Nikbin Rohany (links) und Christian Kählig haben die Geschäftsführung von Shore übernommen.

Der Geschäftsbericht 2017 von Shore sieht dramatisch aus: Der Anbieter von Kundenverwaltungs-Software habe demnach mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen und immense Verluste gemacht. Außerdem befürchtete das Unternehmen einen Liquiditäts-Engpass. Wie schlimm ist die Krise des Münchner Startups? 

Shore verkauft ein Tool, mit denen beispielsweise Friseure, Kosmetikstudios und Physiotherapeuten ihre Termine und Kunden verwalten können. Je nach Teamgröße zahlen die Firmen zwischen 39 und 99 Euro pro Monat, um die Software nutzen zu können. Doch die Kosten, um neue Unternehmenskunden zu gewinnen, sind hoch: Innerhalb von fünf Jahren sammelten sich mehr als 30,6 Millionen Euro an Verlusten an, wie der Finanzbericht aus dem Jahr 2017 zeigt. Dabei lagen die Umsätze unter den Verlusten. Deutsche Startups berichtete zuerst darüber, aktuelle Zahlen sind bislang nicht öffentlich.

Das Management reagierte mit radikalen Schritten: Um Kosten zu senken, hat Shore in den vergangenen zwei Jahren rund 120 Mitarbeiter entlassen – vor allem Angestellte aus dem Vertrieb. Während Ende 2016 laut Finanzbericht 198 Mitarbeiter in der Shore-Gruppe angestellt waren, sind es derzeit rund 80.

Zu teure Kundenakquise

In der Krise hat Shore seine Strategie angepasst: Bis 2017 sei das Unternehmen aktiv auf Kundenakquise gegangen, Vertriebsmitarbeiter seien quer durchs Land gefahren, um neue Kunden zu finden, sagen die aktuellen Geschäftsführer Nikbin Rohany und Christian Kählig im Gespräch mit Gründerszene. Aber: „Die Akquirierungskosten standen nicht im Verhältnis zum Costumer Lifetime Value“, sagt Rohany heute. Jeder Kunde bringt der Firma über die Jahre einen gewissen Umsatz ein (Costumer Lifetime Value). Shore habe aber so viel Geld für den Vertrieb ausgegeben, dass der Umsatz pro Kunde am Ende viel zu niedrig gewesen sei. Daher habe sich das Startup entschieden, Neukunden nur noch über Onlinewerbung anzulocken und keinen aktiven Vertrieb mehr zu machen.

Die verbleibenden Vertriebsmitarbeiter von Shore beraten und schließen die Verträge dann am Telefon ab. Durch die geänderte Strategie könne das SaaS-Startup den Vertrieb mittlerweile zentral steuern, benötige daher keine Mitarbeiter mehr in Spanien, der Schweiz und Bulgarien, um dort Betriebe anzusprechen, heißt es vom Unternehmen. Nur noch die Büros in München und Los Angeles seien geblieben, alle anderen habe das Unternehmen geschlossen.

Shore wurde 2012 unter dem Namen Termine24 von Alexander Henn und Philip Magoulas gegründet. 2014 benannten sie ihr SaaS-Tool in Shore um. Rohanys Startup Absence.io wurde Anfang 2017 für einen Millionenbetrag von Shore übernommen. Noch im selben Jahr wechselte der Absence.io-Gründer in die Geschäftsführung des Münchner Unternehmens. Die Shore-Gründer Henn und Magoulas verließen ihr Startup 2018. Kählig vervollständigte das Management gegen Ende des Jahres.

„Es wurde sehr viel in das Wachstum gesteckt“

„Es wurde sehr viel in das Wachstum gesteckt und das geht nur bis zu einem gewissen Punkt“, sagt Rohany rückblickend. Durch den Sparkurs konnte Shore Kosten sparen und seine frei gewordenen Büroflächen vermieten. Dennoch waren die Verluste 2017 hoch. Acht Millionen Euro sammelten sich bis zum Ende des Jahres als Fehlbetrag an. Mehr als 10,8 Millionen Euro waren es im Jahr davor. Dem gegenüber steht ein Umsatz von rund fünf Millionen Euro im Jahr 2017, etwa 44 Prozent mehr als 2016. 

Auch die Informationen zur finanzielle Lage klangen im Geschäftsbericht 2017 dramatisch: „Die zur Verfügung gestellten externen Finanzmittel für das Geschäftsjahr 2018 begrenzen sich auf EUR 4.785.232,23 was zu ungeplanten Liquiditätsengpässen der Shore GmbH führen kann und somit zu einer wesentlichen Unsicherheit in der Fortführung der Unternehmenstätigkeit“, steht im Bericht für 2017. Ende Juni 2018 wurde das Papier aufgesetzt, kurz bevor die Firma eine Finanzierungsrunde abgeschlossen hat. Diverse Altgesellschafter investierten nach Angaben des Startups einen siebenstelligen Betrag.

Zu dem Zeitpunkt hatte Shore nur noch wenig Geld auf dem Konto, berichten die Geschäftsführer. Auch wenn die damaligen Geschäftsführer Henn und Magoulas davon ausgingen, dass sie einen Monat später eine Finanzierung in siebenstelliger Höhe bekommen würden, mussten sie den Engpass verkünden. „Wir waren nie kurz vor der Insolvenz“, sagen die jetzigen beiden Geschäftsführer Rohany und Kählig heute. Allerdings sagen Geldgeber – gerade bei Unternehmen, die Probleme haben – nicht selten in letzter Minute ab, sodass ein geplantes Investment wegbricht und Startups zahlungsunfähig werden.

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Die Altgesellschafter haben das Startup gerettet

Mit einem halb so großen Team und einem weniger offensiven Vertrieb konnte Shore seine Umsätze 2018 zwar nicht immens steigern, aber zumindest seine Verluste verringern. Im vergangenen Jahr habe der Umsatz sechs bis sieben Millionen Euro betragen, so Kählig. Er rechnet zudem mit einem Jahresfehlbetrag von „voraussichtlich unter vier Millionen Euro“.

Im Januar 2019, wenige Monate nach der letzten Finanzierung, hat Shore erneut Kapital eingesammelt. Diverse Altgesellschafter gaben eine siebenstellige Summe, die dabei helfen soll, die Gewinnschwelle zu erreichen, so die Manager. Die neue Runde ist im Handelsregister derzeit nicht ersichtlich. In der Vergangenheit investierten etwa die Metro, die Funke Mediengruppe und die Zalando-Gründer Rubin Ritter, Robert Gentz und David Schneider in die Verwaltungssoftware.

In diesem Jahr wolle Shore wieder bis zu zehn Mitarbeiter einstellen und sich auf seine Kernmärkte konzentrieren. Der deutschsprachige Raum sei für das Geschäft der stärkste, sagen Rohany und Kählig, aber auch in den USA und Spanien gebe es viele Kunden. Mit welchen Zahlen die Münchner für das laufende Jahr rechnen, wollen sie aber nicht verraten.

Bild: Shore