Die Innenstadt von Erfurt: nett anzusehen – und auch ein schöner Ort zum Gründen?

Bunte Becher gefüllt mit Obst, frisch produziert und dank des Zusatzes von Vitamin C und einer sauerstofflosen Verpackung eine Woche lang haltbar: Das ist die Idee hinter Jenny Müllers Startup, der Frischemanufaktur. Die Gründerin gilt als eine Ausnahme in der Startup-Branche. Denn um erfolgreich zu werden, wagte sie einen ungewöhnlichen Weg: Sie zog in den Osten, nach Halle an der Saale. 

Bisher zieht es tendenziell wenige Startups nach Ostdeutschland, nimmt man Berlin aus der Rechnung heraus. Laut der Studie Deutscher Startup-Monitor saßen 2018 abzüglich der Hauptstadt nur 11,2 Prozent der deutschen Startups in den Ost-Bundesländern. Schlechter Netzausbau, wenige andere innovative Unternehmen, eine erschwerte Kontaktaufnahme zu Investoren – all diese Faktoren mindern die Attraktivität der Region.

Christoph Stresing, Geschäftsführer beim Bundesverband Deutsche Startups, sieht die niedrigen Startup-Zahlen auch dem fehlenden Gründerwillen im Osten geschuldet. „Wenn nur wenige Startups in der Gegend existieren, ist die Bereitschaft, selber eins zu gründen, nicht besonders hoch“, so Stresing. 

Ein Umzug von München nach Halle? 

Dabei biete Ostdeutschland viele Chancen für Startups, sagt Stresing. Es gebe viele Möglichkeiten für Förderungen. Auch die Frischemanufaktur hat sich deshalb für den Osten entschieden. Jenny Müller hat eine Finanzierung von einem Venture-Capital-Fonds erhalten, der Fördergelder für Ostdeutschland verwaltet. Dafür musste die Firma ihren Sitz jedoch nach Sachsen-Anhalt verlagern. Kein Problem für die motivierte Gründerin: Sie zog von München nach Halle.

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Den Schritt bereut sie auch nach einem Jahr nicht. „Ich bin jeden Tag glücklich, dass ich das gemacht habe“, sagt Müller. In Halle sei es ihr gelungen, viel schneller qualifiziertes Personal zu finden. In München sei das aufgrund der anderen Firmen und Startups schwieriger. In Halle dagegen sei man nicht nur eines von Tausenden Startups. Man erhalte größere Aufmerksamkeit, nicht nur von Arbeitnehmern, sondern auch von Investoren, Medien und Politikern. „Den Regionen ist bewusst, dass sie Startups brauchen, da es gar nicht so viele große Firmen in ihrer Umgebung gibt“, so Müller. In Halle habe sie beispielsweise schon dreimal den Wirtschaftsminister der dortigen Landesregierung getroffen, in München hingegen kein einziges Mal.

Wichtig für Startups: die Universitäten 

Auch die Universitäten sind laut dem Experten Stresing bei Startup-Gründungen wichtig. In Halle gibt es beispielsweise die Burg Giebichenstein Kunsthochschule, die Startups unterstützt. Auch die Universitäten in Leipzig, Magdeburg und Dresden setzen auf junge Firmen. Laut Startup-Monitor saßen 2018 22 Prozent der ostdeutschen Startups in Leipzig, 12,8 Prozent in Dresden und 9,1 Prozent in Magdeburg.

Eine Gründerszene gebe es auch in Halle, auch wenn die im Vergleich zu anderen deutschen Städten weitaus kleiner sei, sagt Gründerin Müller. Ihr Startup sitze zwischen anderen im Technologie- und Gründerzentrum der Stadt. Hier ließe es sich gut netzwerken: „Hier hat sich sogar eine Kooperation für eine neue Verpackung mit einem Startup für Produktentwicklung im Maschinenbau ergeben, denn die ursprünglichen Becher haben sich im leeren Zustand nicht stapeln lassen.“

2,50 Euro Miete pro Quadratmeter

Das Hauptargument für den Osten sind laut einem anderen Gründer, Steffen Schönfelder, die billigen Mieten. Er startete seine Firma Velomo, die speziell angefertigte Liegeräder produziert, in Jena und Berlin, und verlagerte sie nach zwei Jahren in die thüringische Kleinstadt Weida. „Dort haben wir nur 2,50 Euro Miete pro Quadratmeter für ordentliche Räume bezahlt. In Berlin hätten wir bestimmt mindestens zehn Euro bezahlt.“ Die niedrigen Mieten hätten seiner Firma Zeit gegeben, erzählt er. „Die Fixkosten konnte man so weit runterschrauben, dass man die Freiheit gewonnen hat, sich zu entwickeln, über Jahre hinweg“, so Schönfelder. Das wäre in Berlin auf die Art niemals möglich gewesen, glaubt er.

Im Vergleich zu Westdeutschen (35,5 Prozent) verspüren nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey viel weniger Ostdeutsche (nur 26,4 Prozent) den Wunsch, Unternehmer zu werden. Grund für die niedrige Motivation kann laut Stresing auch die Angst vor Arbeitslosigkeit sein, die sich nach der Wende in einigen ostdeutschen Gebieten etabliert hat. Viele Menschen müssten demnach erst einmal lernen, sich zu trauen, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Startups wie Velomo und die Frischemanufaktur zeigen, dass es möglich ist – und sich gründen im Osten besonders lohnen kann. 

Bild: Getty Images / Glowimages