Ethereum-Entwickler Vitalik Buterin

Lila Plastikarmbanduhr, ein schmuddeliges T-Shirt, unruhiger Blick: Buterins Blick ist nicht der eines Managers, er ist nicht wach, reagierend, vorbereitet. Er hat eher den Blick eines Träumers, seine Augen wandern im Raum umher, manchmal, so scheint es, vergisst er einfach, dass er gerade ein Gespräch führt. Er monologisiert gerne und feuert die Silben mit der Geschwindigkeit eines MGs heraus. Es ist offensichtlich, dass sein brillantes Gehirn viel schneller denkt, als er reden kann.

Doch seine Wortwahl ist elaboriert, er spricht wie ein Professor aus Stanford. Er wirft mit mathematischen Formeln um sich, benutzt Fachvokabular mit der Selbstverständlichkeit eines klassischen Silicon-Valley-Genies. Buterin eint nicht viel mit den Großen der Technologie-Welt: Zuckerberg studierte in Harvard, Larry Page und Sergey Brin arbeiteten im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Stanford University an der Idee von Google. Mit anderen Worten: Sie kommen aus wohlhabenden Familien, die Eltern von Page verkauften eine IT-Firma für 400 Millionen US-Dollar an Yahoo.

Buterin stammt aus einfachen Verhältnissen, mit sechs Jahren zieht er mit seiner Familie von Russland nach Kanada, weil die Eltern sich dort eine bessere Zukunft erhoffen. Gerade auch für Vitalik, denn er ist hochbegabt. Mit sieben Jahren multipliziert er bereits dreistellige Zahlen mit der Geschwindigkeit eines Taschenrechners – ein Mathe-Genie wie die meisten Programmierer. So wurde Buterin Bitcoin-Millionär: „Mir war langweilig, ich schrieb einen Bitcoin-Blog. Irgendwann bot mir jemand an, für sehr wenig Geld jeden Tag Blogposts zu schreiben: fünf Bitcoin pro Artikel, damals war ein Bitcoin 80 Cent wert.“ Zum Erscheinen dieses Artikels steht die Währung bei über 8.000 US-Dollar.

Aus Geld habe Buterin sich nie etwa gemacht, es aber mittlerweile schätzen gelernt: „Früher bin ich viel U-Bahn gefahren, da muss man immer darauf achten, wann der richtige Halt kommt. Das lenkt vom Coden ab. Jetzt werde ich gefahren, kann dadurch effizienter arbeiten.“

„Bitcoin ist ganz okay, kann aber nicht viel. Deshalb haben wir Ethereum entwickelt“

„Bitcoin und Ethereum entstammen einer unterschiedlichen Philosophie“, erklärt Buterin. „Bitcoin ist ein simples mathematisches Protokoll, das keine größeren Ambitionen hat. Man kann es traden, wird damit in Zukunft bei Amazon oder im Supermarkt einkaufen, seine Rechnung im Restaurant bezahlen.“ Es werde die Welt nicht fundamental verändern, sondern mache sie nur komfortabler. Wirklich wichtig sei das vor allem für Länder, die kein funktionierendes Bankensystem respektive keinen Zugang zu Geld in unmittelbarer Nähe haben. Und für unsere globalisierte Wirtschaft: „Weil unsere Banken mit lächerlich schlechter Technologie arbeiten, dauert eine Überweisung von den USA nach Japan eine Woche. BTC eher so um die 15 Minuten, je nach Exchange.“

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Ethereum sieht er als „General Purpose Blockchain“, er plant damit kurzgesagt, das Internet zu revolutionieren respektive zu dezentralisieren, denn das ist ja die Kernidee der Blockchain. „Das Web 3.0 bildet die Vision, dass Ethereum zusammen mit ein paar anderen Technologien das komplette Internet dezentralisieren wird und damit die Kontrolle zurück in die Hände der User gibt.“ Hier sieht man bereits, wo der große Unterschied zwischen Buterin und dem Silicon Valley liegt: Die einen wollen so viele Daten wie möglich kontrollieren und vermarkten, er hingegen für sehr viel mehr Anonymität sorgen. „Ethereum dient dabei als dezentralisierte Datenbank, Whisper als dezentralisierte Messaging-Lösung, Swarm für dezentralisiertes Content-Hosting.“

