Es überschlugen sich dieser Tage die Meldungen über Weggänge beim Berliner Inkubator-Urgestein Rocket Internet (www.rocket-internet.de) – praktisch dessen gesamte deutsche Führungsriege zog seiner Wege und nimmt dabei eine Menge Knowhow mit. Hauptziel dieses Knowhow-Transfers wurde Project A Ventures (www.project-a.com), ein neuer Inkubator, der – ausgestattet mit viel Kapital von Otto – einiges verspricht. Gründerszene traf Project-A-Gründer Christian Weiss zu einem Gespräch und ging bei verschiedenen Beteiligten auf Spurensuche, um zu ergründen, was an der vermeintlichen Rocket-Erosion dran ist.

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Project A Ventures ist potent aufgestellt

Es muss ein stolzes Investment seitens Otto (www.otto.com) sein, das in den neuen Inkubator geflossen ist: Derzeit bringt es Project A Ventures bereits auf 40 Mitarbeiter (!), die sich zu 80 Prozent aus den Reihen von Rocket Internet rekrutieren sollen und wovon allein vier Mitarbeiter nur auf das Recruiting neuer Arbeitskräfte für das Portfolio und Project A selbst abgestellt sind. Zum Vergleich: Rocket Internet brachte es zuletzt auf 130 Mitarbeiter, Team Europe blickt auf ein Team von 28 Tätigen.

Bezogen hat die Firmenbrutstätte einen Neubau, der sich wie Project A selbst noch im Aufbau befindet und im Zentrum Berlins gelegen ist. In Räumen, die noch einem Rohbau gleichen, wird Aufbruchstimmung und Startup-Feeling vermittelt, auch weil es zu einem engen Austausch zwischen Company-Builder und Portfolio kommen soll. Gleich drei Etagen hat Project A dort angemietet und verfolgt damit einen Campus-Ansatz, wie ihn auch andere Inkubatoren wie Rocket Internet oder Team Europe (www.teameurope.net) anpeilen sollen. Zwei weitere Etagen werden wohl an nahestehende Firmen vermietet. Eine potente Kampfansage ist damit bereits gemacht und folgt man den Ausführungen des Team (s.u.) wird dabei viel Wert auf operational Excellence und – Achtung Buzzword! – Nachhaltigkeit gelegt.

Dabei war es – wie Gründerszene nun bestätigen konnte – Otto, das aktiv auf die ehemaligen Rocket-Geschäftsführer zuging und sie mit dem Konzept ansprach. Überhaupt sollen gleich mehrere Interessenten die nun als „A-Team“ firmierenden Akteure kontaktiert haben. Otto wurde schließlich als einer von zwei Geldgebern in der engeren Auswahl gewählt, weil dieser laut Project-A-Geschäftsführer Christian Weiss dem Team viele Freiheiten einräumen soll. Insofern ist es für die ehemaligen Rocket-Führungskräfte an und für sich ein Traumszenario: Ausgestattet mit viel Kapital können sie schalten und walten wie sie es möchten und greifen dabei dank ihrer Rocket-Zeit auf ein großes Netzwerk und ausgefeiltes Operations-Knowhow zurück.

Ottos Rolle bei Project A

Die Verbundenheit mit dem Otto-Konzern soll aber dennoch nicht dazu führen, dass es bei Project A nur Exits an Otto selbst geben wird. Im Gespräch mit Christian Weiss versichert dieser gegenüber Gründerszene, dass es um nachhaltige Firmenaufbauten gehen soll, bei denen potenzielle Gründer durch angemessene Equity-Strukturen motiviert werden sollen und stets der attraktivste Exit-Kanal gesucht werde. Eine Devise, die sich sicherlich jeder Company-Builder auf die Fahne schreibt und bei der die Praxis schon auch mal anders aussehen kann. Doch Weiss & Co. vermitteln dieses Image sehr glaubhaft und wiederholten gegenüber Gründerszene auch stets, dass es Project A Ventures um nachhaltige Geschäftsbeziehungen gehe und dass der eigene potenzielle Erfolg auch schon mal reduziert werde, wenn dafür die unternehmerische Fairness gewahrt bleibe. Schönen Gruß in die Saarbrücker Straße.

Überhaupt arbeite Project A sehr autark gegenüber Otto und visiere etwa nicht nur E-Commerce-Themen an. Dass eine Quote von 25 Prozent E-Commerce-orientierten Themen in den nächsten Jahren dennoch realsitisch sei, erklärt sich sicherlich auch aus den Kompetenzen der Project-A-Macher. Bisher versprachen Otto-Eigengewächse wie Mirapodo (www.mirapodo.de), das von Zalando (www.zalando.de) überrollt wurde, eher überschaubare Erfolge und entsprechend schlecht soll Otto auf den Samwer-Clan zu sprechen gewesen sein. Der Gegenschlag mit diesem neuen Ansatz ist insofern nur konsequent und verhilft Otto durch eine teure Talent-Acquisition zu sehr viel Knowhow und guten Kontakten. Positiv überrascht dabei die Freiheit, die Project A Ventures angeblich seitens Otto eingeräumt wird, auf etwas anderes hätten sich die Rocket-Verhältnisse gewöhnten Serial-Entrepreneure wohl aber auch nicht eingelassen.

