Heutzutage wird im Alltag jeder und alles bewertet. Überall werden Kunden aufgefordert, Noten zu vergeben – mal in Form bunter Smileys, mal in Form goldener Sterne. Die Noten sollen andere Kunden vor Fehlkäufen bewahren, so die Theorie. In der Praxis zeigt sich immer wieder: Der Umgang mit Bewertungen will gelernt sein.

Das fängt bei der Frage an, wie viele Sterne jemand als ein gutes Urteil empfindet. Für die einen stehen vier von fünf Sternen für große Zufriedenheit, andere mögen sogar noch in drei Sternen ein Lob sehen.

Eine entscheidende, in der schnellen Internet-Einkaufswelt aber oft übersehene Frage ist zudem: Was wird hier eigentlich bewertet – und welche Aussagekraft haben die Noten? In diesen Streit hat sich nun die Stiftung Warentest eingemischt, deren Urteile in Konkurrenz zu jenen Sternen stehen, die von Kunden für Produkte vergeben werden.

Die Verbraucherorganisation verweist auf eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung der Technischen Universität Dortmund. Demnach erhielt nur in knapp einem Drittel von 224 Produktkategorien der jeweilige Testsieger von Stiftung Warentest auch die beste Bewertung auf der Einkaufsplattform Amazon.

Verglichen wurden unter anderem Fernseher, Smartphones und Staubsauger. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass ein Kunde nicht unbedingt ein gutes Produkt kauft, wenn er sich für ein Produkt mit einer hohen durchschnittlichen Sterne-Bewertung entscheidet.

„Mittelmaß“ fehlt bei Amazons Sternen

Die Warentester sehen sich durch das Ergebnis in ihrer Auffassung bestätigt, dass sich Sterne-Bewertungen von Amazon nicht gut eignen, um die Qualität eines Produktes einzuschätzen. Internetshopper äußerten sich nun einmal oft emotional und vertreten häufig extreme Meinungen zu den gekauften Produkten. „Wer sich den Aufwand macht, eine Rezension zu schreiben, hat sich meist über eine Ware wahnsinnig gefreut oder geärgert“, heißt es bei der Stiftung. Das Mittelmaß sei in vielen Sterne-Bewertungen unterrepräsentiert.

Sie selbst prüfe dagegen nach wissenschaftlichen und transparenten Kriterien. „Unsere Tester bevorzugen keine bestimmte Marke und sind nicht sauer, weil die teure Neuanschaffung nicht ihren Vorstellungen entspricht“, so die Verbraucherorganisation. Außerdem würden in einem Test mehrere Geräte untereinander bewertet. Die Note sage auch etwas darüber aus, wie gut ein Radio im Vergleich zu einem anderen getesteten Radio sei.

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Viele Produkteigenschaften könnten Laien zudem nicht selbst prüfen, etwa Schadstoffe in Kopfhörern, die Datensicherheit bei Baby-Webcams oder die elektrische Sicherheit von Haartrocknern. „Ottilie und Otto Normal fehlt hier die Expertise“, so die Tester.

Die Bewertungen anderer Käufer im Internet seien dennoch „nützliche Hinweise“, erklärte die Stiftung Warentest weiter, etwa wenn es um die Alltagstauglichkeit von Produkten gehe. Von den Sternen dürfe sich aber niemand blenden lassen.

So liege ihnen ein Fall vor, in dem ein Toaster bei Amazon vier Sterne habe, obwohl 75 der 442 Käufer, die eine Bewertung abgegeben hatten, sehr enttäuscht von dem Gerät waren, Kritikpunkte seien unter anderem „kaputt“ und „nach einem Monat defekt“ gewesen.

Die Kunst besteht darin, die Bewertungen richtig zu nutzen. Potenzielle Käufer sollten sich vor allem auf negative Kritiken konzentrieren und dort nach Übereinstimmungen suchen, die auf einen grundsätzlichen Mangel hinweisen könnten. Die Stiftung Warentest empfiehlt, in den Kommentaren auf den Seiten der Internethändler gezielt nach Schlagworten wie „kaputt“ zu fahnden, um etwas zur Produktqualität zu erfahren.

Lieferzeit und Kundenservice testet Stiftung Warentest nicht

Wobei es immer darauf ankommt, was einem Kunden wichtig ist. Kriterien wie Lieferzeit und Kundenservice spielen beispielsweise bei den Testergebnissen der Stiftung Warentest keine Rolle – „flott geliefert“ oder „freundlicher Mitarbeiter im Callcenter“ können für Kunden durchaus wichtige Kriterien bei der Kaufentscheidung sein.

Vorsicht ist laut Stiftung Warentest bei besonders langen Bewertungen geboten – sie könnten von bezahlten Rezensenten stammen. Bei Zweifeln sollten Verbraucher auf das Amazon-Profil eines solchen Rezensenten klicken und sich seine übrigen Kritiken anschauen.

Amazon berechnet die Bewertung mit bis zu fünf Sternen nach eigenen Angaben gegenüber Stiftung Warentest mithilfe eines maschinell gelernten Modells. Es berücksichtigt demnach Faktoren wie das Alter einer Bewertung, die Beurteilung der Nützlichkeit durch Kunden oder ob die Bewertungen aus geprüften Einkäufen stammen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Christian Wiediger / Unsplash