Web 3.0.: Buterin plant das Ende des Silicon Valley

Mark Zuckerberg, Larry Page sowie die Gründer von Medium, Snapchat und anderen Unternehmen dürften das nicht besonders begrüßen, denn auch wenn er es so offensichtlich nicht sagt, aber Buterin will im Grunde das Silicon Valley als das abschaffen, was es im Jahr 2018 ist: eine milliardenschwere Industrie, die nahezu perfekte Datenbanken von uns allen angeschafft haben, die potentiell missbraucht werden können. Wie der kürzliche Skandal um die Beeinflussung der US-Wahlen durch Cambridge Analytica bewiesen hat.

Denn aktuell haben wir weitestgehend zentralisierte Datenbanken: WhatsApp hat 1,5 Milliarden Nutzer weltweit, fast jeder Deutsche verwendet den schlanken Messaging-Dienst, der nicht viel Akku verbraucht und einfach funktioniert. WhatsApp gehört Facebook. Und wo laden wir unsere meisten Bilder hoch? Knapp 1.000 Bilder werden pro Minute auf Instagram hochgeladen. Instagram gehört ebenfalls Facebook.

„All unsere Daten liegen in den Händen von sehr wenigen Mega-Konzernen, und es gibt kaum Konkurrenz“, sagt Buterin. „Es ist sehr schwierig für eine kreative Firma, Facebook oder Google anzugreifen, weil es Milliarden an Investitionen erfordert. Das ist es, was ich an Blockchain als Idee liebe: Wir brauchen keine Serverzentren, Konzernstrukturen und CEOs. Ethereum läuft auf tausenden von PCs, und es basiert auf einem Gesellschaftsvertrag. Wir legen als Community Parameter fest, die wir als Gemeinschaftsverbund für gut und richtig halten. Wir alle achten darauf, dass dieser Gesellschaftsvertrag nicht gebrochen wird. Hier geht es weiter…

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von TechCrunch

Das ist übrigens kein Neuland, sondern genau genommen sogar eine deutsche Erfindung: Die Hanse war vor 400 Jahren ein Verbund von Kaufleuten, die sich gegenseitig absicherten, im Fall des Verlustes eines Schiffs. Die meisten Kaufleute hatten nur ein oder zumindest wenige Koggen, sank eine, drohte man Pleite zu gehen. Dieses Risiko beugte eine erste Form der Versicherung vor. Unser modernes Versicherungssystem basiert darauf und sogar unsere Finanzwelt: Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass ich für US-Dollar, Euro etc. etwas erwerben kann, das nicht nur aus bedrucktem Papier besteht, weil Geldnoten nicht besonders gut schmecken.“

Das Problem mit dem Energieverbrauch

Die Blockchain hat ein fundamentales Problem: für den Menschen und das Mining. Die Kette aus Code-Fragmenten wird nur weitergeschrieben, wenn Menschen dafür Rechenpower zur Verfügung stellen, wodurch der Energieverbrauch mittlerweile drastisch angestiegen ist. Wenn auch nicht so enorm, wie es manche Journalisten gerne übertrieben darstellen: „Es scheint mir eine überhitzte Debatte, die sich zu wenig auf reale Daten stützt“, meint Buterin. „Eine Etherium-Transaktion braucht 65 Kilowattstunden. Daran müssen wir arbeiten und tun wir bereits, aber es ist nicht so das wir dadurch den Klimawandel anheizen – da gibt’s ganz andere Faktoren.“

Laut Buterin ist die größte Herausforderung die zentralisierte Hardware-Welt: 70 Prozent aller Miner benutzten Grafikkartentypen von zwei Firmen: Nvidia und AMD, die aktuell noch nicht für Mining konzipiert seien. Womit er Recht hat, die beliebtesten Mining-Karten wurden für Videospiele optimiert.

