Aldi und Lidl agieren derzeit in den USA ambitionierter als in Deutschland
Aldi und Lidl agieren derzeit in den USA ambitionierter als in Deutschland

Wollte man den deutschen Lebensmittel-Einzelhandel in einer Karikatur abbilden, man könnte auf das Bild des ängstlichen Kaninchens vor der Schlange kommen. Dabei wären die etablierten Discounter das Kaninchen und der US-Handelsgigant Amazon die Schlange. Denn seit Monaten verharrt der deutsche Lebensmittel-Einzelhandel in Wartestellung. Wie greift Amazon an? Wird der Lieferdienst Fresh weiter ausgebaut? Oder wird es gar stationäre Geschäfte von Amazon geben? 

Ganz anders sieht das Bild in den USA aus. Hier nehmen Aldi und Lidl seit einigen Monaten die Rolle der Schlange ein. Die US-Platzhirsche Wal-Mart, Kroger und Co. scheinen auf einmal zu Kaninchen geschrumpft zu sein. Diese Entwicklung hat nun der Analyst Mike Paglia in drastische Worte gekleidet. „Wenn es darum geht, mit tausend Schnitten zu töten, haben Aldi und Lidl die Klingen gezogen“, ist sich der Einzelhandelsexperte des Instituts Kantar Retail sicher. „Es sieht nach einem Preiskrieg aus und die ersten Effekte sind bereits sichtbar.“ 

Er zielt damit auf die Expansionspläne der beiden Ketten ab, die zuletzt in den USA für Furore sorgten. Nach dem Markteinstieg im Sommer 2017 hat Lidl mittlerweile 50 Filialen an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Weiteres Wachstum ist geplant. Zudem sicherte sich der Discounter für das Online-Geschäft eine Kooperation mit dem Lieferdienst Shipt. Aldi wiederum, das seit den 1970er Jahren in den USA aktiv ist, hat angekündigt, in den kommenden fünf Jahren die Zahl seiner Filialen von 1600 auf 2500 zu erhöhen. Dafür nimmt das Unternehmen fünf Milliarden US-Dollar in die Hand.

Lidl und Aldi sind gefährlicher als Jeff Bezos

Die Worte von Paglia zeigen, dass die beiden Ketten es mit ihrer mutigen Unternehmenspolitik tatsächlich geschafft haben, die Lebensmittelbranche in den USA durcheinander zu wirbeln. Es sieht so aus, als gäben die deutschen Discounter auf dem größten Lebensmittelmarkt der Welt derzeit den Kurs vor. Die Konkurrenten scheinen nur noch zu reagieren. Wo Lidl auftaucht, senkt Wal-Mart die Preise, schreibt etwa die Wirtschaftsagentur Bloomberg. Trotz aller Gerüchte, Amazon könnte nach Whole Foods auch noch die Supermarktkette Target in den USA übernehmen, scheint der Handelsgigant von Jeff Bezos zwischen Los Angeles und New York derzeit nur die zweitgrößte Gefahr für den etablierten Lebensmittel-Einzelhandel zu sein.

Lidl und Aldi agieren auf dem US-Markt mit einer Entschlossenheit, die man sich auch in Deutschland wünschen würde. Stattdessen häufen sich hierzulande die Anzeichen, dass die Strategien der günstigen Supermarktketten eher vom bangen Blick auf Amazon geprägt werden. So hat Lidl sein Online-Angebot im Herbst 2017 weitestgehend auf Non-Food-Produkte eingeschrumpft, Kaufland stellte seinen Lieferdienst komplett ein, nachdem sogar ein bereits angekündigter Start in Hamburg abgebrochen worden war – kurz nachdem Amazon den Start von Fresh in Hamburg bekannt gegeben hatte. Und das, obwohl Studien zeigen, dass gerade Kunden preisgünstiger Anbieter am ehesten bereit wären, ihre Lebensmittel online zu kaufen. Wollen Lidl und Aldi hierzulande solange warten, bis Amazon diese Marktlücke ausgenutzt hat? 

Warum nicht mit Amazon zusammenarbeiten?

Bislang haben die deutschen Lebensmittelhändler beim Online-Geschäft vor allem zwei Probleme: Versand und Logistik. Und es gibt zwei Dinge, die Amazon wohl besser kann als jeder andere Konzern der Welt: Versand und Logistik. Wenn die deutschen Discounter sich also nicht trauen sollten, alleine einen ambitionierten Online-Versand aufzuziehen, gäbe es noch eine bislang kaum diskutierte Alternative: die Zusammenarbeit mit Amazon. 

Amazon Fresh befindet sich in Deutschland noch in einer Testphase und die Erfahrungen aus den USA zeigen, dass sich Jeff Bezos nicht scheut, den eigenen Lieferdienst kurz und schmerzlos wieder einzustellen, wenn er keinen Erfolg hat. Lebensmittel von Lidl und Aldi bei Amazon – es könnte eine Win-Win-Situation für beide Seiten sein. Doch man darf skeptisch sein, ob sich zwei Schlangen über den Weg trauen.

Bild: Getty Images / PATRIK STOLLARZ / Stringer