Die kenianische Hauptstadt Nairobi ist einer der wichtigsten Startup-Hubs Afrikas.
Die kenianische Hauptstadt Nairobi ist einer der wichtigsten Startup-Hubs Afrikas.

Gegen Ende des Monats greift Kevin regelmäßig zum Smartphone und öffnet die App Tala. Ein paar Klicks reichen aus und er bekommt einen Kredit von umgerechnet etwa zehn Euro ausgezahlt. Das Geld hält er dabei nie in den Händen, es landet nach ein paar Minuten auf seinem Smartphone. „Meine Freunde und ich nutzen die Kredite, wenn wir am Monatsende zum Beispiel neues Handyguthaben oder Medikamente kaufen müssen“, sagt Kevin. Alles bezahlt er direkt per Smartphone. 

Der IT-Student lebt in Lodwar, einer Kleinstadt in der kenianischen Wüste. Ein paar Mal pro Tag fliegen Propellermaschinen über seinem Kopf hinweg, die Stadt ist vom Rest des Landes aus schlecht erreichbar, drumherum erstreckt sich eine Wüste, die nächste Stadt ist einige Stunden mit dem Auto entfernt. Das Wasser wird oft knapp. Auf der Straße des Ortes laufen Ziegen, an den staubigen Straßenrändern stehen viele Lehmhütten.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung nutzt den Mobile-Payment-Dienst M-Pesa

Nur noch in wenigen Gegenden des Landes ist die Situation vergleichbar mit der in Lodwar. Nairobi und Mombasa sind längst moderne afrikanische Metropolen. Doch die Lebensumstände von Menschen wie Kevin sind ein Grund dafür, dass Kenia zum Vorreiter beim Thema Fintech geworden ist. Aus der Not heraus, ist Mobile Payment groß geworden. Während sich in Deutschland Banken und Finanz-Startups schwertun, ihre Kunden von Banking-Apps oder mobilen Bezahlen zu überzeugen, ist in Kenia das digitale Banking längst im Massenmarkt angekommen.

Tala-Managerin Rose Muturi mit der Gründerin Shivani Siroya.
Tala-Managerin Rose Muturi mit der Gründerin Shivani Siroya.

Das mobile Bezahlsystem dient zum Geldverschicken und Bezahlen von Strom-Rechnungen, im Supermarkt oder der Apotheke. Allein der Platzhirsch M-Pesa zählt 27 Millionen Kunden, mehr als die Hälfte der kenianischen Bevölkerung. Kredit-Apps wie Tala oder Branch gehören zu den populärsten Angeboten im lokalen Appstore. In einer weiteren App lassen sich alle Verträge verwalten – und direkt per M-Pesa bezahlen. Neue Produkte starten jeden Monat. Warum ausgerechnet in der aufstrebenden afrikanischen Volkswirtschaft?

Zweifellos hat der Bezahldienst M-Pesa die Grundlage für den Siegeszug der Finanz-Apps gelegt. Der Startschuss fiel bereits 2007. Mittlerweile ranken sich Legenden um die Ursprünge: Ein Praktikant beim riesigen Telekommunikationsanbieter Safaricom sei damals auf die Idee gekommen, erzählt Saruni Maina, Journalist bei dem Tech-Magazin Techweez. So geht zumindest die Geschichte, gesichert ist sie nicht.

Das Unternehmen erkannte das Potential – denn der Dienst löste damals ein großes Problem der kenianischen Bevölkerung: Wollten sie Geld zu den Verwandten oder Freunden ans andere Ende des Landes schicken, mussten sie einen Geldboten beauftragen, der das Geld in einem Bus oder Auto transportierte. Desktop-Computer für Online-Banking waren zu der Zeit wenig verbreitet, ein Konto besaßen nicht viele. Mit M-Pesa schaffte Safaricom eine Möglichkeit, diese Überweisungen mit einem einfachen Handy zu tätigen. Eine enorme Erleichterung für viele Menschen.

Bekannte Wagniskapitalgeber glauben an den Erfolg in Kenia

Von dem Tala-Büro in der kenianischen Hauptstadt Nairobi lässt sich die Metropole überblicken – ein Kickertisch im Eingangsbereich und die Dachterrasse erinnern an das typische Startup-Flair. Gerade erst hat das Unternehmen von Investoren 50 Millionen Dollar erhalten. Bekannte Wagniskapitalgeber glauben an das Geschäft mit den Kleinkrediten: Andreessen Horowitz ist beim Wettbewerber Branch investiert. Zunehmend haben ausländische Unternehmen das Potential des kenianischen Marktes erkannt: Beide großen Player sind US-Startups, die sich auf aufstrebende Märkte wie Kenia spezialisiert haben.

