Das Geschäftsmodell von Fahrdiensten wie Uber basiert auf Flexibilität. Für die Mitarbeiter hat das nicht nur Vorteile.

Ein Beitrag von Timo Kloster, Rechtsanwalt bei CMS Deutschland

Das Geschäftsmodell von Vermittlungsportalen wie dem Fahrdienst-Unternehmen Uber basiert auf Flexibilität. Ressourcen werden nur bei Bedarf abgerufen. Ein On-Demand-Modell, das für freie Mitarbeit bestens geeignet zu sein scheint.

Es entspricht dem Wunsch vieler Plattformbeschäftigter, unabhängig und abseits vom Korsett des Büroalltags zu arbeiten. Andererseits führt es auch zu Konflikten: Der mit Spannung erwartete Börsengang von Uber in den USA wurde begleitet von Protesten gegen die Arbeitsbedingungen. Fahrer forderten eine bessere soziale Absicherung, mehr Planbarkeit bei den Arbeitszeiten und einen verlässlicheren Verdienst.

Obwohl die Bedeutung der Gig Economy in Deutschland im Vergleich zu den USA bislang eher gering ist, wird Unternehmen wie Uber, Deliveroo, Helpling und Co. auch hierzulande vorgeworfen, hart errungene Arbeitnehmerrechte zu gefährden.

Arbeitnehmer oder Selbstständige?

Arbeitsrechtlich können Unternehmen die Zusammenarbeit mit Plattformbeschäftigten unterschiedlich ausgestalten. Wichtiger als die Bezeichnung im Vertrag sind dabei die tatsächlichen Umstände der Zusammenarbeit: Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit sind beispielsweise die freie Einteilung von Arbeitszeit und -ort, die Nutzung eigener Betriebsmittel durch den Mitarbeiter und die Tätigkeit für unterschiedliche Kunden. Unterliegt der Mitarbeiter hingegen Weisungen und Kontrollen, spricht dies für ein festes Arbeitsverhältnis. Ob es sich bei einem Plattformarbeiter um einen Arbeitnehmer oder einen Selbstständigen handelt, kann also nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden.

Finanzielle Risiken für Unternehmen

In der Gig Economy gehen die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung und die der Selbstständigkeit oft fließend ineinander über. Das Risiko einer fehlerhaften Beurteilung des Vertragsverhältnisses ist deswegen hoch. Neben der rückwirkenden Behandlung des Dienstverhältnisses als Arbeitsverhältnis, inklusive etwa rückwirkender Gewährung von Urlaub, drohen Plattformbetreibern im Ernstfall Nachzahlungen von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen, nebst Säumniszuschlag. Zusätzlich kann ein Strafverfahren wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen drohen.

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Das Risiko der Scheinselbständigkeit zwingt Plattformunternehmen zur Schaffung von klaren Verhältnissen. Doch leider ist das nicht immer im Sinne der betroffenen Mitarbeiter: Organisatorische Hilfestellung, etwa in Form von Arbeitsmitteln, kann ein Unternehmen seinen freien Mitarbeitern – wenn sie solche bleiben sollen – etwa nur sehr eingeschränkt zukommen lassen.

Alles oder nichts bei der Sozialversicherung

Die starre Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Arbeitnehmern ist entscheidend dafür, ob arbeitsrechtliche Schutzgesetze wie das Mindestlohn-, Entgeltfortzahlungs- oder Arbeitszeitgesetz überhaupt angewendet werden können. Auch die Sozialversicherungspflicht folgt dem Alles-oder-Nichts-Prinzip: Entweder besteht beim abhängig Beschäftigten eine Sozialversicherungspflicht – oder der Selbstständige fällt gänzlich aus der Sozialversicherungspflicht und dem damit verbundenen Schutz heraus.

Mit der Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse entscheiden Plattformbetreiber also in der Regel nicht nur über die Arbeitnehmereigenschaft, sondern auch über Fragen der sozialen Absicherung ihrer Mitarbeiter. Damit liegt die Verantwortung bei den Unternehmen – obwohl angesichts des anhaltenden Trends zu mehr Flexibilität in Beschäftigungsverhältnissen der Gesetzgeber in der Bringschuld wäre.

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Unternehmen wie Uber reagieren, indem sie selbstständigen Mitarbeitern den Versicherungsschutz bei Unfall oder Krankheit finanzieren. Doch das grundsätzliche Problem mangelnder sozialer Absicherung in der Gig Economy ist damit nicht gelöst. Die gewollte und gelebte Flexibilität der Branche passt nicht zu den starren Strukturen des Arbeits- und Sozialrechts.

Lösung auf europäischer Ebene?

Am 16. April 2019 hat das europäische Parlament eine neue Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU (2017/0355 (COD)) auf den Weg gebracht. Ziel ist unter anderem eine stärkere Regulierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Gig Economy. Plattformarbeitern sollen mehr Rechte eingeräumt werden, insbesondere soll ihre Beschäftigung planbarer werden.

Ob mit der Richtlinie und ihrer Umsetzung in nationales Recht allerdings tatsächlich mehr Transparenz für Beschäftigungsformen in der Gig Economy eintreten wird, bleibt abzuwarten. Denn die Richtlinie gilt nur für Arbeitnehmer, legt aber nicht klar fest, welche Plattformbeschäftigten Arbeitnehmer sind. Diese Frage hat bislang auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch nicht beantwortet.

Der nationale Gesetzgeber muss daher weiter über eine Anpassung des Arbeitnehmerbegriffs und eine Ausweitung des Schutzes sogenannter „arbeitnehmerähnlicher Personen“ nachdenken. Die Öffnung der Sozialversicherung für Selbstständige ist schon im Koalitionsvertrag von 2018 als Ziel genannt. Alternativ hierzu wird die Idee eines berufsständischen Versorgungswerks für Plattformbeschäftigte diskutiert.

Was Plattform-Startups tun sollten

Bis der Gesetzgeber reagiert, sollten Plattformbetreiber sich auf die klare Gestaltung der Vertragsverhältnisse mit ihren Mitarbeitern konzentrieren. Sollen keine Arbeitsverhältnisse begründet werden, müssen Firmen detaillierte Vorgaben zur Durchführung der Tätigkeiten ebenso vermeiden wie umfangreiche Kontrollmaßnahmen. Neben der förmlichen Vertragsgestaltung ist stets auch die tatsächliche Vertragsdurchführung entscheidend. Eine Einbindung von Selbstständigen in den alltäglichen Betriebsablauf des Unternehmens ist zu vermeiden.

Bild: Dan Gold / Unsplash