Felix Welling, Leiter Unternehmensentwicklung beim VfL Wolfsburg, mit E-Sportler Timo Siep (rechts).
Felix Welling, Leiter Unternehmensentwicklung beim VfL Wolfsburg, mit E-Sportler Timo Siep (rechts).

Dass Jugendliche in ihrer Freizeit Videos anschauen, in denen sich andere Jugendliche beim Zocken filmen, finden Erwachsene meist befremdlich. Den VfL Wolfsburg freut es allerdings, wenn 200.000 junge Leute auf ein Video namens „Krankes Fifa 17 Spiel“ klicken. Denn der junge Mann, der mit Headset auf dem Kopf unten rechts im Bild eingeblendet ist und digitale Spielzüge analysiert, trägt ein grünes VfL-Trikot. Timo Siep, 20 Jahre alt, steht bei dem Fußballverein unter Vertrag – als E-Sportler.

Vor drei Jahren habe der VfL E-Sport als neue Einnahmequelle erkannt, sagt Felix Welling, Leiter Unternehmensentwicklung des Vereins, im Gespräch mit Gründerszene. Inzwischen hat der Wolfsburger Club neben Siep mit Benedikt Salzer (25) und David Bytheway (24) noch zwei weitere Spieler angestellt, die ihr Geld mit dem Computerspiel Fifa verdienen. Und auch bei Schalke 04, Hertha BSC oder dem RB Leipzig setzt man inzwischen auf E-Sport. 

Warum hat es ein Fußball-Bundesligist, der Millionen mit TV-Geldern und Sponsoring verdient, nötig, in digitalen Sport zu investieren? Und wie passt es mit den Grundsätzen eines Sportvereins zusammen, Teenager vor die Bildschirme statt auf den Sportplatz zu locken? Das haben wir Welling gefragt.

Felix, der VfL Wolfsburg hat seit 2015 neben einer Fußball- auch eine E-Sport-Mannschaft. Sind eure Fifa-Spieler größere Publikumsmagneten als eure Top-Fußballer?

Das kann man nicht direkt vergleichen. Die Letztgenannten sind erfahrene Bundesliga-Spieler des VfL, die anderen drei E-Sport-Profis bei uns im Team. Aber Timo hat mittlerweile 35.000 Youtube-Abonnenten – sogar mehr als unsere Bundesliga-Fußballer. Alle drei sind inzwischen ernstzunehmende Influencer, die wir mit einer E-Sport-Agentur selbst entwickelt haben und daher auch gezielt einsetzen können.

„Selbst entwickelt“ – was meinst du damit?

Als wir unsere E-Sportler ausgewählt haben, haben wir unter anderem darauf geachtet, dass sie gut vor der Kamera agieren und authentisch sind. Sie sollten zukünftig als Influencer für Markenbotschafter für den VfL in der jungen Zielgruppe sein und relevanten Content für diese Zielgruppe erstellen können.

Was ist denn die Zielgruppe für eure E-Sport-Bemühungen?

Wenn wir von E-Sport reden, meinen wir Fußball-E-Sport. Die Community, die sich mit Fifa auseinandersetzt, ist riesig und wächst ständig weiter. Dort möchten wir vor allem 13- bis 19-Jährige ansprechen.

Warum gerade Teenager?

Wir haben festgestellt, dass wir sehr viele Jugendliche in unserem Mitgliederclub und allgemein als Fans verlieren. Daher stehen wir unter Handlungsdruck, neue Aktivitäten zu entwickeln, mit denen wir die jungen Fans nachhaltig an den Club binden können.

Und mit eurer Fußballmannschaft allein könnt ihr die Zielgruppe nicht begeistern?

Den Jugendlichen von heute reicht es einfach nicht mehr, den klassischen Stadionbesuch mit Wurst, Bier und Fußball zu erleben. Der Stadionbesuch muss mehr bieten. Deswegen haben wir zum Beispiel eine „Gaming Zone“ im Stadion eingerichtet, bei der man an Spieltagen gegen einen unser E-Sport-Profis zocken und etwas gewinnen kann.

Ist es denn im Sinne eines Sportvereins, wenn Jugendliche sagen: Warum soll ich mich körperlich verausgaben, wenn ich auch am Bildschirm zocken kann?

Ich bin überzeugt, dass E-Sport eine Riesenchance für die Sportvereine ist. Insbesondere für Breitensportvereine: Wer nur Handball, Fußball und Darts anbietet, wird vermutlich nicht viele Jugendliche ansprechen und an Relevanz verlieren. Wer aber Kindern und Jugendlichen die E-Sport-Infrastruktur bietet, die sie zu Hause nicht bekommen – gute Rechner, gutes Streaming-Set-up, gute Internetverbindung – bekommt sie in seine Räumlichkeiten. Und dann sind die Jugendlichen auch wieder offener, sich mit klassischen Sportarten auseinanderzusetzen und am Vereinsleben teilzunehmen.

Also ist die Kombi aus klassischem Sport und E-Sport die Zukunft der Sportvereine?

Genau, und die Wichtigkeit dieser Kombi muss klar kommuniziert werden. Zocken ersetzt körperliche Ertüchtigung nicht. Unser E-Sportler Benedikt zum Beispiel spielt selbst auch in der Landesliga erfolgreich Fußball. Körperliche Fitness und gezielte Ernährung stehen auch auf dem Trainingsplan unserer E-Sportler.

Wie genau sieht dieser Trainingsplan aus?

Jeder der Jungs trainiert mindestens zwei bis drei Stunden am Tag. Nicht nur an der Konsole, sondern es wird auch dafür gesorgt, dass sie laufen gehen, Kraftsport und Konzentrationsübungen machen. Mentale Ausgeglichenheit ist wichtig, denn wie jeder andere Sportler auch müssen unsere Jungs ihre Trainingsleistung auch im Wettkampf zeigen können.

