Lesara-Gründer Roman Kirsch (Bild: Chris Marxen)

Was für ein Wachstum: Lesara-Gründer Roman Kirsch verkündete auf einer Konferenz im vergangenen Jahr, er rechne 2017 mit einem Umsatz von 150 Millionen Euro. In den beiden Jahren davor soll sein Onlineshop, der billige Kleidung verkauft, 80 Millionen und 30 Millionen Euro umgesetzt haben.

Doch mittlerweile hat sich herausgestellt, dass diese Angaben aufgeblasen waren. Bei den Zahlen handelt es sich um Bruttoumsätze, wie Online Marketing Rockstars berichtete. Rücksendungen wurden also nicht herausgerechnet. Sie machen bei dem Mode-Shop aber branchenüblich knapp 50 Prozent aus. Das heißt: Die tatsächlichen Umsätze waren deutlich niedriger als von Kirsch vermeldet. Laut OMR lagen sie 2017 bei 71 Millionen Euro, 2016 bei 46 Millionen und 2015 bei 15 Millionen Euro. Das kam nicht gut an: t3n, das Manager Magazin und weitere Medien kritisierten das Auftreten Kirschs.

Viele Gründer präsentieren sich erfolgreicher, als sie wirklich sind. Der Druck ist hoch und verleitet so manchen dazu, bei den Geschäftszahlen zu übertreiben. Als Nutzer wird plötzlich jeder gezählt, der die App heruntergeladen hat. Der Werkstudent wird zum Vollzeitmitarbeiter – und wenn es um den Gewinn geht, denken sich findige Gründer gleich ganz neue Kennzahlen aus. Irgendwie wollen die jungen Unternehmer Investoren, Kunden und die Öffentlichkeit von ihrer Idee überzeugen. Sie wissen aber genau, dass das nur wenigen gelingt.

Bei Lesara kann man die Aufregung über die Erlöszahlen nicht nachvollziehen und beteuert, man habe stets deutlich gemacht, dass es sich um den Bruttoumsatz handle. Der sei schließlich die am häufigsten genutzte Kennzahl in der E-Commerce-Branche. „Wir haben immer ein offenes und transparentes Verhältnis mit der Öffentlichkeit gepflegt“, heißt auf Nachfrage von dem Unternehmen, das auch das Gründerszene-Wachstumsranking* gewann.

Die Grafik zeigt nur: Der Umsatz in den ersten drei Jahren lag bei null

Dass der Bruttoumsatz als Kennzahl in der Branche üblich sein soll, sieht allerdings nicht jeder so. Eine Nachfrage bei Zalando zeigt, dass der Branchenprimus in den Umsatz nur das zählt, was seine Kunden auch behalten. Die Retourenquote von ebenfalls etwa 50 Prozent ist demnach aus dem Milliardenumsatz des vergangenen Jahres herausgerechnet worden.

Die Umsatzzahl ist nicht nur bei Lesara ein beliebtes Mittel, um die Lage eines Startups möglichst beeindruckend wirken zu lassen. Das gescheiterte Online-Auktionshaus Auctionata, an welchem bekannte Wagniskapitalgeber wie Earlybird beteiligt waren, hat die Öffentlichkeit sogar angelogen. Vom Unternehmen hieß es, 2014 habe man einen „Nettoumsatz“ von 31,5 Millionen Euro erzielt. Wie die Geschäftsführer erst deutlich später im Bundesanzeiger offenlegten, handelte es sich bei der Zahl um den Außenumsatz – also um den Wert aller Waren, die über die Plattform verkauft worden waren. Das Unternehmen selbst behielt nur einen Prozentsatz dieser Summe als Provision ein. Der tatsächliche Umsatz lag in dem Jahr bei gerade einmal 5,8 Millionen Euro.

Wie positiv sich das Geschäft entwickelt, wollte vor Kurzem auch das Versicherungsstartup Friendsurance aufzeigen. Anlässlich des achten Geburtstags schickte es an die Presse folgende Grafik zum Umsatzwachstum:

Auf Nachfrage von Gründerszene, wie die Legende der Grafik aussehe, hieß es vom Unternehmen: „An dieser Stelle möchten wir keine konkreten Zahlen nennen“. Man halte die Grafik auch so für aussagekräftig. Tatsächlich ist das Einzige, was daraus hervorgeht, dass der Umsatz in den ersten drei Jahren bei null lag.

Konkretere Zahlen von Friendsurance nennt der Bundesanzeiger. Zwar nicht zu den Umsätzen des Startups, aber zu den jahrelang angesammelten Verlusten.