Rose Muturi leitet die Geschäfte von Tala in dem wichtigen Markt. Sie kennt die Probleme ihrer Kunden. Die Managerin hat früher im Kreditbüro der Regierung gearbeitet und beobachtete, wie viele Kreditanfragen abgelehnt wurden. Die Kreditanbieter griffen vor allem auf traditionelles Scoring zurück. „Den Unterschied machen die Daten“, sagt Muturi. Die Datenpunkte stammen aus dem Smartphone der Kunden, etwa SMS, Anrufen oder die App-Nutzung wird erfasst. Aus vielen dieser Punkten errechnet das Startup die Kreditwürdigkeit der Nutzer. 

Der einfache Zugang per App ermöglicht es mehr Kunden an einen Kredit zu kommen, die mit ihrem Wunsch im herkömmlichen Bankensystem gescheitert wären. Tala hat im vergangenen Jahr in Kenia Kredite im Wert von 240 Millionen Dollar vergeben. Im Vergleich zu den deutschen Banken mag die Summe klein wirken. Doch dass der maximale Auszahlungswert bei lediglich 400 Euro liegt, beweist, wie verbreitet das Angebot ist.

„M-Pesa war unser Wegbereiter“

Das mobile Bezahlsystem machte den Erfolg von Tala erst möglich, es baute die Infrastruktur und ermöglichte die schnelle Auszahlung und die einfache Rückzahlung. „M-Pesa war unser Wegbereiter, da es eine bequeme und erschwingliche Möglichkeit ist, Transaktionen durchzuführen“, sagt die Finanz-Managerin. Es ermöglicht dem Startup außerdem, rund um die Uhr ein Geschäft zu betreiben – nicht nur zu den Öffnungszeiten der Banken.

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In einem anderen Segment versucht sich das Startup M-Kopa zu etablieren. Das Unternehmen verkauft ein Solarpanel und einfache elektronische Geräte zu einem erschwinglichen Preis. Dadurch haben die Kunden einen kostenlosen Zugang zu Strom. Bezahlt werden die regelmäßigen Kreditraten natürlich mit M-Pesa.

Auch Safaricom selbst spielt seine Marktmacht aus. Und startete Digital-Angebote für einen Ridesharing-Dienst nach dem Vorbild von Uber, einen Spotify-Klon und einen E-Commerce-Shop.

Zudem haben die Banken ihre Konten mit M-Pesa vernetzt. Das Geld lässt sich also zwischen dem Bezahlsystem und dem Konto hin und her schieben. M-Pesa ist einfacher und schneller als ein Konto – und ist so zur Finanzplattform für verschiedene Dienste geworden, etwa um schnell Geld an Freunde zu senden oder Rechnungen zu begleichen.

Lässt sich der Siegeszug von M-Pesa kopieren?

Der Einfluss ist in den vergangenen Jahren derartig gestiegen, dass die Politik darüber diskutierte, M-Pesa und Safaricom zu trennen. Mittlerweile ist dieser Vorschlag wieder vom Tisch. „Es wäre eine Bestrafung dafür gewesen, dass Safaricom so innovativ ist“, sagt der kenianische Journalist Saruni Maina und ist mit dieser Meinung nicht allein. An Safaricom hält Vodafone einen größeren Anteil, auch der kenianische Staat ist beteiligt. Die Investoren an der Börse glauben weiterhin an den Erfolg von Safaricom, der Börsenkurs ist innerhalb von einem Jahr um mehr als ein Drittel gestiegen.

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Doch lässt sich dieser Erfolg des digitalen Finanz-Ökosystems in anderen Ländern kopieren? In ostafrikanischen Nachbarländern von Kenia ist Mobile Payment ebenfalls erfolgreich, weil die Märkte ähnlich sind und bereits eine Vielzahl der Kunden das Bezahlsystem kennen. Doch der Siegeszug von M-Pesa funktioniert nicht überall. Das zeigte ein Ausflug nach Südafrika. Die Expansion floppte vor ein paar Jahren. „Die Gesellschaft war zu dem Zeitpunkt schon zu weit entwickelt“, sagt Saruni Maina. Die Südafrikaner hatten sich an Konten und Kreditkarten gewöhnt. Auch in Europa versuchten viele Anbieter, mit Mobile Payment groß zu werden – doch bislang hat es keiner geschafft, an den kenianische Erfolg anzuschließen. Jetzt wird sich Google mit seinem Payment per Smartphone in Deutschland daran versuchen. 

Der Tech-Journalist Saruni Maina
Der Tech-Journalist Saruni Maina

Bild: Getty Images/Buena Vista Images/; Tala; Gründerszene