“, sagt Otte.

In China könne Sicoya einfach schneller wachsen: „Dort werden wir auch in Zukunft ausreichend Kapital für die weitere Expansion finden, zudem sitzen dort unsere Kunden und viele Zulieferer.“

Asien und USA beim Wagniskapital viel weiter

Asien hat in den vergangenen Jahren den Vorsprung auf Europa gewaltig ausgebaut. Im Jahr 2012 lagen beide Regionen bei den Wagniskapital-Investitionen noch gleichauf. Im vergangenen Jahr kam Asien auf 63 Milliarden Euro und bewegte sich auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten, Europa wies lediglich knapp 16 Milliarden Euro aus, wie die Experten der Unternehmensberatung Roland Berger ermittelten.

An dieser Stelle kommen die Assekuranzen ins Spiel. „Wir würden es sehr begrüßen, wenn Versicherungen sich verstärkt im Bereich Venture Capital engagieren würden“, sagt Ulrike Hinrichs, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK).

Würden die tausend größten Pensionskassen und Versorgungswerke Europas nur 0,7 Prozent ihres für die Altersvorsorge der Kunden angehäuften Kapitals in Höhe von gut sieben Billionen Euro investieren, wäre der gesamte Rückstand Europas zu Asien und den Vereinigten Staaten aufgeholt.

Seit Längerem schon trommelt der Verband für einen „Zukunftsfonds Deutschland“. Die Idee lehnt sich an einem Finanzierungsmodell an, das in Dänemark bereits umgesetzt ist und auch in Österreich diskutiert wird.

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Langfristig orientierte Investoren wie Versicherer und Pensionsfonds sollen Teile des bei ihnen angelegten Geldes in einen Dachfonds investieren, von dort gelangt das Kapital über einzelne Venture-Capital-Fonds dann in Technologie-Startups.

Der Staat federt das Verlustrisiko ab

Das Besondere an der Konstruktion ist: Neben den privaten Geldgebern macht auch der Staat mit. Er garantiert den Versicherern für einen Teil des Einsatzes eine feste Rendite. So wird das Risiko hoher Verluste abgefedert. Dafür profitiert der Staat aber auch von den Gewinnen.

Der Teufel einer solchen Konstruktion steckt im Detail. Die entscheidende Frage ist, welche der beiden Seiten – Versicherer und Staat – bereit ist, auf wie viel Rendite zu verzichten und wie viel Risiko zu übernehmen.

Versicherer haben grundsätzlich das Problem, dass sie stark schwankende Anlagen nur eingeschränkt halten dürfen. Schließlich arbeiten sie nicht zuletzt mit den Ersparnissen von Millionen von Lebensversicherungskunden.

Bei dem Treffen der Versicherungsmanager mit Wirtschaftsminister Altmaier wurden nach Angaben des GDV erste Überlegungen skizziert, wie das Risiko-Rendite-Profil verbessert und ein entsprechendes Fondskonzept entwickelt werden kann. Das soll nun im Rahmen weiterer Gespräche auf Arbeitsebene geschehen.

Deutschen Investoren fehlt Know-how

Sicoya-Chef Otte begrüßt den Ansatz, sieht aber weitere Probleme. „In Deutschland fehlt es nicht nur an Kapital, es fehlt auch an dem notwendigen Know-how auf Seiten vieler Geldgeber“, sagt er. Dies gelte zumindest für seinen Bereich, die schnelle Datenkommunikation.

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Er erinnert sich an Gespräche mit deutschen Venture-Capital-Fonds in diesem Jahr: „Die meisten deutschen Geldgeber haben abgewinkt, sie fanden unsere Technologie zwar spannend, mussten aber einräumen, dass sie die Technologie nicht verstehen und damit weder Chancen noch Risiken einschätzen können“, sagt er. In Amerika und China sei auch das anders.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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