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*Für das Gründerszene-Wachstums-Ranking erstellte eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die finale Rangliste anhand eingereichter Jahresabschlüsse bzw. Umsatzzahlen. Die Gründerszene-Redaktion hatte zu keinem Zeitpunkt Einblick in diese Geschäftszahlen. Gegenüber der Redaktion hatte Lesara für 2015 ebenfalls einen „Umsatz“ von 30 Millionen Euro als „realistisch“ bestätigt.

Etwas zu aufgebauscht – wie die Zahlen vieler Startups.

Packt man diese in eine Grafik, sieht das so aus:

Im Jahr 2016 stand bei Friendsurance ein Verlustvortrag von 15,4 Millionen Euro in den Büchern. Auf Nachfrage dazu heißt es vom Unternehmen: „Wie in Technologieunternehmen üblich, haben wir im digitalen Bereich einige Investitionen getätigt, die diese Zahlen erklären.“

Verluste können ein sensibles Thema für ein Startup sein. Der Kochboxen-Versender HelloFresh aus dem Hause Rocket Internet hat sich beispielsweise vor dem gescheiterten Börsengang-Versuch im Jahr 2015 davor gedrückt, seine vollständigen Verluste öffentlich zu machen – und erfand kurzerhand eine neue Kennzahl: das positiv bereinigte Ebitda vor Marketingausgaben. Bei einem Unternehmen, das jedes Jahr zahlreiche Millionen Euro in seine Werbung pumpt, ist völlig unklar, was eine solche Zahl überhaupt aussagen soll.

Ungewöhnliches präsentierte am Mittwoch auch das mit Milliarden bewertete Coworking-Unternehmen WeWork, das immer höhere Verluste anhäuft: die Zahl des „community adjusted Ebitdas“. Damit gemeint ist nicht nur der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. WeWork rechnete zusätzlich Kosten für das Marketing, die Verwaltung, die Entwicklung und das Design heraus. „Den Ausdruck ,community adjusted Ebitda‘ habe ich noch nie in meinem Leben gehört“, sagte Finanzexperte Adam Cohen dem Wall Street Journal.

Der Hockey-Stick: Umsatz oder Office Dogs?

Neben solchen Manövern ist die Ankündigung, dass das eigene Unternehmen nun profitabel sei, beliebt. Oft stellt sich auf Nachfrage heraus, dass das nicht ganz korrekt ist. In manchen Fällen sind positive Deckungsbeiträge (Unit Economics) gemeint. In anderen geht es um operative Profitabilität: Das Unternehmen hat also in dem Jahr, Quartal oder Monat, auf den es sich bezieht, keine neuen Verluste angehäuft. In der Bilanz summieren sich üblicherweise aber Verluste aus den Vorjahren – und die liegen oft in Millionenhöhe.

Hier lastet der Druck auf den Startups, nach Jahren der Miese etwas Positives bekannt zu geben. Fraglich ist aber, wie aussagekräftig es sein kann, wenn ein Unternehmen einen einzigen profitablen Monat meldet, wie kürzlich Outfittery für vergangenen November. Das schon 2012 gegründete Mode-Unternehmen veröffentlichte zuletzt 2015 ausführliche Geschäftszahlen im Bundesanzeiger: Da lagen der Umsatz bei knapp 36 Millionen und der Jahresfehlbetrag bei 17 Millionen Euro. Jetzt heißt es vom Startup, man werde auch 2018 wieder ins Wachstum investieren. Soll wohl heißen: weiter Verluste schreiben.

Ob aufgeblasene Umsätze oder seltsame Gewinnzahlen – Investoren sind Tricks von Gründern gewöhnt. Paul Kedrosky, General Partner bei SK Ventures, zum Beispiel. Gründer, die ihm in einer Mail von tollen Quartalsergebnissen berichteten, ohne aber Zahlen zu verraten, halte er nicht für glaubwürdig. „Dann denke ich, dass du nicht rechnen kannst, dir irgendeinen Scheiß ausdenkst oder zu leicht zu begeistern bist.“

Es sei teils absurd, was er zu sehen bekomme, sagt auch ein Gründungspartner eines internationalen VCs, der seinen Namen nicht lesen will. „Auf Folie Sieben jedes Pitch-Decks kommt ganz sicher ein Hockey-Stick“ – eine steile Wachstumskurve nach oben. „Da wird aber oft kein Umsatz abgebildet. Stattdessen wurde mir da schon die Zahl der „Office Dogs“ oder der bestellten Pizzen gezeigt. Dann weiß man, dass da nicht viel zu holen ist“. Und die Glaubwürdigkeit der Branche erhöht es ebenfalls nicht.

Bild: moodboard/Getty