Automaten in Hong Kong, an dem man Kryptowährungen in Bargeld wechseln kann.
Automaten in Hong Kong, an dem man Kryptowährungen in Bargeld wechseln kann.

China ist längst eine wirtschaftliche Supermacht. Nach den USA ist die Volksrepublik die zweitgrößte Ökonomie der Welt. Erarbeitet hat sich das Land diese Stellung aber als „Werkbank der Welt“. Seit Jahrzehnten schrauben chinesische Arbeiter im Auftrag von japanischen, europäischen oder amerikanischen Konzernen Waschmaschinen oder Smartphones zusammen. Oft wurde China auch vorgeworfen, einfach Produkte aus dem Westen zu kopieren. Das reicht den Machthabern in Peking nicht mehr. China soll eine Tech-Supermacht werden. 

Auf dem Weg dorthin bekommt es die Regierung nun allerdings mit einer für sie ungemütlichen Technologie zu tun: der Blockchain und ihren Ablegern. Natürlich will China auch hier die Nase vorn haben. Doch die kommunistische Führung steht vor einem Zielkonflikt: China ist ein zentralistischer Staat, der alles – Medien, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – strikt kontrolliert. Die Blockchain hingegen ist eine grundlegend dezentrale Technologie. Gerade deswegen gilt sie als Errungenschaft. Nur, wie soll China damit umgehen?

Der chinesische Blockchain-Ehrgeiz ist verflogen

In zwei Wochen heißt Shanghai, Chinas wichtigste Industriestadt, zum vierten Mal hochkarätige Köpfe der Blockchain-Gemeinde zum Global Blockchain Summit willkommen. Die erste Konferenz fand 2015 statt. Damals fristete die Blockchain medial betrachtet noch ein Schattendasein. Chinas Regierung erkannte jedoch früh das Potential der Technologie und verkündete: auch in diesem Bereich solle China führend werden.

Von diesem Ehrgeiz ist inzwischen nur noch wenig übrig geblieben. Zwar gibt es immer noch einige wichtige Player der Blockchain-Bewegung in China. Doch die Regierung macht zunehmend Druck und erschwert den Zugang zu Informationen und Anwendungen rund um Kryptowährungen und Blockchain-Projekte.

Auslöser dafür könnte eine Reihe von Vorfällen gewesen sein, bei denen das Machtmonopol der kommunistischen Führung infrage gestellt wurde – mithilfe der Blockchain. So konnte auf der Ethereum-Blockchain der offene Brief einer chinesischen Studentin namens Yue Xin gesichert und verbreitet werden. Yue hatte darin von Einschüchterungsversuchen ihrer Universität berichtet, nachdem sie und andere Studenten einen Antrag gestellt hatten, dass bestimmte Dokumente veröffentlicht werden sollten. Sie wollten an Informationen über eine junge Frau kommen, die vor zwei Jahrzehnten von einem Professor der Universität sexuell belästigt wurde und sich daraufhin das Leben nahm.

An der Ethereum-Blockchain scheiterten Chinas Zensoren

Während es dem kommunistischen Regime durchaus gelungen war, die Verbreitung des kritischen Briefs über das in China populäre Facebook-Pendant WeChat zu verhindern, konnten die Behörden das dezentrale Ethereum-Netzwerk nicht zensieren. Dafür müssten alle Knotenpunkte, also Nodes, des Netzwerks lahmgelegt werden – und das ist praktisch unmöglich, da sie über den ganzen Globus verstreut sind.

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Der offene Brief der Studentin war dementsprechend auch nur der erste Fall, in dem Chinas Zensoren an der Ethereum-Blockchain scheiterten. Auch ein Bericht über einen Skandal bei einem der größten Pharmahersteller des Landes konnte darüber weiterhin verbreitet werden. Noch scheinen die Machthaber in Peking keine Lösung gefunden zu haben, um die Ausbreitung kritischer Meldungen zu stoppen.

Doch nicht nur Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit lässt sich über die Blockchain umgehen, auch die Beschränkungen des Kapitalverkehrs. Die chinesische Nationalwährung Renminbi darf nämlich nicht für internationalen Zahlungsverkehr genutzt werden. Zusätzlich deckelt die kommunistische Regierung den Betrag der Devisen, die man pro Jahr erwerben darf, auf 50.000 US-Dollar. Damit will die Regierung verhindern, dass Kapital ins Ausland fließt.

China hat die Rechnung zunächst ohne den Bitcoin gemacht

Diese Rechnung hat China allerdings ohne den Bitcoin gemacht. Denn wer sich ein wenig mit seiner Technologie auskannte, konnte im Bitcoin-Netzwerk tatsächlich anonym bleiben – und damit die chinesische Regierung über die eigenen finanziellen Aktivitäten im Dunkeln tappen lassen. Bitcoins ließen sich dann in US-Dollar umgetauschen. Dem chinesischen Staat missfiel diese Entwicklung. Also schloss die Regierung dieses Schlupfloch. Alle örtlichen Exchanges mussten ihren Handel mit Kryptowährungen umgehend einstellen. Offenbar nahm China dafür sogar in Kauf, auf dem globalen Krypto-Markt an Bedeutung und Einfluss zu verlieren. Huobi, einer der weltweit beliebtesten Handelsplätze für Digitalwährungen, wanderte nach Singapur, Südkorea und in Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong ab.

