Stephan Stricker hat Pair Finance gegründet.
Stephan Stricker hat Pair Finance gegründet.

Mit den Methoden der Konkurrenz will Pair Finance nichts zu tun haben. „Inkasso mit Herz“ lautet der Werbespruch des Berliner Fintechs, das den unbeliebten Berufsstand des Schuldeneintreibers ins 21. Jahrhundert übersetzen will. Das Konzept folgt den Targeting-Techniken der Werbebranche: Mithilfe von Big Data und Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung sollen die Schuldner mit einer individuell zugeschnittenen Ansprache dazu gebracht werden, ausstehende Forderungen schnell zu begleichen, sodass ein Anwaltsbrief oder ungemütlicher Hausbesuch erst gar nicht nötig werden.

„Die Inkassowirtschaft ist eine sehr traditionelle, analoge Branche und hat zudem mit einem negativen Image zu kämpfen, daher gibt es ein großes Disruptionspotenzial“, sagt Pair-Finance-Chef Stephan Stricker im Gespräch mit Business Insider. Ziel sei es, die Schuldner nicht zu verschrecken, sondern sie nach Begleichung der Rechnung als wiederkehrende Einkäufer zu gewinnen.

2 Millionen Euro für Wachstum und Tech-Investitionen

Die Geschäftsidee überzeugt offenbar auch Zalando. Das Unternehmen, das bereits Kunde und seit 2017 auch Investor bei Pair Finance ist, hat sein Investment in das Fintech mitten in der Corona-Krise und trotz Sparprogramm aufgestockt. Insgesamt fließen bei der neuen Finanzierungsrunde rund zwei Millionen Euro, wie am Montag bekannt wurde.

Das Gesamtinvestment erhöht sich damit nach Informationen von Business Insider auf acht Millionen Euro. Neben den Bestandsinvestoren Zalando, der Berliner Fintech-Schmiede Finleap, dem Münchener Risikokapitalgeber Yabeo Venture und einigen Business Angels beteiligte sich auch der ehemalige Postbank-Vorstand und Deutsche-Bank-Manager Ralph Müller an der neuen Runde. Bei Pair Finance soll Müller künftig auch als Berater wirken und seine Kontakte mit einbringen.

Das neue Kapital will Pair Finance vor allem in technische Innovationen und Wachstum stecken. Eine Expansion in die Schweiz und Österreich seien auch angedacht, allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt, sagt Stricker.

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Wer schon einmal eine Zahlung bei Zalando, Klarna, dem Online-Möbelhaus Home24 oder dem Autovermieter Sixt versäumt hat, kennt Pair Finance unter Umständen aus erster Hand. Das Fintech betreut nach eigenen Angaben mehr als 100.000 Forderungen pro Jahr von knapp 250 Unternehmenskunden. Der Marktanteil ist damit relativ gering: Insgesamt entstehen in Deutschland rund 20 Millionen neue Forderungen pro Jahr, wie eine Branchenstudie des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen zeigt. Für die Konkurrenz dürfte das Berliner Startup dennoch ein ernstzunehmender Wettbewerber sein, denn das Wachstum des Fintechs ist beachtlich. Inzwischen erziele man eine jährliche Wachstumsrate von 200 Prozent mit einem Umsatz im „hohen einstelligen Millionenbereich“.

Mit psychologischen Anreizen zur schnelleren Rechnungsbegleichung

Kern von Pair Finance‘ Technologie ist ein Algorithmus, der herausfinden soll, auf welche psychologischen Anreize die säumigen Zahler am wahrscheinlichsten reagieren. „Wir haben mehr als 30.000 verschiedene Möglichkeiten, auf den Schuldner zuzugehen“, sagt Stricker. Je nachdem, welchem Profil die Person entspricht, wird sie via Brief, E-Mail oder Whatsapp benachrichtigt. Auch der Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung, die Frequenz und die Tonalität werden individuell zugeschnitten.

Manche würden beispielsweise eher auf Gewinnanreize reagieren, während andere auf Vergleiche mit sozialen Gruppen anspringen, etwa dem Hinweis „9 von 10 haben schon bezahlt“. Die Schuldnerprofile berechnet Pair Finance aus Datenpunkten wie Alter, Geschlecht, Wohnort und Bonitätsauskunft, die es entweder von den Gläubigern oder aus öffentlichen Profilen bezieht.

Corona-Krise verstärkt Inkasso-Fälle

Die Corona-Krise habe das Startup kaum getroffen, sagt Stricker gegenüber Business Insider. Da die Inkassowirtschaft dem Markt etwa zehn Wochen hinter ist, habe man sich gut auf die Auswirkungen einstellen können. Zudem würden die Forderungsfälle nach dem Konsumtief im Lockdown nun auch wieder zunehmen. „Durch die Rezession sind mehr Menschen von Inkasso betroffen, da Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zunehmen. Wir erwarten spätestens ab August oder September mehr Forderungen“, so Stricker.

Gleichzeitig beobachte er auch einen Wandel bei der Art und Weise, wie Rechnungen beglichen werden. „Beim Zahlungsverhalten hat es im April eine Verschiebung von Direktzahlungen hin zu Stundungen, Ratenzahlung und Re-Commerce gegeben. Wir sehen aber auch, dass viele rechtzeitig bezahlen. Die Kurzarbeit hat hier in den privaten Haushalten vieles abgefedert.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf Business Insider Deutschland.
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Bild: Pair Finance