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„Es ist die größte Herausforderung, für die ich auch noch keine gute Lösung habe“, sagt Buterin. „Auf Software-Seite können wir viel machen: Kontrolliert eine kleine Gruppe eine zu große Menge an Ethereum, reagieren wir darauf. Aber ich kann einem Protokoll nicht befehlen die Grafikkarte zu schmelzen, zumindest wäre mir das zu aggressiv und manipulativ.“ Mining hält er aber prinzipiell für eine gute Sache, weil es für eine Neuverteilung von Ressourcen sorgt: „Gemint wird vor allem in Regionen mit günstigen Energiekosten – Länder wie Pakistan, Kazakhstan oder Venezuela, die eher strukturschwach sind. Wenn durch Mining die Mittelschicht gestärkt wird, ist das gut für die Gesellschaft.“ Die offizielle Bezeichnung von Buterin ist Chief Scientist bei Etherium, er möchte keine Management-Ebene einziehen, sonst wäre die Blockchain ja nur Silicon Valley 2.0.

„Ich denke direkte Demokratie funktioniert hier am besten, sprich User regieren als Gemeinschaft basierend auf Standards, die vorher festgelegt werden. Bei Bitcoin lieben die Leute diese maximale Obergrenze von 21 Millionen BTC, die nicht überschritten werden darf, da Etherium eine größere Palette an Funktionen erfüllen soll, könnte man über 120 Millionen Ether als Obergrenze nachdenken.“

Deshalb steht es Nutzern auch frei, ein Killer-Update via Casper zu akzeptieren – es ist im Grunde ein Volksentscheid nach Schweizer Modell. Casper soll als Update für das Etherium-Protokoll vor allem für eine bessere Verteilung von Belohnungen sorgen: „Menschen sind ziemlich rationale Wesen: Belohnst du sie, setzen sie sich für die Plattform und ihr Wohlergehen ein und überwachen jene, die ihr schaden wollen.“ Er plant, Casper so aufzubauen, dass wenn jemand versucht, das Protokoll zu sabotieren, dabei sehr viel Geld verliert.

Warum Buterin sich kürzlich mit Präsident Putin im Kreml traf

Und auch wenn er das nicht so offensichtlich sagen möchte, Buterin ist sich durchaus bewusst, dass CIA, Mossad und die großen Geheimdienste dieser Welt großes Interesse daran haben, Teile der Blockchain zu entschlüsseln. Er benutzt den Terminus Bad Actor dafür. Auch wenn sich einige Teile des Silicon Valley gegen Regierungen stellen, Apple voran, rückt der Großteil seine Daten zur Auswertung an die NSA und andere Geheimdienste raus. Nicht umsonst versuchen die USA gerade in Form der SEC, so viel Kontrolle wie möglich auf die Kryptowelt auszuüben.

Es wird spannend zu sehen, wer gewinnt: Die Nerds mit ihren mathematischen Protokollen und einer Code-Kette, die permanent fortgeschrieben und abgeglichen wird, und deshalb als unhackbar gilt – oder die Geheimdienste.

Vitalik Buterin sucht eher den Dialog, nicht den Krieg. Erst kürzlich reiste er in sein Geburtsland zurück und besuchte Präsident Putin im Kreml: „Wir müssen verstehen, welche Herausforderungen Banken und Regierungen zu bewältigen haben und was ihnen schlaflose Nächte bereitet, um die Welt via Blockchain effizienter, gerechter und besser zu machen.“ Putin sei zudem technologisch deutlich versierter als man Politikern gemeinhin zutraue.

Aber eigentlich will Buterin nur seine Ruhe: „Ich kann nur 16 Stunden am Tag arbeiten, also wenn das nächste mal jemand anderes aus der Etherium-Community ein Staatsoberhaupt treffen will, soll er sich melden. Dann hätte ich mehr Zeit zum Coden“, sagt er.

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