Sucht seit 2013 für Holtzbrinck Ventures nach hoffnungsvollen Startups: Christian Saller

Das Coronavirus und seine Auswirkungen bedrohen die Weltwirtschaft – und damit auch zahlreiche Startups. Während wenige Firmen profitieren, sind bei den meisten Unternehmen die Umsätze massiv eingebrochen. Zahlreichen Startups droht die Insolvenz, Gründerinnen und Gründer müssen Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und versuchen über Investoren oder den Staat an Geld zu kommen. Die weitreichenden Folgen werden sich jedoch erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.

Christian Saller (48) ist General Partner beim bekannten Wagniskapitalgeber Holtzbrinck Ventures. Er ist unter anderem auf Reise- und Mobilitäts-Startups fokussiert, also Unternehmen, die von der aktuellen Krise besonders früh und stark getroffen wurden. Im Interview, das wir aufgrund der aktuell Situation schriftlich geführt haben, spricht er über sinkende Bewertungen von Startups, künftige Finanzierungsrunden und seine Ratschläge für Gründer in der Krise.

Christian, Startups sind massiv von der Corona-Krise betroffen. Wie dramatisch ist die Lage für junge Unternehmen derzeit?

Zum einen erleben wirklich alle Startups eine massive Veränderung in ihrer täglichen Arbeit durch die Umstellung auf Homeoffice und digitale Prozesse. Wir sehen aber, dass die meisten junge Unternehmen das gut gemeistert haben – wahrscheinlich besser als viele traditionelle Firmen. Hier hilft es den Startups, Digital Natives in ihren Teams zu haben, die an moderne Formen der Zusammenarbeit und die entsprechenden Tools gewöhnt sind.

Vor allem gefährdet die Krise aber das Geschäftsmodell vieler Firmen.

Gravierender sind die Auswirkungen der Corona-Krise tatsächlich auf Umsätze und Neugeschäft der Startups – das merkt inzwischen leider auch die Mehrzahl der Firmen. Ganz direkt zu spüren sind die Folgen natürlich für Unternehmen, deren Geschäftsmodell von den Ausgangsbeschränkungen direkt betroffen ist. Dazu zählen beispielsweise die Startups aus der Reise- und Mobilitätsbranche sowie Anbieter lokaler Dienstleistungen. Aber auch viele andere Unternehmen sehen eine massive Verunsicherung ihrer Kunden, was zu sinkenden Umsätzen führt. Im B2B-Bereich, also bei Firmen die andere Unternehmen als Kunden haben, fallen die Auswirkungen tendenziell etwas weniger dramatisch aus. Da aber Messen und Veranstaltungen wegfallen, kommen weniger Aufträge zustande.

Profitieren auch Startups aus eurem Portfolio von der Krise?

Ja, es gibt auch Unternehmen, die in der aktuellen Situation wachsen. Bei uns im Portfolio sind das beispielsweise Dialogue aus dem Bereich Telemedizin oder Scoutbee, das mit seiner Software dabei hilft, Lieferanten zu finden. 

Viele Startups sind aktuell noch gut finanziert, in den Monaten und Jahren vor der Krise kamen zahlreiche hohe Finanzierungen zustande. Müssen diese Unternehmen sich weniger Sorgen machen?

Ein B2B-Unternehmen, das kürzlich eine 30-Millionen–Runde eingesammelt hat, kann wahrscheinlich zuversichtlicher in die nächsten Monate blicken. Eine junge Firma in der Reisebranche mit wenig Geld ist hingegen in einer sehr herausfordernden Situation. Gerade für diese Unternehmen wird es wichtig sein, dass die Bundesregierung für Startups geeignete Instrumente zur Liquiditätssicherung bereitstellt. Denn die bisher vorgestellten Instrumente sind für Startups leider ungeeignet. Der Bundesverband Deutsche Startups hat hier vergangene Woche sehr gute Vorschläge gemacht und ich hoffe, dass diese aufgenommen werden.

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Schließt ihr als VC derzeit noch Finanzierungsrunden ab?

Oberste Priorität hat derzeit unser bestehendes Portfolio. In den vergangenen Tagen lag unser Fokus darauf, zusammen mit den Gründern und Geschäftsführern in unserem Portfolio, die Situation klar zu analysieren und sie bei der Planung der nächsten Schritte zu unterstützen. Aber wir stellen die Neuinvestitionen nicht ein und sind weiterhin auf der Suche nach spannenden Startups, die wir finanzieren können. Als einer der größten deutschen Fonds sind wir in der Lage, hier flexibel zu agieren. Und erfahrungsgemäß entstehen gerade in schwierigen Zeiten einige der spannendsten Firmen.

Wird es in den kommenden Wochen und Monaten also Finanzierungsrunden geben?

Ja, gute Startups werden weiterhin finanziert. Viele VCs – inklusive uns als HV Holtzbrinck Ventures – haben die notwendigen Mittel, um Investitionen tätigen zu können. Ich würde aber damit rechnen, dass Funding-Prozesse länger dauern als in den vergangenen zwölf Monaten. Zum einen wegen der hohen Unsicherheit durch die Krise, aber auch weil Due-Diligence-Prozesse beispielsweise durch Ausgangsbeschränkungen länger dauern. 

