Upstalsboom-Chef Bodo Janssen
Upstalsboom-Chef Bodo Janssen

„Wir brauchen einen anderen Chef“ — das war einer der freundlicheren Kommentare, die Upstalsboom-Geschäftsführer Bodo Janssen nach einer Mitarbeiterbefragung zu lesen bekam. Die Angestellten seiner Hotelkette hatten ihm katastrophale Noten ausgestellt: zwischen ausreichend und ungenügend. Damit hätte der Millionärssohn, der BWL und Sinologie studiert und nebenbei als Fotomodell und in angesagten Hamburger Clubs gearbeitet hatte, nie gerechnet. Mit seinem Jetset-Lebensstil, seiner tollen Wohnung, seinem coolen Auto und der teuren Uhr hatte er gedacht, alles locker im Griff zu haben.

„Als erstes entstand ein Gefühl der Ungläubigkeit“, sagt der heute 47-Jährige im Interview. „Ich dachte, das ist doch jetzt nicht wahr, das kann doch nicht sein. Und dieses Gefühl der Ungläubigkeit wich nach einiger Zeit dem Gefühl der völligen Ohnmacht.“

Über die Zahlen vergaß er die Menschen

Denn eigentlich liefen die Geschäfte gut. Leider hatte Janssen sich aber nur auf die Zahlen konzentriert und überhaupt nicht auf seine damals rund 400 Mitarbeiter geachtet. „Für mich waren die Menschen Mittel zum Zweck“, sagt er. „Sie sollten mir meinen extravaganten Lebensstil finanzieren.“ Heute sieht er das völlig anders. Davon berichtet er in seinem Buch „Kraftquelle Tradition“, das am 13. September 2019 erscheint.

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Der Betriebswirt hatte nach dem tragischen Tod seines Vaters, des Upstalsboom-Gründers Werner Janssen, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, unerwartet mit 32 Jahren dessen Nachfolge als Geschäftsführer angetreten. Vom Hotelgewerbe oder Menschen habe er keine Ahnung gehabt, sagt er. Also machte er sich auch keine Gedanken darüber, dass die Zahl von Krankentagen und Kündigungen rapide stieg, während die Zahl der Bewerbungen sank.

Als einer seiner Vertrauten ihm vorschlug, per Mitarbeiterbefragung den Grund für diese Entwicklung zu suchen, stimmte er zu. Und war fassungslos von dem Ergebnis. Leider war ihm und den Geschäftsführern seiner Hotels und Feriensiedlungen, die ebenfalls fast alle abgestraft worden waren, überhaupt nicht klar, wo das Problem lag.

„Ich reiste von Hotel zu Hotel und zeigte den Mitarbeitern gemeinsam mit der jeweiligen Hotelführung eine Power-Point-Präsentation mit unseren Lösungsvorschlägen: Wir wollten zum Beispiel neue Kaffeelöffel kaufen, einige Vorgänge entbürokratisieren und Feedbackgespräche einführen.“ Für viele ein Affront. Es ging den Hotelangestellten nicht um Kaffeelöffel, sondern um Kommunikation. Und um Wertschätzung vonseiten der Führungskräfte.

Mitarbeiter gingen auf die Barrikaden

„In den Hotels, wo das Management sich dazu bekannte, einen Teil der Schuld zu tragen und Besserung gelobte, waren viele Angestellte skeptisch, aber es blieb ruhig. Doch wo die Hoteldirektion die Schuld von sich wies, gingen die Leute auf die Barrikaden. Manche schimpften, schlugen mit der Faust auf den Tisch oder sprangen von ihren Stühlen auf“, sagt er.

Bodo Janssen wälzte auf der Suche nach dem richtigen Weg Bücher über Management und Führung. Dabei stieß er auf den Ratgeber „Menschen führen — Leben wecken“ des benediktinischen Paters Anselm Grün. Janssen fühlte sich von diesem Buch angesprochen und ging ins Kloster, wo Pater Grün sein Mentor wurde. Gemeinsam gingen sie den Lebensweg Janssens durch und sprachen über die Krisen, die er durchgemacht hatte.

Im Alter von 26 Jahren war Bodo Janssen überwältigt und acht Tage lang gefangen gehalten worden. Kriminelle erpressten von seinen Eltern Millionen, quälten ihn täglich mit Scheinhinrichtungen und machten ihm klar, dass sie ihn auch im Falle einer Zahlung töten, seine Leiche zerstückeln und verschwinden lassen würden. Die Polizei konnte ihn im letzten Moment befreien. Neun Jahre später dann der überraschende Tod seines Vaters und die Bürde der Geschäftsführung. Dann die vernichtende Kritik seiner Mitarbeiter.