Vor allem möchte Project A Ventures seine Projekte nicht nur alleine anstoßen, sondern wird neben dem Angebot seiner Infrastruktur für Andere auch mit externen Investoren kooperieren – ein logischer Schritt, ist der Kapitalbedarf für zahlreiche Modelle doch merklich gestiegen. Insbesondere Point Nine Capital (www.pointninecap.com) und DuMont Venture (www.dumontventure.de) seien aufgrund ihrer geistigen Nähe potenzielle Kooperationspartner für zukünftige Deals, doch aus den USA seien ebenfalls Geldgeber interessant, so sie denn Relevanz und Netzwerk mitbringen. Geldgeber, die bei Project A mit investieren wollen, werden sich wohl auf einen finanziellen Rahmen zwischen zwei und fünf Millionen Euro pro Investment einstellen dürfen, was dem gestiegenen Kapitalbedarf langfristig sicher Rechnung trägt, den Kreis potenzieller Investoren in Deutschland aber auch merklich einengt.

Die Visionen von Project A Ventures

Letztlich verhält es sich bei der Trennung von den Samwers wohl etwas ähnlich wie bei der Beendigung einer langfristigen Beziehung: Die Beteiligten laufen sich auf denselben Events über den Weg – man teilt den gleichen Freundeskreis. Das soll das „A-Team“ jedoch nicht davon abhalten, sich hehre Ziele zu stecken: Insgesamt vier bis sechs Themen wollen die Berliner pro Jahr umsetzen, wobei sie sich zunächst auf Infrastruktur-Konzepte konzentrieren werden, die im Daily-Business eine Rolle spielen. Konkret wird es sich dabei wohl zum einen um eine Business-Intelligence-Lösung handeln, mit der viele Zahlen erhoben und analysiert werden können. Daneben ist natürlich Online-Marketing das zentrale Thema eines Company-Builders, wo es für Project A Ventures wohl sehr stark in Richtung Real-Time-Bidding gehen wird. Beide Lösungen werden in nächster Zeit wohl die größte Wertsteigerung aufweisen und ein zentrales Asset von Project A Ventures werden – marktreife Produkte nicht ausgeschlossen.

Personell wird jedem der Geschäftsführer in diesem Konstrukt ein dezidierter Fokus zukommen: Thies Sander managt vor allem den umfangreichen Project-A-Fonds, während Uwe Horstmann den Produktbereich verantwortet und eine Venture-Partner-ähnliche Rolle für das Portfolio einnimmt. Christian Weiss wird sich auf die Themen Human Resources und IT konzentrieren, wodurch noch ein Posten für den Bereich Marketing offen bleibt – dass diesen Florian Heinemann einnehmen wird, darf als sicher gelten. Kommentieren wollte Project A dies jedoch nicht.

Project A wird ein relevanter Player werden

Gründerszenes Prognose: Project A Ventures ist sehr gut mit finanziellen Mitteln ausgestattet und konnte erfahrene Experten gewinnen, die sich mit dem Ausrollen von Geschäftsmodellen gut auskennen. Dass es eine Abkehr von Copycat-Modellen gibt, darf auch für Project A Ventures nicht im großen Stile erwartet werden, doch vermittelt das Team den Willen, auf mehr Nachhaltigkeit sowohl in den Geschäftskonzepten als auch im Mitarbeiterumgang zu setzen.

Die bisher umgesetzten Modelle Amerano (www.amerano.de) und Wine in Black gehören noch nicht zu den spannenden Projekten, auf die Gründerszene bei Project A hofft, doch diese werden sicherlich kommen. Gerade der Fokus auf infrastrukturelle Operations-Elemente wie Online-Marketing und Business-Intelligence dürfte den Berlinern eine operational Excellence verschaffen, die anderen in der Szene bisher fehlt und die sich selbst auch monetarisieren lässt.

Project A Ventures ist also durchaus ein Player, auf den in diesem Jahr (und in den nächsten Jahren) gesetzt werden darf. Und immerhin deutet dessen Name ja bereits darauf hin, dass es das Projekt A ist, welches alle Beteiligten immer machen wollten. Dass der Name eigentlich aus der binären Wahl für einen von zwei Geldgebern stammt, verleitet dabei eher zum Schmunzeln.