Generell: Was haben Gründer im schlimmsten Fall zu befürchten?

Jeder Gründer muss in den nächsten Wochen die richtigen Schritte unternehmen, um den Fortbestand seines Startups zu sichern. Der Hauptfokus muss dabei auf einer mittel- bis langfristigen Sicherung der Liquidität liegen, sonst droht im schlimmsten Fall die Insolvenz.

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Einige Gründer haben Angst, dass die Bewertung ihres Startups stark sinkt. Eine berechtigte Sorge?

Die Bewertungen der vergangenen zwölf bis achtzehn Monate waren im historischen Vergleich sehr hoch –  bei Startups wie auch an den Börsen. An den Börsen haben wir in den vergangenen vier Wochen Bewertungseinbrüche im mittleren zweistelligen Prozentbereich gesehen. Ich halte eine ähnliche Entwicklung bei Startups für wahrscheinlich. Außerdem wird es wohl in nächster Zeit weniger aktive Investoren und damit weniger kompetitive Runden geben, was sich ebenfalls negativ auf Bewertungen auswirken kann. Auch deswegen raten wir Gründern, die Reichweite der bestehenden Liquidität zu verlängern.

Welche Startups sind von der aktuellen Situation besonders betroffen?

Startups aus den Bereichen Reise, Mobilität und lokale Dienstleistung gehören sicher zu den besonders betroffenen Unternehmen. Aber wir sehen derzeit eine hohe Kaufzurückhaltung von Kunden in fast allen Sektoren. Und wenn die Krise länger anhält, werden viele weitere betroffen sein.

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Auch ihr habt Startups aus den Bereichen Reise und Mobilität im Portfolio, beispielsweise Flixbus. Wie geht ihr als Investor damit um?

Die Herausforderungen der verschiedenen Unternehmen, in unterschiedlichen Größen und Phasen, sind natürlich sehr unterschiedlich. Wir stehen im engen Dialog mit den Gründern um sie in dieser Situation, die vollkommen überraschend kam, zu unterstützen. Wir wollen aber zu einzelnen Unternehmen keine Aussage treffen.

Wie unterstützt ihr Gründer, die von der Krise betroffen sind, ganz konkret?

In erster Linie sind die Gründer dafür zuständig, die Krise zu bewältigen. Wir stehen aber im engen Austausch zu Themen wie strategischer Planung, Kosten- und Budgetkontrolle, Sicherstellung der Liquidität und Finanzierung. Zudem organisieren wir den Erfahrungsaustausch im Portfolio und mit externen Experten. Zum Beispiel haben wir vergangene Woche ein Webinar für unser Portfolio zum Thema Kurzarbeit mit einer Arbeitsrechtlerin organisiert. Wir sammeln und aggregieren zudem Informationen wie Best Practices. Nicht zuletzt stehen wir jederzeit für Gespräche mit den Gründern zur Verfügung, was auch viel genutzt wird. Uns ist es sehr wichtig, ihnen das Gefühl zu vermitteln: Ihr seid in der aktuellen Situation nicht allein.

Welche Tipps gebt ihr den Gründern, wenn sie euch anrufen?

2020 wird in der Rückschau ein totales Ausnahmejahr sein. Als Gründer würde ich mir in diesen Wochen weniger Sorgen um Wachstum und die Key-Performance-Indikatoren (KPIs) machen – da wird nach der Krise keiner mehr draufschauen. Stattdessen sollten Gründer kurzfristig den totalen Fokus auf das Überleben ihres Startups setzen und zusehen, dass das vorhandene Geld lange ausreicht.

Und wenn aktuell noch genügend Geld da ist und dem Startup erst einmal nicht die Insolvenz droht?

Ist der Fortbestand gesichert, sollten Gründer überlegen wie sie eine möglichst gute Position für die Zeit nach der Krise etablieren können. Jede Krise hat ein Ende – auch wenn derzeit keiner den Zeithorizont kennt. Und hoffentlich kommen viele junge Unternehmen gestärkt aus der Situation heraus.

Auch du leitest ein Team. Wie gehst du persönlich als Führungskraft mit der Coronakrise um?

Oberste Priorität hat natürlich die Gesundheit unserer Mitarbeiter und ihrer Familien. Wir sind in der privilegierten Position, dass sich unsere Arbeit gut von zu Hause aus erledigen lässt. Wir haben vor über einer Woche unsere Büros geschlossen und arbeiten jetzt rein virtuell. Dabei achten wir auf darauf, viel zu kommunizieren und uns gegenseitig zu unterstützen, beruflich wie privat – natürlich über digitale Kanäle. Zum Beispiel bietet eine Mitarbeiterin morgendliche Yoga-Stunden über Videokonferenz an, was bei uns im Team begeistert genutzt wird.

Bild: HV Holtzbrinck Ventures