Dadurch wurde der legale Erwerb von Bitcoins für Chinesen massiv erschwert. Seitdem bleibt nur noch der Kauf und Verkauf von Bitcoins over the counter, also von Mensch zu Mensch. Der bekannteste Marktplatz dafür ist die Webseite LocalBitcoins, die in China noch genutzt werden kann. Auf dem Portal werden Käufer und Verkäufer zusammengeführt. Anstatt die Bitcoins dann unmittelbar online gegen Renminbi zu tauschen, müssen sich die beiden Parteien allerdings zum Geldwechsel in der realen Welt verabreden. Gezahlt wird meist über die Zahlungsdienste der chinesischen Tech-Riesen WeChat und Alibaba, also WeChat Pay und Alipay.

Um den persönlichen Handel mit Bitcoin & Co. zu verhindern, drängt die Regierung darauf, dass Alibaba und der WeChat-Mutterkonzern Tencent die Transaktionen ihrer Zahlungsdienste genauer unter die Lupe nehmen. Gehen sie nicht gegen Kryptohandel vor, könnten ihre eigenen Dienste in die Illegalität abdriften. Ein mächtiges Druckmittel.

Blockchain-Treffen und ICOs werden unterbunden

Alternativ können Bitcoins auch geschürft werden, durch sogenanntes Mining. Dabei stellt man dem Bitcoin-Netzwerk Rechenleistung zur Verarbeitung von Transaktionen zur Verfügung und wird dafür mit Bitcoins entlohnt. Doch auch das Mining in den Fokus der Machthaber geraten. Bei ihrem Vorgehen gegen das Mining setzt das Regime offenbar auf lokale Behörden. Diese sollen die Miner dazu bewegen, auszusteigen – etwa durch die Aufforderung ihren Stromverbrauch zu reduzieren. Auch Steuern oder Umweltvorschriften sollen zum Einsatz kommen. Derzeit stammt noch ein Großteil der weltweiten Rechenleistung für das Schürfen von Kryptowährung aus China.

Weitere Einschränkungen folgten: Das chinesische Pendant zu Google, Baidu, sperrte Chatrooms, die sich um Kryptowährungen und Blockchain drehten. Auch WeChat blockiert Nachrichtenseiten mit Blockchain-Bezug. Vereinzelt verboten Bezirke und Regionen sogar Blockchain-Treffen. Darunter ironischerweise auch der im Südosten gelegene Distrikt Guangzhou – eine Sonderwirtschaftszone, die eigentlich zur Förderung einer freien Wirtschaft eingerichtet wurde.

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Offiziell begründet die chinesische Regierung ihre Repressionen gegen die Blockchain-Technologie damit, dass diese ein Wegbereiter für kriminelle Machenschaften sei. Mit dieser Begründung wurde im September 2017 auch ein allgemeines Verbot für Initial Coin Offerings, kurz ICOs, erlassen. Anders als bei Initial Public Offerings (IPOs) verkaufen die Initiatoren eines ICOs keine Unternehmensanteile, sondern nur digital erzeugte Coins. Oft haben sie zu Beginn des ICOs auch noch kein funktionierendes Unternehmen vorzuweisen. Vielfach haben Betrüger dieses Konzept genutzt, um Kapital einzusammeln, ohne danach jemals das versprochene Produkt abzuliefern. Einer Studie zufolge waren 2017 vier von fünf ICOs ein Fake.

Daher wird auch in anderen Ländern diskutiert, wie sich ICOs besser regulieren lassen, um Anleger und Verbraucher zu schützen. Doch so rigoros wie China, das einst Vorreiter bei Kryptowährungen war, ging kaum ein Staat vor. Daher vermuten Kritiker, dass es weniger um Verbraucherschutz als um die Verteidigung der eigenen Autorität ging.

Bei Minig-Hardware bleibt China führend

Man sollte China in Bezug auf die Blockchain trotzdem noch nicht ganz abschreiben. Einige Krypto-Projekte haben hier Wurzeln geschlagen – und machen keine Anstalten, die Volksrepublik zu verlassen. Dazu gehört auch NEO, das gerne als „das Ethereum Chinas“ bezeichnet wird. Der größte Unterschied zum Original dürfte allerdings darin liegen, dass die Plattform nicht wirklich dezentral, sondern – ganz nach chinesischer Manier – zentral aufgebaut ist. Als im März dieses Jahres ein Netzwerkknoten (Node) offline ging, kollabierte das gesamte Netzwerk von NEO. Eine wirklich dezentrale Plattform hätte selbst den Ausfall dutzender Nodes wegstecken müssen.

Definitiv führend ist China bei der Produktion von Computern, die speziell auf Mining spezialisiert sind, sogenannte Mining-Rigs. Der Hersteller Bitmain Technologies mit Sitz in Peking hat Schätzungen zufolge 70 bis 80 Prozent Marktanteil bei der Produktion von Mining-Hardware, wie CNBC berichtet. Ob Chinas Regierung bereit ist, auch dieses Monopol zu opfern um sich noch weiter von Kryptowährungen und Blockchain abzuschirmen, bleibt abzuwarten. Der Spagat zwischen Kontrolle, Zensur und Zentralisierung auf der einen und technologischen Fortschritten mit der Blockchain auf der anderen Seite – noch ist er China nicht gelungen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Wired.de

Bild: Getty Images / SOPA Images / Contributor