Die vermeintliche Rocket-Erosion

Natürlich interessiert viele in der Szene insbesondere das Timing: Warum kam es gerade jetzt zu diesem erdrutschartigen Wechsel relevanter Führungskräfte bei Rocket Internet, die sich dann vor allem in Project A Ventures re-manifestierten? Immerhin gingen von 130 Mitarbeitern auf einen Schlag rund 20, wodurch Rocket etwa 15 Prozent seines Teams verlor. Andere Quellen gingen sogar von bis zu 40 Weggängen aus, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, müssten doch allein knapp 30 der Project-A-Köpfe ehemalige Rocket-Mitarbeiter sein.

Das Rocket Internet wahrscheinlich monatlich vier Mal so viele Mitarbeiter einstellt, wie in dieser Welle gekündigt haben, darf als sehr wahrscheinlich gelten, doch schmerzen diese Weggänge, weil es sich dabei vielfach um technische Wissensträger handelte wie Christian Weiss (Recruiting), Andre Alpar, Dominik Wojcik, Benedikt Illner (alle drei Online-Marketing), Uwe Horstmann (Produkt) und wohl nun auch bald Florian Heinemann (Online-Marketing). Gerade Florian Heinemann und Christian Weiss kam in den Rocket-Gefilden bisher stets auch die Aufgabe zu, hinter den Samwers die Scherben aufzukehren, wenn diese sich mitunter recht skrupellos über die ein oder andere Spielregel de Branche hinwegsetzten. Ganz zu schweigen davon, dass die ehemaligen Geschäftsführer nach wie vor über Supporter-Shares an vielen Rocket-Gründungen verfügen und damit eine Gesellschafter-Einsicht haben.

Während Rocket Internet damit beschäftigt ist, weltweit Modelle auszurollen, für die es einen Proof-of-Concept sogar schon in den eigenen Reihen gibt, wird der Company-Builder den Weggang seiner Experten vielleicht noch nicht allzu schmerzlich spüren. Doch spätestens wenn es darum geht, Copycats umzusetzen, für die noch kein KPI-Plan in der Schublade liegt, könnten gerade diese „neuen“ Modelle zu einer Herausforderung werden.

Rocket-Knowhow fließt in die Szene ab

Wenn dem Trio um Oliver Samwer also ein Vorwurf gemacht werden kann, dann der, dass sie es anscheinend nicht (mehr) vermögen, ihre Wissensträger im Unternehmen zu halten. Zu groß ist anscheinend die Gier nach Erfolg und Wohlstand geworden, sodass zuletzt womöglich nicht nur der ein oder andere Business-Partner, sondern mitunter auch die (Mitarbeiter-)Qualität auf der Strecke blieb, indem der Company-Builder international einfach ungemein schnell wuchs. Und schließlich schmeckt auch eine Orange irgendwann bitter, quetscht man sie zu sehr aus.

In der Antwort von Christian Weiss, warum gerade jetzt ein solcher Umbruch um sich greift, spiegelt sich hierzu vor allem die eigene Lebensplanung wider: Alle Gründer von Project A sind in einem Alter, das genügend Erfahrung verspricht, um ein Inkubatoren-Projekt dieser Machart anzugehen und auch privat sind die Berliner eng miteinander verbunden und verweisen daher auf ein Maximum an Vertrauen – ein Wert, der bei Rocket Internet sicherlich nicht bei jeder Beziehung gegeben gewesen sein dürfte.

Gerade auch die eigene Unternehmer-Philosophie könnte ein wichtiges Antriebsmoment sein. Immer wieder ist zu hören, dass Weiss und Co. bei Rocket Internet einen Richtungswechsel angeregt haben, dabei aber ungehört blieben. Rocket Internet weist mittlerweile – besonders international – eine solche Skalierung auf, das vielfach nur mittelmäßige Talente rekrutiert werden können, die vorgerfertigte Business-Modelle aus der Samwer-Schublade umsetzen (dürfen). Dass dies für erfahrene Unternehmer mit der Zeit an Reiz verliert, insbesondere wenn es die mitunter skrupellosen Praktiken der Samwers zu verteidigen gilt, liegt auf der Hand. Insbesondere wenn Otto mit einem Haufen Geld winkt, das ohne großartige Restriktionen nach den eigenen Vorstellungen investiert werden kann.

Project A Ventures, deren Gründer wie alle Rocket-Abgänge sehr lobend von den Samwers sprechen, will daher eher auf Klasse statt Masse setzen und Christian Weiss hat etwas Nostalgisches im Blick, wenn er mit ruhiger Stimme sagt, dass dieses Konstrukt schon „sehr nah an seinem Traumberuf dran“ ist…

Bildmaterial: Thomas Weiss  / pixelio.de