„Das Vertrauen in die Branche wird schlechter und das tut mir sehr weh“, sagt Ratepay-Gründerin Miriam Wolfarth über den Wirecard-Skandal.

Eine Woche ist es her, dass Wirecard in die größte Krise seiner Unternehmensgeschichte schlitterte; kein Tag verging seither ohne weitere Hiobsbotschaften aus Aschheim. Am Donnerstagmorgen kam es dann zum vorläufigen Höhepunkt: Der Dax-Konzern meldete Insolvenz an. Noch sind die genauen Konsequenzen für den Zahlungsdienstleister nicht abzusehen. Doch für die ganze Fintech-Szene wird der Fall Wirecard Auswirkungen haben – das steht schon jetzt fest.
Was droht Deutschlands Finanz-Startups durch den Skandal? Was bedeutet der Fall für das Image der Branche? Und wer hatte schon immer Zweifel am Erfolg von Wirecard? Darüber haben wir mit vier wichtigen Branchenexperten gesprochen.

Ramin Niroumand, Chef von Finleap

„Nach dem Wirecard-Skandal darf nicht die ganze Fintech-Szene in Sippenhaft genommen werden. Es gibt kein systemisches Problem unter den deutschen Finanz-Startups.

Dieser Artikel ist heute Morgen zuerst auf dem Finanzportal Finance Forward erschienen. Hier geht’s zu den Kollegen.

Im Rückblick kann man jetzt sagen: Ich habe es immer gewusst. Und auch ich kann von Erfahrungen mit Wirecard aus meiner frühen Karriere berichten, bei denen ich Fragezeichen hatte. Aber solche Aussagen im Nachhinein zu äußern, finde ich nicht angemessen. Und in den Jahren davor? Es obliegt aus meiner Sicht nicht der Fintech-Szene, die Seriosität eines Players zu beurteilen. Dafür gibt es Rating-Agenturen, Wirtschaftsprüfer, Banken und die Aufsicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wirecard-Bank überlebt – sie hat keine Zukunft. Denn der Reputationsschaden ist zu groß. Das ist natürlich eine Chance für unsere Portfoliofirma Solarisbank, die Plattformbanking anbietet.“

Miriam Wohlfarth, Geschäftsführerin von Ratepay

„Unser Vorzeige-Fintech liegt am Boden. Und damit wird auch das Vertrauen in die Branche schlechter und das tut mir sehr weh. Es tut mir vor allem leid für die vielen guten Mitarbeiter bei Wirecard.

Die Geschichte sendet außerdem das Signal aus, dass die Aufsicht versagt hat. Wahrscheinlich muss sie in Zukunft vor allem bei der Tech-Kompetenz nachrüsten.

Warum haben das viele nicht kommen sehen? Wir waren geblendet von den guten und innovativen Produkten. Im Payment-Geschäft mit Glückspiel und Entertainment lassen sich hohe Margen erzielen, deswegen erschienen mir die Zahlen nicht unrealistisch. Wenn bei dir ein Verbrecher im Haus lebt, kannst du dir das oft auch nicht vorstellen. Es lässt sich von außen nicht immer beurteilen.

Ohne die Wirecard-Bank würde ein wichtiger Partner für Fintechs fehlen – und ich könnte mir vorstellen, dass kurzfristig die Innovationen gehemmt werden.“

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Jochen Siegert, Manager von Traxpay

„Es sah für mich danach aus, als würde das Unternehmen am Rande der Legalität arbeiten. Ein paar Unregelmäßigkeiten, ein paar Millionen, die fehlen. Doch so ein Ausmaß hätte ich nie erwartet. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies Wirtschaftsprüfern wie EY und KMPG durchgerutscht wäre. Das muss wohl ein sehr gut gemachter Betrug gewesen sein.

Für Finanz-Startups wird es in Zukunft schwieriger, bei Kunden Vertrauen aufzubauen. Außerdem wird sich die Aufsicht neu aufstellen – und künftig stärker durchgreifen. Damit wird noch mehr Zeit und Mühe der jungen Unternehmen in dieses Thema fließen.“

Marcus Mosen, Ex-CEO von Concardis

„Noch vor Kurzem habe ich im Podcast von Finance Forward gesagt: Es würde mich wundern, wenn bei Wirecard noch krasse Themen hochkommen. Ich sagte aber auch, dass wir das Testat der Prüfer abwarten sollten. Nun ist der Worst Case eingetreten. Wenn kriminelle Energie im Spiel ist – wie im Dieselskandal oder bei Enron – dann ist es auch für Marktbegleiter wie mich schwierig, die Situation richtig einzuschätzen. Bei Wirecard sieht es genau danach aus.

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Trotzdem wäre es aus meiner Sicht falsch, die ganze Fintech-Branche unter Generalverdacht zu stellen. Wirecard hatte einen ganzen Bauchladen an Produkten – und eine komplizierte Firmenstruktur. Das Unternehmen ist nicht vergleichbar mit den Fintechs hierzulande. Deswegen wäre es unklug, mit einem Schnellschuss der Regulierung zu reagieren. In jedem Startup machen die Wagniskapitalgeber eine Unternehmensprüfung (Due Diligence). Ich frage mich, wer dies bei Wirecard gemacht hat. Viele Shareholder wie etablierte Banken, die Kredite vergeben haben, oder die Wirtschaftsprüfer haben sich dabei nicht mit Ruhm bekleckert.

Für Wirecard ist die Insolvenzanmeldung eine Chance, die gesunden Unternehmensteile noch zu verkaufen.“

Dieser Artikel erschien zuerst bei Finance Forward.

Bild: Ratepay