Erkan Kilicaslan ist Managing Partner bei Iris Capital.

Medien, Netzbetreiber und IT – der Fokus des französisch-deutschen Wagniskapitalgeber Iris Capital liegt auf diesen Themen. Der VC investiert seit den 90er Jahren in Deutschland. Erstes Portfoliounternehmen war der Telefonprovider E-Plus.

Erkan Kilicaslan gehört zu den Partnern des Fonds. Er spricht über die Zukunft der Ökosysteme von Paris, Berlin, München und London. Und er verrät, wie er zum VC wurde.

Herr Kilicaslan, welche Bedeutung hat Berlin für Iris Capital?

Unser erstes Investment in Berlin war 2010 in Searchmetrics. Wir haben inzwischen sieben Investments hier in Berlin: reBuy, Adjust, Searchmetrics, CrossEngage, zeotap, Tausendkind und Unu. Insgesamt haben wir in unserem Portfolio 18 Unternehmen aus Deutschland – sowohl Early Stage als auch Late Stage und Growth. Global sind es momentan über 60 Firmen.

Welche Trends sind aus Investorensicht in Berlin besonders stark?

Consumer- und Advertising-Technologien. Dann Software und IoT. Ein dritter Bereich sind InsurTech und FinTech – nicht zuletzt wegen N26. Da bewegt sich unheimlich viel. Ein vierter Bereich ist Mobilität und Sharing. Auch da sehen wir viele spannende Sachen.

Es scheint, dass der Consumer-Bereich zunehmend verliert.

Da stimme ich zu, was die klassischen B2C-Commerce-Anwendungen angeht. Aber es bewegt sich sehr viel in Richtung Advertising-Technologie und Consumer-Infrastruktur. Dabei geht es zum Beispiel darum, Werbung zielgerichteter auszuspielen, Big-Data-Analysen von Nutzerverhalten, App Analytics und vielem mehr.

Wo verläuft die Achse zwischen den Entrepreneur-Szenen in Frankreich und Deutschland?

Ich bin seit 1997 im Venture-Geschäft. Damals war München der Hub in Deutschland. Das hat sich Richtung Berlin verschoben nicht zuletzt durch Unternehmen wie Rocket Internet oder Project A. In Frankreich hat man genau geschaut, wie in Deutschland die Gründerszene aufgebaut wird.

Aus Deutschland schaut man eher Richtung London als nach Paris.

Frankreich hat in den vergangenen Jahren stark aufgeholt und inzwischen eine gründerfreundliche Kultur geschaffen. In Paris ist eine Gründerszene entstanden.

Welche Rolle hat dabei die Politik gespielt?

Es bewegt sich viel in Frankreich. Der neue französische Präsident Emmanuel Macron betont in jeder Rede zu diesem Thema: „Entrepreneur ist ein französisches Wort“. Dann gibt es ein Label „FrenchTech“, das vergleichbar mit „Made in Germany“ ist. Für Startups gibt es gibt Programme, Erleichterungen bei Aufenthaltserlaubnissen und finanzielle Unterstützung. Wenn Macron auf Staatsreise geht, sind Startups dabei – anders als bei Angela Merkel, die Dax-Vorstände mitnimmt.

Wie sieht es mit der Kapitalausstattung der Startups in Frankreich aus?

Sie ist im Frühphasenbereich gut. Manche sagen sogar, es ist zu viel Geld im Early-Stage-Bereich, so dass die Bewertungen oft durch die Decke gehen. Volkswirtschaftlich ist viel Geld im Kreislauf gut, aus Investorensicht aber eher schwierig.

Steht die Startup-Szene in Frankreich vor einer Blase?

Das Wort Blase höre ich schon länger. Einige Investoren orientieren sich an Kriterien der klassischen Unternehmensbewertung, die anderen sehen das Bewertungsthema als Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Diese Diskussion haben wir auch regelmäßig bei uns intern. Aber das ist nicht nur in Frankreich der Fall.

Schauen wir nach London: Werden die Startup-Ökosysteme in Deutschland und Frankreich vom Brexit profitieren?

Unsicherheit ist in der Finanzbranche nie gut. Aber Großbritannien wird immer ein Teil von Europa bleiben – egal was passiert. Und Großbritannien als ein großer Hub wird allenfalls ein wenig an Bedeutung verlieren. Aber für ein europäisches Ökosystem im Venture Capital brauchen wir die Briten. 

Werden britische Gründer eher nach Paris oder Berlin kommen?

Das hängt vom Einzelfall ab. Vor einigen Jahren sind französische Absolventen der Top-Universitäten und viele Gründer reihenweise unter anderem auch wegen der damaligen Millionärssteuer aus Paris nach London „geflüchtet“. Es gab einen massiven Brain-drain. Die werden jetzt wieder zurückkommen. Denn in Frankreich ändert sich das Klima in Richtung Unternehmertum. Das gleiche vermute ich für die Deutschen.