Aus einer Wunde eine Perle machen

Pater Grün half Bodo Janssen dabei, aus jeder dieser Wunden „eine Perle zu machen“, wie Janssen berichtet. Er kam zu der Erkenntnis, dass die Menschen nicht existieren, um der Wirtschaft und damit seinem Unternehmen zu dienen, sondern dass es sich umgekehrt verhält: Die Wirtschaft muss den Menschen dienen. Damit stand seine Lebensaufgabe fest. Er wollte seine Mitarbeiter stärken — ihnen helfen, zu sich selbst und einem erfüllten Leben zu finden. Er träumt davon, eines Tages seinen Enkeln von glücklichen Menschen zu erzählen. Von Menschen, die er auf dem Weg zu ihrem persönlichen Glück unterstützt hat.

Dazu gehört vor allem eine sinnstiftende Aufgabe. Eine Tätigkeit, die den Menschen die Möglichkeit gibt, sich für etwas einzusetzen, das ihnen wichtig ist. Für die Upstalsboom-Mitarbeiter ist das der Bau von Schulen in Ruanda, der von ihrem Unternehmen durch Spenden gefördert wird. Jedes Jahr dürfen 20 „Upstalsboomer“ in das Land reisen und sich ansehen, was dort durch ihre Unterstützung entstanden ist. Die Fähigkeit der Menschen, trotz extremer Armut glücklich zu sein und mit anderen sogar das Wenige, was ihnen bleibt, zu teilen, sind lebensverändernde Erfahrungen, so Janssen.

Upstalsboom bietet außerdem für jeden der mittlerweile rund 600 Mitarbeiter Schulungen und Workshops an, die von Janssens Zeit im Kloster inspiriert sind und häufig auch dort stattfinden. In Paar- und Gruppengesprächen begeben sich die Menschen auf die Suche nach ihrer Kraftquelle, nach Sinn, nach dem, was für sie persönlich Glück und Erfüllung bedeutet.

Der Geschäftsführer bittet um Vergebung

Um den Zusammenhalt in Teams zu stärken und Missstimmungen vorzubeugen, wird außerdem regelmäßig über Dinge gesprochen, die schief gelaufen sind. Im Rahmen von sogenannten „Culpa Sessions“ oder „Fuckup Nights“ entschuldigen sich Upstalsboom-Mitarbeiter bei ihren Kollegen für Verfehlungen und diese vergeben ihnen. Sie erhalten dann von der Gruppe Empfehlungen für besseres Verhalten in der Zukunft.

„Das Team wird ganz besonders dann gestärkt, wenn die vermeintlich Höheren und Stärkeren gegenüber den vermeintlich Schwächeren und Niederen über ihre Schwächen und Fehler sprechen. Für mich sind die Führungskräfte am stärksten, die dazu in der Lage sind“, sagt Janssen. Auch er selbst ist nicht davon ausgenommen.

„Ende letzten Jahres habe ich mein Büro aufgegeben und den Mitarbeitern versprochen, dass ich mir immer einen freien Platz in ihren Büros suchen würde, damit ich ansprechbar bin. Aber stattdessen war ich meistens in der Weltgeschichte unterwegs. Viele konnten nicht mehr richtig arbeiten, weil sie mir keine Fragen stellen konnten. Bei meiner engsten Mitarbeiterin hat das sogar zu psychosomatischen Beschwerden geführt“, sagt Janssen. „Ich habe die Schuld angenommen und um Verzeihung dafür gebeten, dass ich mir auf Kosten anderer meinen Freiraum geholt habe.“ Die Mitarbeiter richteten ihm ein neues Büro ein und man einigte sich auf einen Jour Fixe, an dem der Geschäftsführer anwesend sein muss.

Der Upstalsboomer Liebesbrief

Am Ende jedes Workshops erhält jeder einen Bogen, auf den er die Namen der anderen Teilnehmer schreibt und dahinter zwei bis drei positive Eigenschaften, die ihm an dieser Person aufgefallen sind. „Wenn 20 Teilnehmer etwas schreiben, habe ich plötzlich 60 positive Eigenschaften“, sagt Bodo Janssen. „Die werden in einem Brief zusammengefasst, den derjenige einige Zeit nach dem Workshop bekommt. Wenn er dann zum Beispiel liest, dass er unterstützend ist, und bereichernd, hilfsbereit, ein guter Zuhörer, ein Sonnenschein, und weiß, dass all diese Komplimente von seinen Kollegen kommen, löst das unglaubliche Emotionen aus und die Menschen sehen sich selbst plötzlich mit ganz anderen Augen.“ Das nennt Janssen den „Upstalsboomer Liebesbrief“.

„An unserem Beispiel wird deutlich, dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter wichtiger ist als Wissen oder Kapital. Selbst in Bezug auf die klassischen Unternehmenskennzahlen. Allein im Jahr 2018 ist Upstalsboom um 50 Prozent gewachsen“, sagt Bodo Janssen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Business Insider Deutschland.

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Bild: Upstalsboom