Was verdienen eure E-Sportler?

Das kann ich nicht verraten, aber Timo zum Beispiel ist bereits Profi. Er hat sein Abi gemacht und sich dann dazu entschlossen, professioneller E-Sportler zu werden. Er verdient bei uns ein ordentliches Gehalt und dazu kommen natürlich noch mögliche Preisgelder. 2017 ist Timo Zweiter bei der Fifa-Weltmeisterschaft geworden und konnte dort ein hohes Preisgeld gewinnen.

Darf er die Gewinne komplett behalten?

Ja, auf jeden Fall.

Felix Welling, Leiter Unternehmensentwicklung beim VfL Wolfsburg, mit E-Sportler Timo Siep (rechts).
Felix Welling, Leiter Unternehmensentwicklung beim VfL Wolfsburg, mit E-Sportler Timo Siep (rechts).

Wie hoch sind eure Investments in E-Sport insgesamt?

Mittlerweile investieren wir pro Jahr einen hohen sechsstelligen Betrag, um den Bereich E-Sport voranzutreiben.

Und wie erzielt ihr damit Einnahmen?

In erster Linie beruht unser Business-Case auf Sponsoring-Partnerschaften. Das heißt, wir versuchen, das Logo des Sponsors auf allen E-Sport-Werbematerialien und auf den Trikots der Spieler einzubinden. Und wir schaffen Events, bei denen der Sponsor gemeinsam mit uns und unseren E-Sportlern auftreten kann – zum Beispiel eine „Two-on-Two-Serie“, bei der jeweils ein E-Sportler und ein Fußballprofi gegeneinander Fifa spielen. Solche Events streamen wir mit dem Live-Streaming-Videoportal Twitch oder auf Facebook, sodass die Sponsoren dort relevante Reichweiten erzielen.

Was sieht man in den Videos genau?

Man sieht in den Videos größtenteils einen Split-Screen: Auf der einen Seite wird das Spiel gestreamt, auf der anderen sieht man den E-Sportler selbst, der das Spiel kommentiert und Fanfragen beantwortet.

Und der Spieler ist dann VfL-gebrandet?

Genau, er hat das Trikot mit den Sponsorenlogos darauf an und verwendet Produkte unserer Sponsoring-Partner, zum Beispiel ein Headset und Energy Drinks.

Wer Timo Siep beim Zocken zuschaut, übersieht die Sponsoren des VfL nicht.
Wer Timo Siep beim Zocken zuschaut, übersieht die Sponsoren des VfL nicht.

Gibt es für Sponsoren auch die Option, direkt im Fifa-Spiel zu werben?

Bisher war das nicht allen Vereinen möglich. Mit dem Launch von Fifa 19 wird sich das zum Glück ändern. Dann werden alle Stadien der ersten Liga fotorealistisch abgebildet. Dann sind wir auch in der Lage, bis zu acht unserer bestehenden Sponsoren, die auf der LED-Bande zu sehen sind, in das Spiel zu integrieren.

Würdest du sagen, E-Sport ist der nächste große Marketingkanal?

Es ist eine Plattform, über die Unternehmen sehr gut kommunizieren können und die online und offline verbindet. Am ehesten ist es wohl als eine weitere Form des Influencer-Marketings zu beschreiben. Was mir in den vergangenen Jahren noch fehlte, ist, dass sich coole Charaktere bilden – übertrieben gesagt, der Zlatan Ibrahimovic der E-Sport-Szene. Bisher haben wir sehr viele E-Sportler jüngerer Generation, sie haben noch kein klares Profil, fühlen sich vor der Kamera nicht so wohl und sind deswegen auch nicht so interessant, um auf den Social Media-Kanälen riesige Followerzahlen aufzubauen. Deshalb war uns bei der Wahl unseres E-Sport-Teams neben der sportlichen Performance natürlich auch wichtig, wie sich die Jungs vor der Kamera präsentieren.

Bietet E-Sport als Marketingkanal auch für Startups Potentiale?

Insbesondere Startups aus dem Soft- und Hardwarebereich, deren Zielgruppe unter anderem Gamer sind, können E-Sports für eine individuelle und zielgerichtete Kundenansprache nutzen. Für Startups ist auch attraktiv, dass die Sponsorenpakete im Vergleich zu TV-Werbung oder anderen klassischen Kampagnen noch günstig sind.

Was ist dein Zwischenfazit: Hat sich euer Investment in E-Sport für euch schon gelohnt?

Zum einen erzielen wir Vermarktungserfolge, zum anderen merken wir auch, dass sich die jugendliche Zielgruppe wieder mehr mit dem VfL auseinandersetzt. Am Ende der Saison haben vergleichsweise wenig junge Leute ihre Dauerkarte gekündigt, obwohl man in schwierigen sportlichen Zeiten, wie zuletzt bei unserem Bundesligateam, generell keinen leichten Stand beim Kunden hat. 

Haben eure E-Sportler eigentlich Kontakt zum Bundesligateam?

Die Profis auf dem Rasen sind tatsächlich Fans der E-Sportler. Viele folgen den Jungs auf den Socials und spielen online gegen sie, um besser zu werden und ihre Kollegen in der Kabine abzuziehen. 2017 sind die E-Sportler auch mit ins Trainingslager nach Florida gekommen.

Wer ist der beste Fifa-Spieler aus der Rasenmannschaft?

Im Moment würde ich sagen Maxi Arnold, Yannick Gerhardt und Robin Knoche.

Bilder: Felix Welling