Gründer beklagen in Deutschland oft, es habe an in den Anfangsjahren 2005 und 2006 zu wenig Kapital gegeben – und auch heute hört man das noch.

Das sehe ich anders. Die Startups, die sich beschweren, sollten vielleicht überlegen, ob ihr Angebot eventuell nicht attraktiv genug ist. Geld ist eine knappe Ressource, um die sich die besten Unternehmen bewerben sollen. Aber niemand braucht den 200. Online-Schuhladen. Für sehr gute Startups gab und gibt es immer eine Finanzierung.

Hat die TV-Show „Die Höhle der Löwen“ etwas mit Ihrem Geschäft zu tun?

Ich gebe zu, ich sehe mir das auch manchmal an – allerdings nur weil meine Frau das guckt. Ach! Dann investiert einer nach einem Fünf-Minuten-Pitch 500.000 Euro für zehn Prozent der Anteile. Das ist nicht wirklich wie unser Geschäft funktioniert. Aber die drei Millionen Zuschauer denken, dass unser Geschäft so aussieht. Wir gehen um Einiges analytischer ran, bevor wir eine Investitionsaussage treffen. Aus meiner Sicht ist DHDL aber sehr gute Unterhaltung.

Ist Gründen Lifestyle geworden?

Ich glaube schon. Manchmal ist es ja auch cool, was da präsentiert wird – zum Beispiel vor einigen Wochen dieser Kratzschutz für Handydisplays.

Wie sind Sie VC geworden?

Ich bin von Hause aus Elektrotechnik-Ingenieur und habe in den USA den MBA gemacht. Damals haben viele Studienkollegen Entrepreneurship-Kurse belegt. Das war für mich eine komplett neue Welt. Ich habe diese Kurse aus Neugierde dann auch belegt, bin dann allerdings bei McKinsey gelandet.

Also ein Umweg über die Beratung.

1996 oder 1997 hat McKinsey die New Venture Initiative gestartet, in der Beratung gegen Unternehmensanteile für Startups angeboten wurde. Ich war der erste Associate dort. Das war auch die Zeit, als die Businessplanwettbewerbe aufkamen. 1999 bin ich dann zur Technologieholding VC gegangen und habe die Seiten gewechselt.

Pünktlich zur Dotcom-Blase?

Ende der 90er Jahre gab es den Neuen Markt und die großen IPOs – Intershop, Bintec, Brokat, Adcon, CPU, Poet waren Portfoliounternehmen der Technologieholding. Damals herrschte Goldgräberstimmung. Danach habe ich mit einem Partner einen eigenen Fonds aufgebaut, TecVenture Partners in München. Der Investor dahinter war die Getty-Familie aus den USA. Wir sind dann allerdings voll in den geplatzten Bubble reingelaufen und haben viel in Startups investiertes Geld verloren…

…und trotzdem überlebt?

Wir haben damals auch angefangen, in gelistete Technologieunternehmen zu investieren und haben Blöcke von Altaktionären zu niedrigen Preisen rausgekauft. Der Neue Markt war ja am Boden. Viele dieser Unternehmen und die Aktienkurse haben sich aber wieder erholt. Und so haben wir 2004/2005 die Aktien wieder abgegeben und den Getty-Fonds zurückbezahlt. 2005 suchte dann Iris Capital jemanden mit Venture-Erfahrung in Deutschland, der auch Französisch spricht und ich bin zu Iris Capital gewechselt.

Warum hat sich die Berliner Startup-Szene so positiv entwickelt?

Ich möchte eine Lanze für Oliver Samwer und seine Brüder brechen. Seien wir ehrlich, ohne Rocket Internet wäre Berlin nicht da, wo es heute ist. Heute sehen wir, dass Rocket oder Project A mit Florian Heinemann (der ja auch bei Rocket war) als Universität nach der Universität fungierten und das Ökosystem mit sehr vielen guten Leuten und Industriewissen gefüttert haben. Was aufgebaut wurde, etwa Zalando, ist eine erstklassige Schule und unter anderem verantwortlich dafür, dass genug Talent und genug Drive in Berlin sind. Das würde ich mir auch für andere Städte wünschen. In der Saarbrücker Straße waren zehn Firmen, die parallel von Rocket auf die Beine gestellt wurden. Da saßen dann die zehn CTOs oder zehn Marketingleute an einem runden Tisch. Und die haben sich gegenseitig befruchtet. Dass daraus was entstehen kann, haben wir gesehen.

Bild: Iris Capital